Keine Sperrzeit bei Aufhebungsvertrag

Ein Arbeitnehmer, der zur Vermeidung einer sonst erfolgenden objektiv sozial gerechtfertigten Arbeitgeberkündigung einen Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung abschließt, wonach das Arbeitsverhältnis zum selben Zeitpunkt wie bei der Kündigung endet, kann sich auf einen wichtigen Grund berufen, der eine Sperrzeit i.S.d. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ausschließt.
(Leitsatz des Bearbeiters)

BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 - B 11a AL 47/05 R § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III

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Problempunkt

Der 1941 geborene Kläger war acht Jahre lang als Lagerarbeiter beschäftigt. Infolge einer Neustrukturierung der Ablaufprozesse entfiel sein Arbeitsplatz. Daraufhin schloss er mit dem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, nach dem er unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist zum 30.11.2003 ausschied. Das Arbeitsamt - jetzt Agentur für Arbeit - zahlte dem Kläger aufgrund einer 12-wöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe zunächst kein Arbeitslosengeld, wogegen der Arbeitnehmer klagte.

Die Vorinstanzen verurteilten die beklagte Arbeitsagentur zur Zahlung von Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung einer Sperrzeit. Das Landessozialgericht (LSG) vertrat die Auffassung, dem Kläger habe im Hinblick auf die drohende Arbeitgeberkündigung ein wichtiger Grund zur Seite gestanden.

Entscheidung

Das Bundessozialgericht (BSG) gab dem Arbeitnehmer Recht. Obwohl der Kläger durch Abschluss des Aufhebungsvertrags sein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III gelöst hatte, durfte keine Sperrzeit verhängt werden, weil er dafür einen wichtigen Grund hatte. Ihm drohte nach den Feststellungen des LSG ohne die mit dem Arbeitgeber getroffene Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum gleichen Zeitpunkt eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung, gegen die er sich arbeitsrechtlich nicht erfolgreich hätte zur Wehr setzen können. Bei einem derartigen Sachverhalt steht dem Interesse des Klägers, sich durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags zumindest eine Abfindung zu sichern, kein gleichwertiges Interesse der Versicherten an einem Abwarten der angedrohten Arbeitgeberkündigung gegenüber. Es brauchen keine zusätzlichen Gründe hinzutreten, die ein Ausharren für den Arbeitnehmer unzumutbar machen.

In diesem Buch werden die verschiedensten Aspekte für Praktiker umfassend dargestellt und der Aufbau und die Systematik des Arbeitsschutzes, Compliance-relevanter Aspekte, Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erläutert.

Konsequenzen

Die Entscheidung hat hohe praktische Bedeutung. Vielfach werden Aufhebungs- oder Abwicklungsverträge zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen angeboten. Nach der Rechtsprechung führen beide grundsätzlich zu einer Sperrzeit, weil der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis löst (BSG v. 18.12.2003 - B 11 AL 35/03 R, AuA 7/04, S. 48f.). Die Konsequenzen sind für den Mitarbeiter gravierend:

- Die Dauer der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beträgt grundsätzlich zwölf Wochen (§ 144 Abs. 3 SGB III).

- Der Arbeitslosengeldanspruch vermindert sich zudem mindestens um ein Viertel der Anspruchsdauer (§ 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III).

- Da der Mitarbeiter während dieser Zeit weder beitragspflichtiges Arbeitsentgelt noch Arbeitslosengeld I erhält, muss er sich auf eigene Kosten krankenversichern.

Diese schwerwiegenden Folgen erweisen sich häufig als Abschlusshindernis. Nach der neuen Rechtsprechung des BSG darf die Arbeitsagentur nun jedoch keine Sperrzeit mehr verhängen, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

- Eine Kündigung ist durch den Arbeitgeber mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt worden, ohne dass der Arbeitslose hierzu durch sein arbeitsvertraglich relevantes Verhalten Anlass gegeben hat.

- Sie wäre zu demselben Zeitpunkt, zu dem das Beschäftigungsverhältnis geendet hat, wirksam geworden.

- Die Kündigung wäre objektiv arbeitsrechtlich zulässig gewesen, was sich sowohl auf die soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG) als auch den Zeitpunkt der Beendigung bezieht.

- Dem Arbeitslosen war ein Abwarten nicht zuzumuten. Dies ist insbesondere der Fall, sofern

a) er sich durch den Aufhebungsvertrag wenigstens eine angebotene Abfindung sichern konnte, wenn er schon seinen Arbeitsplatz verliert, wie auch die Regelung des § 1a KSchG zeigt (vgl. Voelzke, NZS 2006, S. 287; BSG v. 17.11.2005 - B 11 a/11 AL 69/04 R);

b) er dadurch objektive Nachteile aus einer arbeitgeberseitigen Kündigung für sein berufliches Fortkommen vermieden und u.U. bessere Vermittlungsaussichten und Chancen für sein berufliches Fortkommen geschaffen hat, weil Zeugnisleser ein einvernehmliches Ausscheiden i.d.R. positiver beurteilen als eine Kündigung sowie ggf. einen Rechtsstreit;

c) er sonstige gleichgewichtige Gründe darlegt, wegen denen er objektiv Nachteile aus einer arbeitgeberseitigen Kündigung befürchten musste.

Im Hinblick auf das Inkrafttreten des § 1a KSchG zum 1.1.2004 bot der vorliegende Fall noch keine Veranlassung zur Entscheidung der Frage, ob in Zukunft das Vorliegen eines wichtigen Grundes bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags, der zum Ausschluss der Sperrfrist führt, auch angenommen werden kann, ohne die Rechtmäßigkeit der Kündigung zu prüfen. Ein solches Vorgehen erwägt das BSG unter Heranziehung der Grundsätze des § 1a KSchG zukünftig jedenfalls für Fälle, bei denen die Abfindungshöhe die in § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehene nicht überschreitet, was aus Arbeitgeber- wie Arbeitnehmersicht sehr zu begrüßen wäre.

Praxistipp

In der Praxis führt dies dazu, dass die objektiv soziale Rechtfertigung der Kündigung und die Einhaltung der Kündigungsfrist der Arbeitsagentur nachzuweisen sind und ggf. von den Sozialgerichten geprüft werden. Es empfiehlt sich deshalb, wo der Sachverhalt dies hergibt, bereits eine entsprechende Formulierung in den Aufhebungsvertrag aufzunehmen, vgl. Muster. Muster Aufhebungsvertrag Das zwischen der Fa XY und Frau Mustermann bestehende Arbeitsverhältnis wird auf Veranlassung der Fa XY zur Vermeidung einer sonst erfolgenden arbeitgeberseitig veranlassten und zum selben Zeitpunkt wirksamen sowie arbeitsrechtlich zulässigen betriebsbedingten Kündigung wegen Stilllegung des Betriebs AB unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist mit dem TT.MM.2007 im beiderseitigen Einvernehmen beendet.

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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