Abgeltung von Zeitguthaben auf Arbeitszeitkonten

1. Weist ein Arbeitgeber in einem Arbeitszeitkonto Guthabenstunden vorbehaltlos aus, stellt er das Guthaben streitlos. Will er den vorbehaltlos ausgewiesenen Saldo in einem Gerichtsprozess bestreiten, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast.

2. Demgegenüber trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast, wenn er sich zur Begründung eines Anspruchs auf Abgeltung von Guthabenstunden auf selbst gefertigte Arbeitszeitaufstellungen beruft. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber die Führung eines Arbeitszeitkontos vertragswidrig unterlassen hat.

3. Behauptet der Arbeitnehmer zur Begründung eines (abzugeltenden) Arbeitszeitguthabens, von ihm geleistete Überstunden seien in ein Arbeitszeitkonto einzustellen, hat er darzulegen, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 23. September 2015 – 5 AZR 767/13

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien stritten über die Abgeltung eines Guthabens aus einem Arbeitszeitkonto. Die Klägerin war bei der Beklagten als Bürofachkraft tätig. Nach ihrem Arbeitsvertrag waren Mehr bzw. Minderstunden über ein Zeitkonto abzurechnen und der Saldo bei Austritt aus dem Unternehmen zu verrechnen. Sowohl der Arbeitsvertrag als auch der einschlägige MTV sahen jeweils eine Ausschlussklausel vor. Für den Zeitraum vom 1.6.2007 bis 25.11.2008 übergab die Beklagte der Klägerin eine Arbeitszeitaufstellung mit einem Guthaben von 414 Stunden. In der Folgezeit führte die Beklagte kein Arbeitszeitkonto mehr. Die Klägerin führte ab dem 26.11.2008 eine eigene Aufstellung, in der sie ihre täglichen Arbeitszeiten fortlaufend saldierte. Diese legte sie der Beklagten nicht vor.

Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin eine Abgeltung ihres Arbeitszeitguthabens für den gesamten Zeitraum ihres Arbeitsverhältnisses. Das ArbG Herford wies die Klage ab. Das LAG Hamm gab der Berufung statt.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte nur teilweise Erfolg. Das BAG verurteilte sie zur Abgeltung von 414 Stunden.

Da Arbeitszeitguthaben den Vergütungsanspruch nur in anderer Form ausdrücken, genügt für die Schlüssigkeit einer Klage auf Abgeltung von Guthabenstunden, dass die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Bestehen eines Guthabens zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt dargelegt wird. Der Arbeitgeber bringt mit der vorbehaltlosen Ausweisung von Guthabenstunden regelmäßig zum Ausdruck, dass bestimmte Arbeitsstunden tatsächlich und mit seiner Billigung geleistet wurden. Die Beklagte hatte aus Sicht der Erfurter Richter keine geeigneten Tatsachen dargelegt, die diese Annahme entkräften können. Die pauschale Behauptung, dass Arbeitszeitkonto habe auf null gestanden, genügt hierfür nicht. Auch die etwaige Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit steht weder der Führung eines Arbeitszeitkontos entgegen, noch schließt sie einen bestehenden Abgeltungsanspruch aus. Durch die vorbehaltslose Ausweisung des Stundenguthabens war die Klägerin auch nicht zur Geltendmachung des Zeitguthabens gehalten, so dass der Abgeltungsanspruch weder verjährt noch verwirkt war.

Hingegen hielt das BAG die Klage im Hinblick auf die weiter gehenden Arbeitszeitguthaben, die auf der von der Klägerin selbst erstellten Arbeitszeitaufstellung beruhen, für unbegründet. Wie im Überstundenprozess hat die Klägerin darzulegen und ggf. zu beweisen, dass sie Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat und die geleisteten Überstunden vom Unternehmen veranlasst wurden oder diesem zumindest zuzurechnen sind. Denn der Arbeitgeber muss sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen und der Mitarbeiter kann nicht durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch selbst bestimmen. Die Bürofachkraft hatte zwar dargelegt, an welchen Tagen sie von wann bis wann Arbeit geleistet haben will, nicht aber, dass Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigendem zeitlichen Umfang angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen wäre. Dass das Unternehmen die weitere Führung des Arbeitszeitkontos vertragswidrig unterlassen habe, rechtfertigt nach Ansicht des 5. Senats keine abweichende Verteilung der Darlegungslast.

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Konsequenzen

Mit seiner Entscheidung bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung, wonach Arbeitnehmer nur dann mit einer Vergütung für geleistete Überstunden rechnen können, wenn der Arbeitgeber sie dazu aufgefordert hat oder diese ihnen zurechenbar sind. Unternehmen müssen sich folglich – auch bei einem vereinbarten Arbeitszeitkonto – keine unaufgeforderten Überstunden aufdrängen lassen. Die Anordnung bzw. Billigung von geleisteten Überstunden müssen die Beschäftigten in einem Arbeitsgerichtsprozess vielmehr ausreichend darlegen und ggf. beweisen – was ihnen aufgrund der hohen Anforderungen der Rechtsprechung im Normalfall nicht gelingen dürfte.

Allerdings müssen Arbeitgeber bei der Führung der Arbeitszeitkonten Sorgfalt walten lassen. Denn wenn man Guthabenstunden erst einmal vorbehaltlos in einem Arbeitszeitkonto ausweist, werden diese in einem etwaigen Gerichtsprozess grundsätzlich als zugestanden angesehen.

Praxistipp

Unternehmen ist daher zu empfehlen, darauf zu achten, ob die in dem Arbeitszeitkonto eingestellten Überstunden der tatsächlich geleisteten Arbeit des Mitarbeiters entsprechen und ob diese auch angeordnet wurden. Dies sollte in jedem Fall vor einer vorbehaltlosen Ausweisung (= Genehmigung) auf einem Arbeitszeitkonto erfolgen.

Schutz gegen Forderungen nach Abgeltung von Überstunden bieten ansonsten nur arbeitsvertragliche Vereinbarungen zu einer vollständigen bzw. teilweisen Abgeltung von Überstunden mit dem Grundgehalt. Die vollständige Abgeltung von Überstunden ist erst ab einer bestimmten Vergütungshöhe zulässig. Im Hinblick auf eine teilweise Abgeltung wird die Festlegung einer konkreten Menge abgegoltener Überstunden (vgl. BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 5 AZR 331/11, AuA 2/13, S. 118: „die ersten 20 Überstunden monatlich“) hingegen als zulässig angesehen.

RA und FA für Arbeitsrecht Marco Stahn, Baker Tilly Roelfs, Frankfurt am Main

Redaktion (allg.)

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