Problempunkt
Der Kläger ist seit dem 10.7.1972 bei der Beklagten, einer Behörde der Bundeswehr, beschäftigt. Ihm steht ein PC mit Internetzugang zur Verfügung, der nach einer gültigen Dienstvorschrift nicht zu privaten Zwecken genutzt werden darf. Darauf weist das Unternehmen in regelmäßigen Abständen von 2 Jahren hin. Der Kläger bestätigte zuletzt im Dezember 2003 die Kenntnisnahme von dieser Regelung. Bei einer Überprüfung seines PC stellte die Beklagte am 13.5.2004 fest, dass er im Zeitraum vom 8.3.2004 bis 13.5.2004 fast täglich in einem Umfang zwischen 15 Minuten und 3 Stunden, insgesamt ca. 50 Stunden, privat während seiner Arbeitszeit im Internet gesurft und dabei insbesondere pornografische Seiten besucht hat. Auf einer am 11.5.2004 vom Kläger aufgerufenen Seite ist Sex mit Tieren dargestellt. Einige der von ihm vorübergehend abgespeicherten Dateien hatten kinderpornografische Darstellungen zum Gegenstand. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Verbreitung solcher Schriften wurde zwischenzeitlich eingestellt. Nach Anhörung des Klägers und Zustimmung des Personalrats sowie des Integrationsamtes kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dieser Kündigung.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz gab der Klage statt. Der Beklagten sei im Hinblick auf die lange unbeanstandete Tätigkeit des Klägers eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen. Deshalb sei eine außerordentliche fristlose Kündigung unwirksam, während dagegen eine ordentliche an der Unkündbarkeit des Klägers nach §§ 53 Abs. 3, 55 BAT scheitere. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob die Entscheidung des LAG auf. Unstreitig surfte der Kläger mehr als 2 Monate lang fast täglich in einem Umfang zwischen ca. 15 Minuten und knapp 3 Stunden verbotswidrig im Netz, insbesondere um sich pornografische Seiten anzuschauen. Die Erfurter Richter hielten deshalb eine außerordentliche fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung für gerechtfertigt. Bei der privaten Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während der Arbeitszeit kommen als kündigungsrelevante Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten in Betracht - Das Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten, insbesondere wenn damit die Gefahr einer Vireninfizierung oder anderen Störungen des Betriebssystems im Unternehmen verbunden ist. - Die Nutzung des Internetanschlusses als solche, weil dadurch dem Arbeitgeber möglicherweise zusätzliche Kosten entstehen können. - Das private Surfen im Netz, weil der Mitarbeiter in dieser Zeit seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht erbringt und dadurch seine Arbeitspflicht verletzt. Bei der Interessenabwägung berücksichtigt das BAG außerdem noch eine mögliche Rufschädigung des Arbeitgebers durch die Zurückverfolgung der aufgerufenen Seiten. Dieser maß das BAG auch im konkreten Fall besondere Bedeutung bei. Es ist dem Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit höchst abträglich, wenn der Ruf entsteht, die Mitarbeiter in zivilen Stellen beschäftigten sich anstatt mit Dienstaufgaben zu einem erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit dem Betrachten von Pornoseiten im Internet. Das Gericht hielt deshalb die Kündigung für gerechtfertigt, obwohl der Kläger nach §§ 53 Abs. 3, 55 BAT ordentlich unkündbar war. Für die Frage der Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung kommt es allein darauf an, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung für die Dauer der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist. Die Unkündbarkeit ist bei dieser Interessenabwägung nicht noch einmal zu berücksichtigen. Sie hat für den Mitarbeiter nur den Vorteil, dass eine ordentliche Kündigung nicht möglich ist. Bei einer außerordentlichen rechtfertigt sie jedoch keine Sonderbehandlung.
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Konsequenzen
Das BAG setzt mit diesem Urteil seine in den Entscheidungen vom 7.7.2005 (2 AZR 581/04, dazu Göbbels, AuA 8/05, S. 472) und vom 12.1.2006 (2 AZR 179/05, dazu Möller, AuA 1/07, S. 54) begonnene Linie konsequent fort. Die verbotene Privatnutzung ist selbst dann ein Kündigungsgrund, wenn dadurch keine besonderen Gefahren, etwa durch das Herunterladen vireninfizierter Dateien, und auch keine besonderen Kosten für den Arbeitgeber entstanden sind. Allein die Beschäftigung mit privaten Dingen während der Arbeitszeit in einem erheblichen Umfang rechtfertigt eine verhaltensbedingte Kündigung. Bei privatem Surfen in exzessivem Umfang ist sie sogar ohne vorhergehende Abmahnung möglich.
Praxistipp
Wie sich diese Rechtsprechungsentwicklung fortsetzen wird, ist zweifelhaft. Die bisher entschiedenen Fälle betrafen ganz gravierende Verletzungen des Verbots der privaten Internetnutzung nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sondern auch die Art und Weise erfolgte in der Nähe strafrechtlich relevanten Verhaltens. Selbst in solchen schwerwiegenden Fällen mussten die Erfurter Richter die jeweils gegenteiligen LAG-Entscheidungen korrigieren. Die Gerichte der unteren Instanzen stellen in der Regel strengere Anforderungen an den Kündigungsgrund. Es bleibt also abzuwarten, ob sich die Linie des BAG bei den erst- und zweitinstanzlichen Gerichten durchsetzen wird. Es besteht aber die Hoffnung, dass jedenfalls bei gravierenden Verletzungen der arbeitsvertraglichen Pflichten durch die private Internetnutzung eine Kündigung in Zukunft leichter möglich sein wird.
RA Dr. Reinhard Möller, Rechtsanwälte Bartsch und Partner, Karlsruhe
Redaktion (allg.)
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