Ausschlussfrist bei außerordentlicher Kündigung

1. Die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich bzw. tariflich (§ 54 Abs. 2 BAT) konkretisierter Verwirkungstatbestand. Die Frist beginnt, wenn der Arbeitgeber eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht.

2. Der Arbeitgeber, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann - mit gebotener Zügigkeit - Ermittlungen anstellen und den betroffenen Arbeitnehmer anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt.

3. Der bereits eingetretene Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB schadet dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nach Abschluss des innerhalb der Frist eingeleiteten personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungsverfahrens unverzüglich ausspricht.

4. Findet das Mitbestimmungsverfahren seinen Abschluss, so muss der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich nach Kenntnis von der Entscheidung aussprechen. Er ist dagegen in der Regel nicht verpflichtet, von sich aus Erkundigungen über Zeitpunkt und Inhalt der Entscheidung des Hauptpersonalrats einzuholen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die klagende Berliner Schulsekretärin hatte mehrere schuleigene Bücher über das Internetauktionshaus "ebay" verkauft. Der entsprechende Verdacht bestätigte sich durch zwei vom Schuldirektor veranlasste Scheinkäufe in den Weihnachtsferien 2003/2004. Nachdem die Schulleitung die Klägerin am 5.1.2004 freigestellt und der kündigungsberechtigten Bezirksverwaltung auf Anfrage in den folgenden Tagen weitere Informationen zum Sachverhalt übermittelt hatte, wurde die Klägerin vom Personalamt zu einer Anhörung zum 15.1.2004 geladen. Am nächsten Tag beantragte das beklagte Land Berlin die Zustimmung der Personalvertretung zur fristlosen Kündigung. Nachdem das Gremium am 21.1.2004 widersprochen hatte, leitete das beklagte Land einen Tag später das Mitbestimmungsverfahren nach § 80 PersVG Berlin ein. Einen Tag nach dem Scheitern der Einigungsverhandlung teilte die Dienstbehörde mit, die Kündigungsabsicht aufrechtzuerhalten. Die Personalvertretung bat daraufhin den Hauptpersonalrat um Anrufung der Einigungsstelle, was der aber am 19.2.2004 ablehnte. Dies teilte er der Dienstbehörde mit Schreiben vom 24.2.2004 mit, das am 1.3.2004 einging. Das beklagte Land kündigte der Klägerin mit am 2.3.2004 zugegangenem Schreiben vom gleichen Tage außerordentlich und fristlos.

 

 

Entscheidung

Das BAG hat die Entscheidung des LAG Berlin aufgehoben, das die Kündigung wegen Nichteinhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 54 Abs.2 BAT für unwirksam erachtet hatte. Die Bestimmung des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist gestaltet sich schwierig, wenn der Verdacht eines die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Verhaltens gegeben ist und der Arbeitgeber zur Sachverhaltsaufklärung weitere Ermittlungen durchführen muss. Die Frist beginnt dann nach ständiger Rechtsprechung erst in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat. Dazu darf er auch das Ergebnis einer Anhörung des Arbeitnehmers abwarten. Diese sollte nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 6.7.1972 - 2 AZR 386/71, BAGE 24, S. 341) im Allgemeinen innerhalb einer Woche ab Kenntnis des Verdachts erfolgen. Das BAG stellte nun klar, dass die Wochenfrist überschritten werden darf, wenn - wie hier - zuvor der Sachverhalt noch weiter aufgeklärt werden muss und dies in der gebotenen Eile geschieht. Die Ausschlussfrist lief deshalb vorliegend ab dem 15.1.2004. Die Kündigung war auch nicht deshalb verspätet, weil sie erst am 2.3.2004 und damit mehr als zwei Wochen nach dem 15.1.2004 erfolgte. Ist ein Mitbestimmungsverfahren wie hier nach §§ 79f. PersVG Berlin vorgeschrieben, reicht es zur Fristwahrung aus, wenn das Verfahren innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eingeleitet wird und die Kündigung unmittelbar nach Verfahrensabschluss erfolgt. Zu diesem Ergebnis gelangt das BAG über die analoge Anwendung des § 91 Abs. 5 SGB IX, nach dem die Kündigung eines Schwerbehinderten auch nach Ablauf der Ausschlussfrist erklärt werden kann, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt. Übertragen auf § 80 Abs. 1 PersVG Berlin bedeutet dies, dass die Kündigung unverzüglich nach der Entscheidung des Hauptpersonalrats erfolgen müsse. Daraus könne jedoch nicht in entsprechender Anwendung des § 91 Abs. 3 SGB IX abgeleitet werden, dass das beklagte Land sich nach Ablauf der dem Hauptpersonalrat in § 81 Abs. 1 PersVG gesetzten Zwei-Wochen-Frist nach dessen Entscheidung hätte erkundigen müssen und nicht die Benachrichtigung hätte abwarten dürfen. Die Analogie von § 91 Abs. 3 SGB IX lehnt das BAG ab, weil die Vorschrift keine mit dem Mitbestimmungsverfahren vergleichbare Konstellation betreffe. Stattdessen legen die Erfurter Richter das Tatbestandmerkmal der „unverzüglichen“, d.h. gemäß der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“ erklärten Kündigung aus. Solange der Arbeitgeber annehmen dürfe, dass er noch nicht kündigen müsse, liege kein „schuldhaftes Zögern“ vor. Da der Hauptpersonalrat auch die Einigungsstelle anrufen könne und das Verfahren dann noch weitere zwei Monate dauere, müsse der Arbeitgeber nach Ablauf von zwei Wochen nicht davon ausgehen, dass das Verfahren bereits abgeschlossen sei.

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Konsequenzen

Die Entscheidung enthält zwei begrüßenswerte Klarstellungen zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB: Zum einen darf der unverzüglich Ermittlungen durchführende Arbeitgeber eine in der gebotenen Eile anberaumte Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers abwarten. Zum anderen werden die Anforderungen an den Arbeitgeber hinsichtlich der Erkundigungspflichten zum Verlauf von Mitbestimmungsverfahren nicht überspannt.

Praxistipp

Ausdrücklich offen gelassen hat das BAG, ob zur Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB das Beantragen der Zustimmung der Personalvertretung ausreicht oder ob der Arbeitgeber bei Widerspruch der Vertretung das weitere Mitbestimmungsverfahren ebenfalls noch innerhalb der Frist einleiten muss. Diesbezüglich kann nur empfohlen werden, das Mitbestimmungsverfahren entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des BAG möglichst noch innerhalb der Frist einzuleiten.

RA und FA ArbR Dr. Roland Gastell, Lovells, Düsseldorf

Redaktion (allg.)

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