Durch Änderungskündigung zum Leiharbeitnehmer

1. Besteht für einen Arbeitnehmer, der einem Betriebsübergang widerspricht, keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, kann dem widersprechenden Mitarbeiter eine Änderungskündigung mit dem Angebot ausgesprochen werden, ihn an den Betriebserwerber auszuleihen, damit er dort wie bisher weiterarbeiten kann.

2. Dies ist auch dann zulässig, wenn die Beschäftigung als Leiharbeitnehmer im Wege der Änderungskündigung nur zu der Vergütung angeboten wird, die der Betriebserwerber nach den in seinem Betrieb einschlägigen Tarifverträgen zahlt.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 29. März 2007 - 2 AZR 31/06

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Fraport AG beschloss, ihre Luftfrachtabfertigung am Flughafen Frankfurt/Main auf ihre 100%ige Tochter Tradeport Frankfurt GmbH (später: Fraport Cargo Services GmbH) zum 1.7.2004 auszulagern. Während die Fraport AG an den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Unternehmen (BMT-G II) gebunden ist, unterliegt die Tradeport Frankfurt GmbH den Tarifverträgen des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes. Diese sehen erheblich niedrigere Löhne vor. Von den ca. 600 betroffenen Mitarbeitern legten 545 Widerspruch gegen den Betriebsübergang ein - so auch der Kläger. Ende März 2004 sprach dann die Fraport AG ihm gegenüber eine Änderungskündigung zum 30.6.2004 aus. Darin bot sie ihm - wie auch den anderen Mitarbeitern, die widersprochen hatten - die Weiterbeschäftigung als Leiharbeitnehmer in der neuen Abteilung Frachtservice der Tradeport Frankfurt GmbH an. In einem gesonderten Tarifvertrag war dabei vereinbart worden, dass auf diese Leiharbeitnehmer die Tarifverträge für das private Transport- und Verkehrsgewerbe Anwendung finden. Der Kläger nahm das Angebot unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist und legte anschließend Änderungsschutzklage ein. Diese blieb ohne Erfolg.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass die Fraport AG, mangels sonstiger Möglichkeiten, dem Kläger eine Weiterbeschäftigung als Leiharbeitnehmer beim Betriebserwerber zu den bei diesem geltenden Bedingungen im Wege einer Änderungskündigung anbieten durfte. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist wirksam, wenn sich der Arbeitgeber bei einem anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Dies sah das Gericht hier als gegeben an. Der anerkennenswerte Anlass liegt in der Entscheidung der Beklagten, die Tätigkeit der Luftfrachtabfertigung auszulagern. Damit ist auch der Beschäftigungsbedarf für die widersprechenden Mitarbeiter entfallen. Eine solche Organisationsentscheidung darf das Gericht nur eingeschränkt überprüfen, nämlich darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Hierfür fehlte es im vorliegenden Fall an Anhaltspunkten. Erfreulicherweise wies das BAG noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass ein Arbeitgeber selbst in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht verpflichtet ist, eine dauerhaft defizitäre Betriebsabteilung aufrechtzuerhalten. Umstrukturierungen und ein damit verbundener Personalabbau sind daher nicht auf wirtschaftliche Krisenzeiten beschränkt. Sie sind vielmehr auch in guten Zeiten möglich, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Zwar hatte das BAG in einem früheren Urteil festgestellt, dass die unternehmerische Entscheidung, einen Betriebsteil durch eine noch zu gründende Organgesellschaft, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch voll in das Unternehmen eingegliedert ist, mit von dieser neu eingestellten Arbeitnehmern weiterzubetreiben, rechtsmissbräuchlich ist. Sie stellt daher kein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung dar (BAG v. 26.9.2002 - 2 AZR 636/01). Eine solche Konstellation lag hier aber nicht vor. Das Unternehmen hatte nicht versucht, unter Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften Tätigkeiten auf eine unselbstständige Tochtergesellschaft zu verlagern, die ihren neu angestellten Mitarbeitern weniger bezahlt. Vielmehr hat sich die Beklagte an die gesetzlichen Vorgaben, die bei Betriebsübergängen gelten, gehalten und lediglich die bestehenden Gestaltungsspielräume genutzt (§ 613a BGB). Die angebotene Vertragsänderung ist auch verhältnismäßig und daher vom Arbeitnehmer billigerweise hinzunehmen. Das BAG stellte fest, dass es sich vorliegend nicht um eine bloße Vergütungsreduzierung handelt. Deshalb waren auch nicht die insoweit geltenden strengen Maßstäbe anzuwenden. Vielmehr liegen eine Änderung der Tätigkeit und eine daran anknüpfende Neufestsetzung des Lohns vor. Soweit beim Arbeitgeber kein festes Vergütungssystem besteht (insbesondere aufgrund von Tarifverträgen), darf er die Löhne und Gehälter individuell aushandeln. Eine Entgeltreduzierung kann bei geändertem Arbeitsinhalt beispielsweise durch einen evident geringeren Marktwert der neu angebotenen gegenüber der bisherigen Tätigkeit gerechtfertigt sein. Diesen ermittelte das BAG im vorliegenden Fall anhand der beim Betriebserwerber gezahlten Vergütung. Als Verleiher ist die Beklagte nur verpflichtet, ihren Leiharbeitnehmern die gleiche Vergütung zu zahlen wie die Tradeport Frankfurt GmbH ihren Mitarbeitern; sog. Schlechterstellungsverbot, § 9 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).

