Gewerkschaftsvertretung im Betrieb

Eine Gewerkschaft ist betriebsverfassungsrechtlich im Betrieb vertreten, wenn mindestens ein Arbeitnehmer des Betriebs bei ihr Mitglied ist und die Mitgliedschaft nach ihrer Satzung nicht offensichtlich zu Unrecht besteht. Die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft für den Betrieb oder das Unternehmen des Arbeitgebers ist unerheblich.

BAG, Beschluss vom 10. November 2004 - 7 ABR 19/04

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Bild: Erwin-Wodicka / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Industriegewerkschaft BCE (IG BCE) und die Arbeitgeberin streiten darüber, ob in einem Betrieb der Arbeitgeberin ein Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl zu bestellen ist. Die Arbeitgeberin führt für Kunden aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Hausgeräteherstellung die Entlackung von Metall- und Holzteilen durch, die dann von den Kunden weiterverarbeitet werden. Ein in ihrem Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer ist Mitglied der IG BCE. Nach § 1 Abs. 3 in deren Satzung können Arbeitnehmer von Betrieben und Unternehmen etc. der Industriebereiche Chemie und Umwelt bei der Gewerkschaft Mitglied werden. Die IG BCE hatte in dem bislang betriebsratslosen Betrieb zu einer Betriebsversammlung zur Aufstellung eines Wahlvorstands eingeladen. Da kein Wahlvorstand gewählt wurde, hatte sie beim Arbeitsgericht die Bestellung eines Wahlvorstands beantragt. Hierzu hat sie geltend gemacht, im Betrieb der Arbeitgeberin vertreten zu sein, weil einer der dort beschäftigten Arbeitnehmer bei ihr Mitglied sei; auf ihre Tarifzuständigkeit komme es nicht an.

Das Arbeitsgericht hat antragsgemäß einen Wahlvorstand bestellt. Das LAG hat auf die Beschwerde der Arbeitgeberin diesen Beschluss aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen.

 

Entscheidung

Aufgrund der Rechtsbeschwerde der IG BCE hat das BAG die erstinstanzliche Entscheidung wieder hergestellt. Dem BAG zufolge ist eine Gewerkschaft im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes im Betrieb vertreten, wenn ihr mindestens ein Arbeitnehmer des Betriebes angehört (vgl. Urt. v. 25.3.1992 - 7 ABR 65/90, AP BetrVG 1972 § 2 Nr. 4). Im Rahmen der Auslegung von § 17 Abs. 4 BetrVG verneint der Senat die Erforderlichkeit der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft für den Betrieb oder das Unternehmen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift reicht das Vorhandensein eines Mitglieds der Gewerkschaft im Betrieb aus, um diese dort zu repräsentieren. Weitergehende Anforderungen ergeben sich auch nicht aus Sinn und Zweck der Vorschrift, da die den Gewerkschaften durch das Betriebsverfassungsgesetz zugewiesenen Rechte nicht dem Abschluss von Tarifverträgen dienen.

Ferner ist es nach Auffassung des Senates unerheblich, ob der im Betrieb tätige Arbeitnehmer die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Gewerkschaftsmitgliedschaft erfüllt; denn gemäß der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit entscheidet allein die Gewerkschaft, in welchen Wirtschaftsbereichen sie sich betätigt und welchen Arbeitnehmerkreis sie vertreten will. Daher hat allein die Gewerkschaft zu prüfen, ob ein Arbeitnehmer die satzungsmäßigen Mitgliedschaftsvoraussetzungen erfüllt. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Gewerkschaft den Arbeitnehmer als Mitglied aufgenommen hat, obwohl er die Anforderungen ihrer Satzung offenkundig und zweifelsfrei nicht erfüllt. Denn dann wäre ihr Eintreten für dieses Mitgliedes von ihrer Satzung, die sie in Ausübung der Koalitionsfreiheit erlassen hat, offensichtlich nicht gedeckt. Eine solche Situation hat das Gericht hier verneint, da die Arbeitgeberin in ihrem Betrieb die Entlackung von Metallteilen mittels thermischer und chemischer Verfahren durchführt, so dass ihre betrieblichen Tätigkeiten den in der Satzung der IG BCE aufgeführten Industriebereichen Chemie und Umwelt ggf. zugeordnet werden können.

 

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Konsequenzen

Gemäß § 17 Abs. 4 i.V.m. § 16 Abs. 2 BetrVG hat das zuständige Arbeitsgericht auf Antrag einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft einen Wahlvorstand zu bestellen, wenn dort kein Betriebsrat besteht und eine Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand wählt.

Wie sich aus verschiedenen betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen ergibt, hat eine "im Betrieb vertretene Gewerkschaft" nicht nur diese Antragsbefugnis, sondern noch weitere Rechte. So kann sie Wahlvorschläge bei einer Betriebsratswahl unterbreiten (§ 14 Abs. 3 BetrVG), in betriebsratslosen Betrieben zu einer Wahlversammlung zwecks Wahl des Wahlvorstands einladen (§ 17 Abs. 3 BetrVG), den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat oder dessen Auflösung beantragen (§ 23 Abs. 1 BetrVG) sowie an Betriebsratssitzungen und Betriebs- bzw. Abteilungsversammlungen teilnehmen (§§ 31, 46 BetrVG). Dazu hat der Arbeitgeber den Beauftragten der Gewerkschaft gemäß § 2 Abs. 2 BetrVG den Zutritt zum Betrieb zu gewähren.

Daher ist die Frage, wann eine Gewerkschaft "im Betrieb vertreten" ist, von erheblicher Bedeutung. Diese hat das BAG nunmehr dahingehend beantwortet, dass es nicht auf die satzungsmäßige Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft ankommt, sondern allein auf die Tätigkeit eines ihrer Mitglieder in dem fraglichen Betrieb. Etwas anderes kann dem Beschluss zufolge nur dann gelten

Praxistipp

Ein Arbeitgeber, der die Ausübung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte durch eine Gewerkschaft in seinem Betrieb oder Unternehmen nicht akzeptieren will, ist in seinen Möglichkeiten auf die Prüfung beschränkt, ob die Gewerkschaft durch mindestens einen Arbeitnehmer repräsentiert wird und ob sie diesen gemäß ihrer Satzung aufgrund des Tätigkeitsbereichs des fraglichen Betriebes definitiv nicht hätte aufnehmen dürfen. Nur wenn diese Frage ohne jeden Zweifel eindeutig beantwortet werden kann, macht es für den Arbeitgeber Sinn, sich gegen die Betätigung der Gewerkschaft in seinem Betrieb bzw. Unternehmen zu wenden.

RA Dr. Werner Holtkamp, Rechtsanwälte Godefroid & Pielorz, Düsseldorf

Redaktion (allg.)

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