Anpassung von Betriebsrenten durch den Betriebserwerber

1. Der Arbeitgeber darf bei seiner Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG seine eigene wirtschaftliche Lage berücksichtigen. Arbeitgeber i.S.d. § 16 Abs. 1 BetrAVG ist dabei stets der Partner des Arbeitsverhältnisses, den die Pflichten aus der Versorgungszusage treffen, nach einem Betriebsübergang also der Betriebserwerber. Dieser kann mit Blick auf seine wirtschaftliche Lage die Anpassung der gesamten Rentenleistung - auch der beim Betriebsveräußerer erworbenen Teile - ablehnen.

 

2. Bei der Einschätzung seiner eigenen wirtschaftlichen Lage nach § 16 Abs. 1 BetrAVG steht dem Arbeitgeber ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Prognose muss aber realitätsgerecht und vertretbar sein. Hierfür ist i.d.R. Voraussetzung, dass die bisherige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens über einen repräsentativen Zeitraum von mindestens drei Jahren ausgewertet wird.

 

3. Auf die wirtschaftliche Lage eines anderen - konzernrechtlich verbundenen - Unternehmens kommt es im Rahmen der Anpassungsentscheidung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG nach momentaner Rechtslage nur an, wenn ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder die konzernrechtlichen Verflechtungen einen Berechnungsdurchgriff rechtfertigen. Zu gegebener Zeit wird der Senat überprüfen, ob diese Voraussetzungen angesichts der neueren Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff anzupassen sind.

(Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 25. April 2006 - 3 AZR 50/05 § 16 BetrAVG; § 613a BGB

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Bild: Nirat.pix / stock.adobe.com
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Problempunkt

Im Rahmen eines Betriebsübergangs übernimmt der Erwerber auch die Verpflichtung, den übergegangenen Arbeitnehmern ihre - vom Veräußerer zugesagte - Betriebsrente zu leisten. Gehören Veräußerer und Erwerber demselben Konzern an und verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage des Erwerbers so, dass er keine Anpassungen der laufenden Rentenleistungen nach § 16 Abs. 1 BetrAVG mehr vornehmen kann, stellt sich die Frage, ob die Arbeitnehmer diese stattdessen vom Veräußerer verlangen können. Der Dritte Senat des BAG hat in der Entscheidung seine Grundsätze zur Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG sowie zum sog. Berechnungsdurchgriff anschaulich zusammengefasst. Zugrunde lag - leicht vereinfacht - folgender Sachverhalt: Die Kläger waren zunächst bei der D-AG beschäftigt, die ihnen eine betriebliche Altersversorgung über die konzerneigene Unterstützungskasse zugesagt hatte. 1995 gingen dann ihre Arbeitsverhältnisse durch Betriebsübergang auf die - konzernangehörige - Beklagte über. Diese passte die laufenden Rentenleistungen für die Jahre 1995 bis 2001 jeweils im selben Umfang an wie die D-AG. Zum 1.1.2002 schloss die Beklagte dann mit der D-AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. In den Jahren 2002 und 2003 erhöhte Letztere wiederum ihre laufenden Rentenleistungen; die Beklagte hingegen lehnte eine Anpassung mit Verweis auf ihre schlechte wirtschaftliche Lage ab. Die Kläger hatten geltend gemacht, die Beklagte hätte - aufgrund eines Konzerndurchgriffs (sog. Berechnungsdurchgriff) - ihre laufenden Rentenleistungen in den Jahren 2002 und 2003 im selben Umfang anpassen müssen wie die D-AG.

