BR-Stellungnahme zur Massenentlassung im Interessenausgleich

Auch die in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme des Betriebsrats kann den Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige in § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG genügen.

(Leitsatz des Bearbeiters)
 

BAG, Urteil vom 21. März 2012 – 6 AZR 596/10

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Im Fall einer Massenentlassung sind die einzelnen Kündigungen nur wirksam, wenn die gegenüber der Agentur für Arbeit zu erstattende Massenentlassungsanzeige den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist der Betriebsrat schriftlich über verschiedene Umstände zu unterrichten. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist der Massenentlassungsanzeige dann seine Stellungnahme beizufügen. Da die Unterrichtungspflichten aus § 111 BetrVG und § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG weitgehend übereinstimmen, entspricht es häufig der betrieblichen Praxis, auch die Stellungnahme des Betriebsrats gem. § 17 Abs. 2 Satz 3 KSchG mit in den Interessenausgleich aufzunehmen.

Gesetzlich ist aber lediglich in den § 125 Abs. 2 InsO und § 1 Abs. 5 KSchG vorgesehen, dass ein Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzen kann. Das LAG Baden- Württemberg hatte im vorliegenden Fall daraus abgeleitet, dass außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften die Aufnahme der Stellungnahme des Betriebsrats in einen Interessenausgleich den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige nicht genügt.

Der Interessenausgleich ohne Namensliste enthielt hier folgenden Passus: "Die gem. § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Auskünfte wurden dem Betriebsrat am 1.10.2009 von dem Insolvenzverwalter erteilt. Der Betriebsrat sieht abschließend keine Möglichkeiten, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist somit abgeschlossen". Die Beklagte fügte der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit den Interessenausgleich bei. Sie wies außerdem ausdrücklich gesondert auf die darin enthaltene Stellungnahme hin. Dennoch hielt das LAG Baden-Württemberg die Anzeige für unwirksam und gab der Kündigungsschutzklage statt.

Entscheidung

Das BAG folgte der Ansicht des LAG Baden-Württemberg nicht und wies die Kündigungsschutzklage ab. Es ging davon aus, dass die in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme des Betriebsrats den Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG genügt, wenn sie eindeutig erkennen lässt, dass sie sich abschließend auf die angezeigten Kündigungen bezieht. Die hier verwendete Klausel entsprach diesen Anforderungen.

§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG verlangt keine Stellungnahme in einem eigenständigen Dokument. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus Sinn und Zweck der Vorschrift: Die Stellungnahme des Betriebsrats soll zeigen, ob und welche Möglichkeiten bestehen, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden bzw. ob das Unternehmen soziale Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten und ggf. getroffen hat. Zudem will man verhindern, dass der Arbeitgeber eine für ihn ungünstige Stellungnahme verschweigt, um eine positive Entscheidung der Agentur für Arbeit zu erwirken. Diesen Zwecken genügt auch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats im Interessenausgleich, die sich auf die angezeigten Kündigungen bezieht.

Hierfür spricht zudem, dass die Unterrichtungspflichten nach § 111 BetrVG und § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG weitgehend übereinstimmen. Nach Auffassung des BAG wäre es ein überflüssiger Formalismus, vom Arbeitgeber zusätzlich zu der bereits in den Interessenausgleich aufgenommenen Stellungnahme eine weitere zu verlangen. Schließlich stellt die Agentur für Arbeit selbst keine hohen Anforderungen an die Form der Stellungnahme.

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Konsequenzen

Mit dieser Entscheidung hat das BAG für erfreuliche Klarheit gesorgt. Die Stellungnahme des Betriebsrats gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann auch im Interessenausgleich ohne Namensliste enthalten sein. Dies gilt jedenfalls, wenn sie eindeutig erkennen lässt, dass sie sich abschließend auf die angezeigten Kündigungen bezieht. Diese sind dann nicht wegen eines Verstoßes gegen die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 und 3 Satz 2 KSchG unwirksam.

 

Praxistipp

Bei der Formulierung eines entsprechenden Passus im Interessenausgleich ist darauf zu achten, dass › er zum Ausdruck bringt, dass der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht, › eine eindeutige Meinungsäußerung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Entlassungen zu erkennen ist und › er ausdrücklich erklärt, dass es sich um eine abschließende Stellungnahme handelt. Um sämtliche Unklarheiten zu vermeiden, sollte der Arbeitgeber in einem gesonderten Begleitschreiben zur Massenentlassungsanzeige die Agentur für Arbeit ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG enthält – am besten unter Benennung des einschlägigen Abschnitts.

RA und FA für Arbeitsrecht Dr. Axel Schmädicke, Partner bei Altenburg Fachanwälte für Arbeitsrecht, München

Redaktion (allg.)

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