Problempunkt
Der Kläger, ein außertariflicher Angestellter, war seit 1981 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Ihm war anfangs eine endgehaltsbezogene betriebliche Altersversorgung zugesagt worden. Die Berechnung seiner Versorgungsleistungen sollte dabei von seinem letzten monatlichen Brutto-Grundgehalt ausgehen. Mit Vereinbarung vom 8.5.1982 änderten der Kläger und die Arbeitgeberin dann einzelvertraglich die ursprüngliche Versorgungszusage dahingehend ab, dass Berechnungsgrundlage ein monatliches Brutto-Grundgehalt in Höhe von 5.000 DM sein sollte. Inhaltsgleiche Vereinbarungen schloss die Arbeitgeberin mit etwa 20 weiteren außertariflichen Angestellten ab. Den Betriebsrat beteiligte sie hierbei nicht.
Nach seinem Ausscheiden im Jahr 2000 machte der Kläger geltend, seine Altersrente sei ausgehend von seinem tatsächlich bezogenen letzten monatlichen Brutto-Grundgehalt - das erheblich höher war als 5.000 DM - zu berechnen.
Entscheidung
Der dritte Senat des BAG gab dem Kläger Recht. Er sah die Vereinbarung vom 8.5.1982, mit der die Berechnungsgrundlage für seine Versorgungsleistungen auf 5.000 DM beschränkt worden war, als unwirksam an. Zwar konnte der Kläger - auf individualrechtlicher Ebene - (teilweise) auf seine Versorgungsanwartschaft verzichten. Das BAG bestätigte hiermit ein weiteres Mal seine ständige Rechtsprechung, wonach ein solcher Verzicht im laufenden Arbeitsverhältnis zulässig ist und nicht gegen das gesetzliche Verbot des § 3 BetrAVG verstößt. Letzteres untersagt nur den Verzicht auf gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaften im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (oder die Abfindung entsprechender Anwartschaften).
Allerdings hatte die Arbeitgeberin nach Ansicht des BAG - auf kollektivrechtlicher Ebene - das dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 zustehende Mitbestimmungsrecht verletzt. Dieses besteht zwar nicht hinsichtlich der Absenkung des Dotierungsrahmens einer freiwilligen Arbeitgeberleistung als solcher (hier: hinsichtlich des Verzichts). Allerdings ist die Ausgestaltung des Leistungsplans - also die Frage der Verteilungsgerechtigkeit - bei der Umsetzung einer solchen Absenkung mitbestimmungspflichtig. Bei dem Punkt, ob nur in die Rechte bestimmter Arbeitnehmer eingegriffen werden soll, d.h. die Berechnungsgrundlage ausschließlich für außertarifliche Angestellte begrenzt wird, sah das BAG die Verteilungsgerechtigkeit berührt und damit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gegeben. Dieses kann der Arbeitgeber auch nicht durch den Abschluss einzelvertraglicher Vereinbarungen umgehen. Denn ob ein kollektiver Tatbestand - und somit ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG - vorliegt, richtet sich nach dem Inhalt der Regelung, nicht nach deren Form. Eine - mitbestimmungsfreie - Einzelfallgestaltung liegt nur vor, wenn mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers Vereinbarungen getroffen werden, die in keinem inneren Zusammenhang zu ähnlichen Klauseln für andere Mitarbeiter stehen. Im vorliegenden Fall allerdings sah das BAG die mit den ca. 20 außertariflichen Angestellten geschlossenen Regelungen als in einem inneren Zusammenhang stehend an. Folglich handelte es sich um einen kollektiven - das Mitbestimmungsrecht auslösenden - Tatbestand.
Das BAG bekräftigte in diesem Zusammenhang auch die Geltung der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Frage, ob ein kollektiver Tatbestand vorliegt und dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Für den Arbeitnehmer ist es daher zunächst ausreichend, aufgrund der mit mehreren Beschäftigten getroffenen Vereinbarungen das Vorliegen einer einheitlichen Regelungskonzeption zu behaupten.
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Konsequenzen
Schon aufgrund des Schutzzwecks des Mitbestimmungsrechts konnte die unterlassene Beteiligung des Betriebsrats nach Ansicht des BAG zu nichts anderem als der Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 8.5.1982 führen. Die Begrenzung der Berechnungsgrundlage für die betriebliche Altersrente des Klägers war daher unwirksam. Der Berechnung war vielmehr sein tatsächlich bezogenes letztes Brutto-Monatsgehalt zugrunde zu legen.
Auf den Einwand der Verwirkung kann sich die Arbeitgeberin nach Meinung der Richter dabei nicht berufen. Die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats liegt allein in ihrem Verantwortungsbereich. Sie konnte nicht erwarten, dass die Arbeitnehmer das Verhalten des Unternehmens gegenüber dem Betriebsrat überprüfen, eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts erkennen und dann rügen. Schließlich müssen sie nicht über bessere Rechtskenntnisse verfügen als die Arbeitgeberin selbst.
Praxistipp
Werden - wenn auch nur mit einer geringen Zahl von Arbeitnehmern - Vereinbarungen bezüglich der Herabsetzung der betrieblichen Altersversorgung abgeschlossen, sollte im Vorfeld stets sorgfältig geprüft werden, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Denn die Missachtung zieht die Unwirksamkeit der abgeschlossenen Vereinbarungen nach sich. Dies kann zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen des Arbeitgebers führen, der sich auf die Wirksamkeit der Vereinbarungen und damit die Reduzierung seiner Leistungspflicht verlassen hat. Er wird regelmäßig keine Rückstellungen für die zusätzlichen Rentenzahlungen gebildet oder Ausfinanzierungen organisiert haben.
RAin Dr. Ann-Christine Hamisch, M.Jur. (Oxford), Lovells, München
Redaktion (allg.)
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