Entscheidung

Der Dritte Senat des BAG verneinte einen Anspruch der Kläger auf Anpassung ihrer laufenden Rentenleistungen für die Jahre 2002 und 2003 und lehnte im konkreten Fall insbesondere einen Berechnungsdurchgriff ab. Das Gericht stellte zunächst klar, dass es sich bei dem Arbeitgeber, der die Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG treffen muss, stets um den Partner des Arbeitsverhältnisses handelt, den die Pflichten aus der Versorgungszusage treffen. Nach einem Betriebsübergang ist dies der Erwerber, auf den die Pflicht zur Erfüllung der Versorgungszusage übergegangen ist. Auf den Durchführungsweg kommt es hingegen nicht an. Wird - wie im vorliegenden Fall - die betriebliche Altersversorgung über eine Unterstützungskasse abgewickelt, handelt diese bloß als Zahlstelle. Entscheidend für die Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ist allein die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers. Der Betriebserwerber kann deshalb die Anpassung der gesamten Rentenleistung - also auch der beim Betriebsveräußerer erworbenen Teile der Betriebsrente - ablehnen. Denn § 613a Abs. 1 BGB gewährt den übergehenden Arbeitnehmern zwar grundsätzlich Inhaltsschutz hinsichtlich ihrer Rentenansprüche - die sich weiter nach den bisherigen Regelungen richteten -, von diesen rechtlichen Regelungen sind aber die tatsächlichen Verhältnisse - die wirtschaftliche Lage des Betriebserwerbers - zu unterscheiden. Wollten sich die übergehenden Arbeitnehmer den Folgen einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Betriebserwerbers entziehen, müssten sie dem Betriebsübergang widersprechen. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse eines anderen konzernrechtlich verbundenen Unternehmens kommt es im Rahmen der Anpassungsentscheidung grundsätzlich nicht an. Etwas anderes gilt nur, wenn entweder ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wird oder die konzernrechtlichen Verflechtungen einen sog. Berechnungsdurchgriff rechtfertigen. Im vorliegenden Fall führte der zum 1.1.2002 abgeschlossene Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwar zu einer verdichteten Konzernverbindung zwischen der Beklagten und der D-AG. Eine solche allein reicht nach der ständigen Rechtsprechung des BAG für die Bejahung eines Berechnungsdurchgriffs jedoch nicht aus. Vielmehr muss hinzukommen, dass das herrschende Unternehmen (hier die D-AG) die Leitungsmacht in einer Weise ausübt, die keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft (hier der Beklagten) nimmt, sondern stattdessen die Interessen anderer dem Konzern angehörender Unternehmen oder seine eigenen in den Vordergrund stellt und dadurch den Mangel der Leistungsfähigkeit der Versorgungsschuldnerin (hier der Beklagten) verursacht. Ein solchermaßen schädliches Verhalten der D-AG konnte das BAG allerdings nicht erkennen. Auch gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach die wirtschaftliche Lage eines konzernabhängigen Unternehmens regelmäßig durch nachteilige, im Konzerninteresse erfolgende Vorteilsverschiebungen beeinträchtigt wird. Der Dritte Senat sah auch keinen Anlass zur Erweiterung des Berechnungsdurchgriffs. Er kündigte jedoch an, sich bei gegebenem Anlass damit auseinanderzusetzen, ob die Voraussetzungen des Berechnungsdurchgriffs angesichts der neueren Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff (dem sich auch das BAG grundsätzlich bereits angeschlossen hat) anzupassen sind. Schließlich bekräftigten die Erfurter Richter auch ihre Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der eine Anpassung verhindernden wirtschaftlichen Lage. Diese trifft den Arbeitgeber und erfordert zunächst, dass seine Anpassungsentscheidung billigem Ermessen entspricht und sich in den Grenzen des § 16 BetrAVG hält. Darüber hinaus sind aber alle die Entscheidung beeinflussenden Umstände relevant. Hinsichtlich der voraussichtlichen künftigen Belastbarkeit seines Unternehmens muss der Arbeitgeber eine Prognose erstellen. Für diese steht ihm zwar ein Beurteilungsraum zu, insgesamt muss sie aber realitätsgerecht und vertretbar sein. Grundsätzlich ist Grundlage hierfür die Auswertung der bisherigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens über einen repräsentativen Zeitraum von mindestens drei Jahren hinweg.

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Konsequenzen

Es steht zu erwarten, dass das BAG seine Rechtsprechung zum Berechnungsdurchgriff bei entsprechender Gelegenheit an die Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff anpassen wird. Hierdurch werden sich voraussichtlich die Voraussetzungen für die Annahme eines Berechnungsdurchgriffs im Einzelnen etwas verschieben; an der grundsätzlichen Linie der BAG-Rechtsprechung - die die Voraussetzungen eines solchen Berechnungsdurchgriffs in den letzten Jahren zunehmend erschwert hat - dürfte sich hierdurch allerdings kaum etwas ändern.

Praxistipp

Arbeitgeber, die die Anpassung laufender Betriebsrenten unter Verweis auf ihre wirtschaftliche Lage unterlassen wollen, sollten die Grundlagen dieser Entscheidung in jedem Fall hinreichend dokumentieren. Hierzu genügt es nach der Rechtsprechung des BAG nicht, über einen gewissen Zeitraum hinweg erhebliche Verluste vorweisen zu können. Vielmehr muss der Arbeitgeber im Streitfall konkret darlegen und beweisen, worauf diese im Einzelnen zurückzuführen sind und weshalb er davon ausgehen durfte, die wirtschaftliche Lage seines Unternehmens werde auch in den folgenden drei Jahren so schlecht sein, dass eine Anpassung der laufenden Betriebsrenten das Unternehmen überfordert.

RAin Dr. Ann-Christine Hamisch, M.Jur. (Oxford), Lovells, München

Redaktion (allg.)

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