Problempunkt
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der Druckindustrie (TV Druck) oder der Kölner Hafenspediteure Anwendung (TV KSH) finden. Der Kläger war seit 1976 bei der A-KG im Bereich innerbetrieblicher Transport beschäftigt und Mitglied der IG Medien. Die A-KG war Mitglied im Arbeitgeberverband Medien.
Zum 1.4.1998 wurde der Bereich innerbetrieblicher Transport durch Betriebsteilübergang (§ 613a BGB) auf die Beklagte übertragen, die als Mitglied des Verbandes K an die mit der damaligen ÖTV vereinbarten Tarifverträge der Kölner Hafenumschlagsbetriebe gebunden ist. Die Beklagte bot dem Kläger erfolglos den Abschluss eines Arbeitsvertrages unter Zugrundelegung der TV KSH an und vergütete ihn entsprechend. Hierüber führten die Parteien einen Rechtsstreit bis zum BAG. Das BAG entschied damals, dass die Bestimmungen des TV Druck Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden seien. Eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB scheitere daran, dass diese eine beiderseitige kongruente Tarifbindung voraussetze (BAG, Urt. v. 21.2.2001 - 4 AZR 18/00, AuA 11/01, S. 522). Daran fehlte es, da der Kläger als Mitglied der IG Medien nicht an die von der ÖTV abgeschlossenen Tarifverträge KSH gebunden war.
Am 1.7.2001 schlossen sich u.a. die IG Medien und die ÖTV durch Verschmelzung zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zusammen. Seitdem wendet die Beklagte wieder ausschließlich die TV KSH an, wogegen sich der Kläger wendet.
Entscheidung
Das BAG entschied, dass die TV KSH mit Wirkung vom 1.7.2001 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Ursprünglich galten die TV Druck kraft beiderseitiger Tarifbindung des Klägers und der A-KG. In Folge des Betriebsüberganges zum 1.4.1998 wurden die TV Druck nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in den Arbeitsvertrag transformiert; eine kollektivrechtliche Weitergeltung war mangels beiderseitiger Tarifbindung ausgeschlossen, weil die Beklagte nicht dem TV Druck unterfiel.
Mit der Verschmelzung der IG Medien, ÖTV und anderer Gewerkschaften zu ver.di zum 1.7.2001 ist die beiderseitige kongruente Tarifbindung aber eingetreten. Mit der Verschmelzung sind alle Tarifverträge der Gründungsgewerkschaften im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ver.di übergegangen. Da mit der Verschmelzung ver.di Vertragspartei der TV KSH und der Kläger Mitglied von ver.di geworden sind, bestand ab diesem Zeitpunkt eine beiderseitige, kongruente, normative Bindung an die TV KSH. Deshalb ist § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB anwendbar, in dem das Ordnungsprinzip der betrieblichen Tarifeinheit zum Ausdruck kommt. Diese Regelung räumt den kollektivrechtlichen Regelungen beim Betriebserwerber Vorrang vor denen des Veräußerers ein und zwar unabhängig von einer bestimmten Zeit oder Schutzfrist. Weder § 95 der ver.di Satzung noch das Günstigkeitsprinzip können dem entgegenstehen, da § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eine spezialgesetzliche Regelung ist, die nicht durch Satzungsrecht verhindert werden kann. Die Vorschrift zeigt, dass die bisherigen kollektivrechtlichen Regelungen gewissermaßen unter einem immanenten Ablösungsvorbehalt stehen, d.h. es gilt das Ablöseprinzip. Die kongruente Tarifgebundenheit an die TV KSH führt dazu, dass die TV Druck keine Anwendung mehr finden. Denn sie sind durch die denselben Regelungsgegenstand betreffenden Tarifnormen der TV KSH abgelöst worden. Dies war bei allen Ansprüchen, die Gegenstand der Revision waren, der Fall.
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Konsequenzen
Die Entscheidung enthält wichtige Feststellungen zur komplexen kollektivrechtlichen Lage bei bzw. nach Betriebsübergängen, insbesondere was die Verdrängung betrifft (vgl. Stück, AuA 2/2003, S. 10 ff.). Im Falle eines Betriebsteilübergangs verdrängen die neuen TV des Erwerbers die alten TV des Veräußerers nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nur dann, wenn
- eine beiderseitige kongruente Tarifbindung vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die TV des Erwerbers allgemeinverbindlich sind oder der Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft ist, die mit dem Erwerber selbst (Firmen-TV) oder dem Arbeitgeberverband, dessen Mitglied der Erwerber ist (Verbands-TV), Tarifverträge geschlossen hat. Wechselt der Arbeitnehmer nicht die Gewerkschaft, kann sich eine kongruente Tarifbindung - wie vorliegend bei ver.di - durch die Verschmelzung von Gewerkschaften ergeben. Auf beide Umstände hat der Arbeitgeber keinen Einfluss, so dass er selbst eine kongruente Tarifbindung nicht herbeiführen kann.
- die Arbeitnehmer unter den persönlichen, räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des ablösenden neuen TV fallen.
- die Tarifregelungen des Erwerbers die des Veräußerers in gegenständlicher Hinsicht ablösen, d.h. "denselben" Regelungsgegenstand betreffen. Wo es eine funktional verstandene Kollision nicht gibt, bleibt es bei der individualrechtlichen Fortgeltung der Veräußerertarifregelungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB.
Der Zeitpunkt spielt dabei keine Rolle. Zu Betriebsvereinbarungen hatte das BAG entschieden, dass die Rechte aus einer Betriebsvereinbarung beim Veräußerer, die zum individualrechtlichen Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden sind (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB), beim Erwerber durch eine bereits beim Betriebsübergang vorhandene oder auch erst später geschaffene Betriebsvereinbarung abgelöst werden können; auch hier gilt statt des Günstigkeitsprinzips das Ablöseprinzip (BAG v. 14.8.2001 - 1 AZR 619/00, DB 2002, S. 380). Entsprechendes gilt beim TV unter den oben genannten Voraussetzungen.
Praxistipp
Im Rahmen einer Due Diligence muss bei jedem Betriebsteilübergang sorgfältig geklärt werden, was an kollektivrechtlichem Regelungswerk vorhanden ist, und was davon kollektivrechtlich nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ohne Schutzfrist abgelöst werden kann. Ebenso wichtig ist, was in den Arbeitsvertrag nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert wird und individualrechtlich mit einjähriger Schutzfrist weitergilt. Kollektivrechtliche Regelungen, insbesondere solche in Betriebsvereinbarungen, lassen sich i.d.R. rechtlich einfacher und flächendeckender ändern - nämlich durch ablösende Erwerberregelung -, als individualrechtliche, bei denen nur Änderungsvertrag oder die Änderungskündigung (vgl. Stück, AuA 4/05, S. 212) bleiben.
RA Volker Stück, Stuttgart
Redaktion (allg.)
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