Ermittlung des tariflichen Urlaubsentgelts
Problempunkt
Der Kläger ist Mitglieder der IG Metall und arbeitet als Maschinenflämmer bei der beklagten Arbeitgeberin. Er erhält Prämienlohn. Im Juni 2003 schlossen die Beklagte und die IG Metall einen Haustarifvertrag. Danach berechnet sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Stundenverdienst der letzten 13 Wochen einschließlich Überstunden-, Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge plus eines 50%igen Aufschlags. Die Beklagte bezog bis 2007 in diese Berechnung auch stets die gezahlten Prämien mit ein, danach nicht mehr. Das führte beim Kläger zu finanziellen Einbußen von ca. 30 % beim Urlaubsentgelt. Er verlangte daraufhin von der Beklagten, ihm das Urlaubsentgelt unter Berücksichtigung des Prämienlohnes zu zahlen und berief sich auf das Entgeltminderungsverbot in § 1 BUrlG für Zeiten des Urlaubs. Die Beklagte machte geltend, sie habe die Prämien zunächst irrtümlich mit einbezogen. Laut Tarifvertrag sei jedoch lediglich der 50%ige Aufschlag als Ausgleich zu zahlen. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab.
Entscheidung
Das BAG schloss sich dagegen der Auffassung des Klägers an und verwies die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und erneuten Entscheidung zurück an das LAG. Zwar ermöglicht es der Haustarifvertrag, die Prämien bei der Berechnung des Urlaubsentgelts unberücksichtig zu lassen. Er verstößt aber zumindest bezüglich des gesetzlichen Mindesturlaubs gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 BUrlG.
§ 11 Abs. 1 BUrlG sieht vor, dass der Arbeitgeber während des gesetzlichen Urlaubs das Gehalt weiterzuzahlen hat, das der Mitarbeiter in den letzten 13 Wochen vor seinem Urlaub (abzüglich Überstundenvergütung) erhalten hat. Gemäß § 13 BUrlG können die Tarifvertragsparteien auch zuungunsten der Arbeitnehmer von dieser Berechnung abweichen. Sie haben sogar einen recht weiten Gestaltungsspielraum, eine Berechnungsmethode festzulegen, die ihnen angemessen erscheint. Sie müssen aber dennoch gewährleisten, dass die Arbeitnehmer nach einem abstrakten Vergleich während des Urlaubs nicht weniger bekommen, als wenn sie weitergearbeitet hätten. Dies ergibt sich aus § 1 BUrlG, wonach der Erholungsurlaub zu bezahlen ist. Hiervon dürfen auch die Tarifvertragsparteien nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen.
Dieser Wertung widerspricht der Haustarifvertrag, da er mit der regelmäßig gezahlten Prämie einen wesentlichen Gehaltsbestandteil unberücksichtigt lässt. Der abstrakte Vergleich führt dazu, dass der Kläger während des Urlaubs weniger bekommt, als wenn er weitergearbeitet hätte. Der tarifvertragliche Zuschlag von 50 % hilft auch nicht weiter, denn hierbei handelt es sich um eine zusätzliche Sonderleistung, die nicht in den abstrakten Vergleich einzubeziehen ist.
Damit ist die tarifvertragliche Regelung unwirksam. Die Berechnung richtet sich wieder nach § 11 Abs. 1 BUrlG, so dass die gezahlten Prämien einzubeziehen sind.
Für Urlaub, den der Arbeitgeber über das gesetzliche Mindestmaß hinaus zugesagt hat, ist § 11 Abs. 1 BUrlG jedoch nicht anwendbar. Diesbezüglich gilt wieder der Tarifvertrag, da die Tarifvertragsparteien hier frei sind, entsprechende Regelungen zu vereinbaren. Für diese Urlaubstage können sie somit die Prämien bei der Berechnung des Urlaubsentgelts außen vor lassen.
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Konsequenzen
Das BAG zeigt den Tarifvertragsparteien Grenzen auf, wenn es darum geht, Berechnungsmethoden für das Urlaubsentgelt festzulegen. Es entschied zwar bereits in den 60ern, dass die Tarifvertragsparteien nicht völlig frei sind, zuungunsten der Arbeitnehmer vom Bundesurlaubsgesetz abzuweichen. Jedoch gab es immer wieder Stimmen in der Literatur, die aus § 13 BUrlG ableiteten, dass kein Günstigkeitsvergleich durchzuführen sei. Dieser Auffassung schiebt die aktuelle Entscheidung einen Riegel vor: Vom Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub gemäß § 1 BUrlG dürfen auch die Tarifvertragsparteien nicht abweichen. Regelungen in (Haus-)Tarifverträgen, die dazu führen, dass Mitarbeiter im Urlaub weniger Geld erhalten, sind i. d. R. unwirksam.
Der Günstigkeitsvergleich ist nicht für die gesamten tarifvertraglichen Regelungen, sondern bloß für die konkrete Bestimmung zur Berechnung des Urlaubsentgelts durchzuführen. Daher sind zusätzliche Urlaubsvergütungen oder mehr Urlaubstage nicht zu berücksichtigen (s. bereits BAG, Urt. v. 22.1.2002 9 AZR 601/00). Das führt mitunter dazu, dass einzelne Arbeitnehmer letztendlich das Beste aus allen Rechtsquellen beanspruchen können, so auch im vorliegenden Fall: Hier erhielt der Kläger bezüglich seines gesetzlichen Mindesturlaubs sowohl das höhere Urlaubsentgelt nach § 11 Abs. 1 BUrlG als auch die zusätzlichen 50 % Urlaubsvergütung aus der tarifvertraglichen Regelung
Praxistipp
Es ist ratsam, insbesondere bei Haustarifverträgen sorgsam zu prüfen, ob die Regelung zur Berechnung von Urlaubsentgeltansprüchen zulässig ist. Weicht sie von § 11 Abs. 1 BUrlG ab, ist genau zu schauen, ob sie dennoch einem Günstigkeitsvergleich standhält. Andernfalls drohen ggf. zusätzliche Forderungen von Arbeitnehmern. Finden sich bei der Überprüfung unwirksame Regelungen, empfiehlt es sich, sie dennoch im Tarifvertrag zu belassen und lediglich auf den vertraglichen Zusatzurlaub zu beschränken. Nur so kann man verhindern, dass § 11 Abs. 1 BUrlG nicht auch für den Urlaub gilt, der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgeht. Nach der viel beachteten Entscheidung des BAG zum Urlaubsanspruch bei Krankheit (Urt. v. 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, AuA 6/10, S. 375 f.) hat das Gericht nun erneut eindeutig zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vertraglich vereinbarten Zusatzurlaub differenziert: Während sich der Mindesturlaub stets in den engen Grenzen des Bundesurlaubsgesetztes bewegt, lässt sich der vertragliche Zusatzurlaub relativ frei gestalten. Dies sollte Arbeitgeber nicht nur beim Abschluss von Haustarifverträgen, sondern insbesondere auch bei Arbeitsverträgen sowie Betriebsvereinbarungen genau im Blick behalten und nutzen.
RAin und FAin für Arbeitsrecht Verena Kappel, Schulte Riesenkampff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main
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