Homeoffice: Außerordentliche Änderungskündigung
Problempunkt
Der Kläger war seit 1968 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als technischer Kundenberater im Verkaufscenter Berlin. Nach dem kraft einzelvertraglicher Vereinbarung anwendbaren Tarifvertrag war eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Im Frühjahr 2003 fasste die Arbeitgeberin den Entschluss, die technische Kundenberatung in der Zentrale in W zusammenzulegen. Dementsprechend vereinbarte sie im November 2003 mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan, wonach den Betroffenen ein geeigneter, gleichwertiger Arbeitsplatz anzubieten war. Nach Anhörung des Betriebsrates, der widersprach, kündigte die Beklagte außerordentlich mit sozialer Auslauffrist, die der ordentlichen Kündigungsfrist entsprach, zum 31.8.2004 und bot dem Kläger eine Fortsetzung bei gleich bleibenden Gehalt ab 1.9.2004 im Betrieb in W als Berater an der Technischen Hotline an. Der Mitarbeiter nahm das Angebot unter Vorbehalt fristgerecht an und erhob Änderungskündigungsschutzklage, die in allen Instanzen erfolgreich war. Er meinte, die Beklagte hätte ihm als milderes Mittel die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Berlin auf einem Home-Office-Arbeitsplatz anbieten müssen. Damit war er in allen Instanzen erfolgreich.
Entscheidung
Das BAG stellte fest, dass bei Vorliegen eines wichtigen Grundes eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Änderungskündigung gerechtfertigt sein kann (§ 626 Abs. 1 BGB, §§ 13, 2 KSchG). Mit dem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit geht der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer eine besondere Verpflichtung jedoch nicht nur hinsichtlich des Bestands, sondern auch in Bezug auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses ein. Dem müssen sowohl die materiellen Anforderungen an den wichtigen Grund als auch die Anforderungen an die Darlegungslast im Prozess Genüge tun, so dass verschärfte Maßstäbe gelten. Im Rahmen der Änderungskündigung sei erstens zu prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den Mitarbeiter zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und zweitens der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinnehmen muss. Auf der ersten Stufe meint das BAG, die Konzentration der telefonischen Kundenbetreuung in W sei ein anerkennenswerter, plausibler Anlass auch für eine außerordentliche Änderungskündigung. Diese unternehmerische Entscheidung sei nur beschränkt gerichtlich prüfbar und nicht rechtsmissbräuchlich. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich jedoch auf der zweiten Stufe nicht, dass sie sich darauf beschränkt habe, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Kläger auch angesichts des bestehenden Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit billigerweise hinnehmen müsste: Es handle sich um keine Abteilungsstilllegung, die Beklagte benötige keine Freikündigung eines anderen Arbeitsplatzes und auch aus dem Interessenausgleich ergebe sich nicht, dass die Konzentration in W grundsätzlich unvereinbar mit einzelnen Heimarbeitsplätzen sei. Arbeitsorganisatorische Gründe, die speziell auf den Kläger und seine Tätigkeit bezogen die Durchsetzung des Gesamtkonzepts unzumutbar machten, hatte das Unternehmen nicht vorgetragen. Auch ein unzumutbarer wirtschaftlicher Mehraufwand war nicht erkennbar, sondern die Arbeitgeberin würde durch ein Home-Office sogar Sozialplanleistungen (Umzug, Fahrtkosten etc.) sparen.
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Konsequenzen
Die Entscheidung zeigt erneut, dass die Gerichte schlüssige unternehmerische Entscheidungen - Zentralisierung der Telefonkundenbetreuung in W - grundsätzlich respektieren. Gerade bei der Änderungskündigung liegt die Problematik meist bei der Frage der Zumutbarkeit, d.h. wie weit die Änderung von der bisherigen Regelung gehen darf. Die einfache Antwort so wenig wie unbedingt nötig bereitet dann häufig praktische Schwierigkeiten. In jedem Fall muss der Arbeitgeber hierzu im Prozess genauer vortragen, z.B. konkrete Beeinträchtigung der Arbeitsorganisation, Kostenbelastung, Kundenbeeinträchtigung.
Praxistipp
Bei Änderungskündigungen wegen Arbeitsplatzverlegung (vgl. Stück, MDR 2001, S. 312 ff.) wird künftig als milderes Mittel die Einrichtung eines Home-Office-Arbeitsplatzes verstärkt zu prüfen sein, insbesondere bei verstärktem Kündigungsschutz. Will der Arbeitgeber dem entgegentreten, muss er dazu konkrete Argumente vortragen. Im Vorfeld werden wahrscheinlich auch Betriebsräte mit entsprechenden Forderungen in die Interessenausgleich-/Sozialplanverhandlungen gehen.
RA Volker Stück, Stuttgart
Redaktion (allg.)
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