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Konsequenzen

Die Entscheidung sichert eine weitere Gestaltungsmöglichkeit bei Outsourcing-Maßnahmen rechtlich ab. Zwar kann ein Mitarbeiter nicht allein wegen eines Betriebsübergangs gekündigt werden. Die Kündigung aus sonstigen Gründen bleibt jedoch möglich (§ 613a Abs. 4 BGB). Eine betriebsbedingte Kündigung ist insbesondere dann möglich, wenn ein Mitarbeiter dem Betriebsübergang widerspricht und ihn der Veräußerer wegen Verlagerung der Tätigkeiten auf den Erwerber nicht mehr weiterbeschäftigen kann. Um eine Outsourcing-Maßnahme zu blockieren oder gänzlich unmöglich zu machen, wird teilweise von der Arbeitnehmerseite versucht, Massenwidersprüche zu organisieren. Diese Taktik zielt zum einen darauf ab, dass der Betriebserwerber mangels Belegschaft seine Tätigkeit nicht aufnehmen kann. Zum anderen soll der Veräußerer so zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs und damit zur Weiterbeschäftigung der Belegschaft gezwungen werden. Die dargestellte Entscheidung nimmt der Drohung mit Massenwidersprüchen nun etwas den Schrecken. Sie ermöglicht es dem Veräußerer, an der geplanten Auslagerung festzuhalten. Er kann darüber hinaus die Aufnahme des Geschäftsbetriebs beim Erwerber zum geplanten Überführungsstichtag durch die Bereitstellung von Leiharbeitnehmern unterstützen. Der Ausspruch von Änderungskündigungen gegenüber den widersprechenden Mitarbeitern gibt dem Veräußerer außerdem ein gewisses Druckmittel. Denn diese müssen damit rechnen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie der Beschäftigung als Leiharbeitnehmer nicht zustimmen. Zwar wird dem Veräußerer die Umsetzung seiner Auslagerung weiterhin unmöglich gemacht, falls die Mitarbeiter nach einem Massenwiderspruch geschlossen das Änderungsangebot ablehnen. Für den einzelnen Arbeitnehmer ist dieses Vorgehen jedoch sehr risikoreich. Er kann nicht beeinflussen, wie viele seiner Kollegen das Angebot akzeptieren und damit dem Erwerber die Aufnahme seines Geschäftsbetriebs ermöglichen. Wegen des Risikos, den Arbeitsplatz ganz zu verlieren, werden viele widersprechende Mitarbeiter zumindest unter dem Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung annehmen. Das BAG hat damit dem Arbeitgeber einen Weg aufgezeigt, um auf Massenwidersprüche zu reagieren. Eine Vergütungsreduzierung für die in der Abteilung Frachtservice weiterbeschäftigten Mitarbeiter konnte nur deshalb erfolgen, weil die Geltung der Tarifverträge für das private Transport- und Verkehresgewerbe in einem gesonderten Tarifvertrag mit dem Veräußerer vereinbart worden war. Hätte es an einer solchen Regelung gefehlt, wären im Zweifel die bisherigen tariflichen Regelungen (BAT und BMT-G II) infolge der Tarifbindung zur Anwendung gelangt.

Praxistipp

Eine reibungslose Umsetzung der geplanten Auslagerung kann nur erfolgen, wenn ein Unternehmen das Risiko von Massenwidersprüchen in die Planung der Umstrukturierung einbezogen hat. Es muss ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung stehen, um auf einen etwaigen Massenwiderspruch reagieren zu können. Vorliegend hatte der Betriebsveräußerer/Verleiher seine Mitarbeiter über den Betriebsübergang so rechtzeitig informiert, dass er nach Ablauf der Widerspruchsfrist noch unter Einhaltung der Kündigungsfristen Änderungskündigungen zum geplanten Überführungsstichtag aussprechen konnte. Für die zeitliche Planung bedeutet dies, dass ab dem geplanten Überführungsstichtag zurückgerechnet werden muss. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Kündigungsfristen plus der einmonatigen Widerspruchsfrist, zzgl. der notwendigen Zeit für die Zustellung von Unterrichtungsschreiben und Kündigungsschreiben. Mit einzurechnen sind außerdem etwaig notwendige Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern. Ob der Veräußerer das Angebot einer Weiterbeschäftigung als Leiharbeitnehmer auch mit einer Vergütungsreduzierung verbinden kann, hängt davon ab, ob und welche Tarifverträge auf ihn Anwendung finden. Soweit diese auch für die beschäftigten Leiharbeitnehmer eine bestimmte Vergütung vorsehen, kann er im Wege einer Änderungskündigung keine niedrigere Vergütung durchsetzen. Im vorliegenden Fall bestimmt jedoch ein gesonderter Tarifvertrag, dass die als Leiharbeitnehmer eingesetzten Mitarbeiter, die dem Betriebsübergang widersprochen haben, nach den Tarifverträgen des Erwerbers vergütet werden. Die tarifliche Lage bedarf daher jeweils einer gesonderten Prüfung.

RA Dr. Lars Mohnke, Lovells LLP, München

Redaktion (allg.)

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