Keine Diskriminierung bei Altersgrenze

1. Ein Höchsteintrittsalter von 45 Jahren für den Zugang zum Beamtenverhältnis ist nicht offensichtlich unwirksam. 2. Die Verweigerung eines beamtenrechtlichen Arbeitsverhältnisses allein wegen Überschreitung der Altergrenze stellt zwar eine unmittelbare Benachteiligung dar. Diese kann jedoch wegen Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung ebenfalls gerechtfertigt sein. (Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 11. April 2006 - 9 AZR 528/05 § 18 Abs. 7 Satz 1 Niedersächsische Laufbahnordnung; Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b i RL 2000/78/EG

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Problempunkt

Die Klägerin ist Sonderschullehrerin und seit ihrem 35. Lebensjahr bei der Beklagten beschäftigt, allerdings lediglich aufgrund eines Privatdienstvertrags. Nach Erreichen der beamtenrechtlichen Höchstaltersgrenze von 45 Jahren gemäß § 18 Abs. 7 Satz 1 Niedersächsische Laufbahnordnung begehrte sie in 2003 - wie schon in der Vergangenheit - die Übernahme in einen Privatdienstvertrag mit beamtenrechtlicher Besoldung und Versorgung. Vorausgegangen waren bereits die Übernahmen des über 45-jährigen Schulleiters und zweier männlicher, unter 45-jähriger Lehrer. Letztere hatten zuvor erklärt, ohne diese Vergünstigungen würden sie die Schule verlassen und versuchen, noch an einer anderen den Beamtenstatus zu erwerben.

Die Klägerin rügte die Verletzung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Während männliche Lehrkräfte ohne weiteres in den Genuss der beamtenrechtlichen Versorgung und Besoldung bei der Beklagten kommen, bleibt ihr - obwohl seit dem 35. Lebensjahr dabei - Gleiches verwehrt. Auch läge eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters vor, denn allein, weil sie über 45 Jahre alt ist, seien ihr die beamtenrechtlichen Vergünstigungen vorenthalten worden, während ihre jüngeren Kollegen den begehrten Status erhalten hatten.

Entscheidung

Das BAG wies die Klage auf Verurteilung der Beklagten, der Klägerin einen Privatdienstvertrag mit beamtenrechtlicher Besoldung und Versorgung anzubieten bzw. ihr entsprechende Bezüge zu gewähren, ab. Nach Ansicht der Richter ist eine Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass männliche Kollegen der Klägerin im Gegensatz zu ihr den begehrten Vertrag erhalten hatten, reicht hierfür nicht aus. Die Klägerin hat jedoch darüber hinaus keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die eine Vermutung begründen, dass sie wegen des Geschlechts benachteiligt wurde.

Anders beurteilte das Gericht die Frage der Alterdiskriminierung. Für die Entscheidung konnte das BAG noch nicht auf das erst am 18.8.2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zurückgreifen. In Anwendung der so genannten Mangold-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 22.11.2005 - C-144/04, AuA 2/06, S. 115) hat es jedoch im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgundsatzes die europäische Richtlinie 20007/78/EG (Diskriminierung wegen des Alters) angewandt.

Zunächst stellte das BAG fest, dass es sich bei dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz um einen richterlichen Grundsatz des deutschen Arbeitsrechts handelt. Dieser ist einer arbeitrechtlichen Norm, d.h. einer Bestimmung des nationalen Rechts, gleichzustellen. Dementsprechend kann in seinem Anwendungsbereich keine Ungleichbehandlung erlaubt oder gerechtfertigt sein, die gegen die Richtlinie 2000/78/EG verstößt. Damit war diese auch schon vor ihrer Umsetzung durch das AGG im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes anzuwenden.

Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters, so das BAG, ist aber zulässig, wenn sie entsprechend Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b i RL 2000/78/EG durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Dies sahen die Erfurter Richter im vorliegenden Fall als gegeben an. Das Angebot beamtenrechtlicher Arbeitsverträge an die anderen Lehrer geschah nur, um ein rechtmäßiges Ziel - nämlich sie an die Schule zu binden - zu erreichen. Das Mittel - der Abschluss der Verträge - war dafür auch angemessen.

Weil die Klägerin dazu nichts vorgetragen hatte, ließ es das Gericht offen, ob die Höchstaltersregelung des § 18 Abs. 7 Satz 1 Niedersächsische Laufbahnverordnung richtlinienkonform ist, insbesondere durch Artikel 6 der Richtlinie, dem heute § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG nachgebildet ist, gedeckt wird. Es stellte lediglich fest, dass es jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig ist, wenn die Vorschrift eine angemessene Beschäftigungsdauer vor dem Eintritt in den Ruhestand fordert.

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Konsequenzen

Die Entscheidung des BAG - die zwar das erst danach in Kraft getretene AGG noch unberücksichtigt lässt - kann dennoch auf das jetzt geltende Gesetz ohne weiteres übertragen werden. Denn die gerichtliche Argumentation, die noch auf der Basis des Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG erfolgte, gilt ebenso für § 10 Satz 1 und 2 AGG. Auch dort ist die unmittelbare Altersdiskriminierung zulässig, wenn sie objektiv, angemessen sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und es sich um ein erforderliches und angemessenes Mittel handelt. Der Zweck, Lehrer an eine Schule zu binden, die sonst abwandern würden, ist nach der Rechtsprechung des BAG zu billigen. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für das Mittel, nämlich der Abschluss besonderer, sie begünstigender Arbeitsverträge.

Praxistipp

Für den Praktiker stellt diese Entscheidung einen wichtigen Schritt zur Minimierung der seit Inkrafttreten des AGG entstandenen Unsicherheiten dar. Es zeigt auf, wie sich unmittelbare Altersdiskriminierung rechtfertigen lässt, wenn qualifiziertes und begehrtes Personal anders nicht gehalten werden kann. Gerade in Zeiten abnehmender Arbeitslosigkeit und knapper werdenden Fachpersonals zeigt diese Entscheidung für den Personalverantwortlichen einen Weg auf, wie besonders wichtige Arbeitnehmer trotz AGG an das Unternehmen gebunden werden können, ohne dass alle Mitarbeiter entsprechend die gleichen Vergünstigungen erhalten müssen.

RAin und FAin für ArbR Monika Birnbaum, Schwarz Kelwing Wicke Westphal, Berlin

Redaktion (allg.)

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