Problempunkt
Die Parteien streiten um Einmalzahlungen. Die Klägerin war als Lehrerin bei der Beklagten zunächst bis zum 31.7.2004 befristet angestellt. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses waren beide Parteien tarifgebunden. Dazu gehörten Regelungen, nach denen die Klägerin Anspruch auf eine Jahreszuwendung und auf Urlaubsgeld hatte. Die Beklagte trat mit Wirkung zum 8.1.2003 aus der Tarifgemeinschaft aus. Die Tarifverträge wurden zum 31.7.2003 gekündigt. Bei neu eingestellten Lehrkräften wendete die Beklagte die Tarifverträge über die Jahreszuwendung und das Urlaubsgeld seit dem 1.8.2003 nicht mehr an.
Am 12.8.2004 schlossen die Parteien einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Nach dessen Wortlaut ist eine Anwendung der Tarifverträge über Jahreszuwendungen und Urlaubsgeld ausdrücklich ausgeschlossen. Die Klägerin machte trotzdem mit ihrer Klage Ansprüche auf Urlaubgeld und auf die Jahreszuwendung in tariflicher Höhe geltend. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG wiesen die Klage ab.
Entscheidung
Die Revision vor dem BAG hatte Erfolg. Nach Ansicht des Gerichts ergibt sich der Zahlungsanspruch aus § 611 BGB in Verbindung mit den bei der Beklagten geltenden Vergütungsgrundsätzen. Bis zum Ende der Tarifbindung zum 31.7.2004 waren die Ansprüche aus den Tarifverträgen Gegenstand der Vergütungsgrundsätze bei der Beklagten. Obwohl sie mittlerweile aus der Tarifgemeinschaft ausgetreten ist, sind diese mangels wirksamer Änderung immer noch gültig. Indem die Beklagte die Jahreszuwendung und das Urlaubsgeld strich, verschob sie das Verhältnis der einzelnen Vergütungsbestandteile zueinander. Dadurch änderte sie die betrieblichen Vergütungsgrundsätze und führte mit Wirkung zum 1.8.2003 neue ein. Sie versäumte jedoch, den Betriebrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen. Damit war die Einführung unwirksam. Die Klägerin kann sich also auf die bisherigen Vergütungsgrundsätze berufen und verlangen, dass die Beklagte ihr Urlaubsgeld und die Jahreszuwendung zahlt.
Grundsätzlich kann ein tarifgebundener Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG übertarifliche Sonderzahlungen, wie Urlaubsgeld, jederzeit ohne Beteiligung des Betriebsrats einstellen. Dadurch reduziert er die Vergütung lediglich auf die tarifliche Mindestvergütung.
Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber besteht dagegen keine tarifliche Mindestvergütung. Folglich ist die Gesamtvergütung, d. h. die Vergütung inklusive aller Sonderzahlungen, zu betrachten. Stellt das Unternehmen, wie hier, eine Sonderzahlung ein, ändert es damit den Vergütungsgrundsatz, dass es einen Teil der Vergütung als Sonderzahlung leistet. Vorliegend hatte die Beklagte den Betriebsrat nicht an der Änderung beteiligt. Daher gelten die tariflichen Vergütungsgrundsätze weiter. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Jahreszuwendung und auf Urlaubsgeld zu. Das gilt auch, wenn der Arbeitvertrag dies ausdrücklich ausschließt.
#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).
Konsequenzen
Arbeitgeber, die nach dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft auch ihre Vergütungsgrundsätze ändern wollen, sollten in jedem Fall die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Auge behalten. Allein der Austritt aus der Tarifgemeinschaft führt nicht dazu, dass neben der Bindung an die Tariflöhne auch die tariflichen Vergütungsgrundsätze als die im Betrieb geltenden Vergütungsgrundsätze entfallen. Das Unternehmen darf sie nur ändern, wenn es die Beteiligungsrechte des Betriebsrats wahrt. Ansonsten ist die Änderung unwirksam und kann dazu führen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern Leistungen gewähren muss, die im Arbeitsvertrag gar nicht gesondert ausgewiesen sind.
Praxistipp
Es ist jedoch mitbestimmungsfrei möglich, das Entgelt (Grundvergütung und Zusatzleistungen) aller Beschäftigten gleichermaßen um denselben Prozentsatz zu kürzen. In diesem Fall bleiben die ursprünglichen Verteilungsgrundsätze unberührt. Der Arbeitgeber ändert lediglich den Dotierungsrahmen und nicht die mitbestimmungspflichtigen betrieblichen Vergütungsgrundsätze. Auf diese Möglichkeit weist das BAG in seiner Entscheidung ausdrücklich hin.
RAin Nadine Hesser, Frankfurt
Redaktion (allg.)
· Artikel im Heft ·
Problempunkt
§ 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG sieht vor, dass die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten in einem Tarifvertrag von
Tarifvertrag als Rechtsgrundlage
Gestaltungen zur tariflichen und betrieblichen Arbeitszeit sind Arbeitsbedingungen nach § 1 Abs. 1
Ausgangssituation
Die Arbeitsentgelte in der Pflege werden aktuell durch verschiedene Regelungskomplexe beeinflusst. Im Februar 2022
Vor dem LAG Baden-Württemberg stritten die Parteien über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs.
Die
Standort- und Beschäftigungssicherung
Standortsicherung und Beschäftigungssicherung kann man guten Gewissens als Handwerkszeug der
Vor dem LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urt. v. 23.11.2021 – 5Sa88/21, rk.) stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen