Koppelungsgeschäft des Betriebsrats

1. Will der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nach § 87 Abs. 1 BetrVG durchführen, muss der Betriebsrat vorher zustimmen oder ein Spruch der Einigungsstelle die fehlende bzw. verweigerte Zustimmung ersetzen.

2. Dem Betriebsrat steht ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich auch dann zu, wenn die Gründe, aus denen er die Zustimmung zu mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen versagt, unzureichend, vorgeschoben oder abwegig erscheinen

3. Macht der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Arbeitszeitverlängerung von zusätzlichen Leistungen abhängig, ist dies nicht an sich rechtswidrig.

(Leitsätze des Bearbeiters)

LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – 12 TaBVGa 8/07

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die nicht tarifgebundene Beklagte betreibt bundesweit 19 Herrenmodegeschäfte, darunter auch in E. Im Oktober 2007 teilte sie dem Betriebsrat mit, dass sie dort in der Vorweihnachtszeit an allen Freitagen und Samstagen die Ladenöffnungszeiten von 20 auf 21 Uhr verlängern wolle. Am 6.11.2007 antwortete der Betriebsrat, dass er grundsätzlich dafür sei, habe sich jedoch dagegen entschieden, da das Unternehmen keinerlei Vergünstigungen (z. B. Bonusprämien, Gutscheine, Zeitzuschläge) zugesprochen habe, wie dies bei tarifgebundenen und tariffreien Konkurrenten der Fall sei. Das Unternehmen lehnte es ab, den Mitarbeitern über den Zeitzuschlag von 20 % gemäß der Gesamtbetriebsvereinbarung hinaus zusätzliche Leistungen für verlängerte Öffnungszeiten zu gewähren. Es ordnete einseitig die Verlängerung ab dem 23.11.2007 an, die ca. 20 Mitarbeiter betraf. Hiergegen ging der Betriebsrat mit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung vor, die beim Arbeitsgericht am 28.11.2007 Erfolg hatte. Am 3.12.2007 legte der Arbeitgeber dagegen Beschwerde ein und verlangte am 4.12.2007 vom Betriebsrat, eine Einigungsstelle zu bilden. Hierzu sollte er sich bis zum 6.12.2007 äußern. Der Betriebsrat teilte jedoch mit, er werde sich erst im Rahmen der nächsten Sitzung damit befassen können. Mit Schreiben vom 10.12.2007 erklärte er dann, er habe andere Vorstellungen hinsichtlich der Besetzung.

Entscheidung

Das LAG hielt die einstweilige Unterlassungsverfügung des Arbeitsgerichts vom 28.11.2007 für berechtigt. Der Einleitung des Verfahrens lag ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsrats zugrunde. Dieser muss die Anträge, die in den folgenden Beschlussverfahren zu stellen sind, nicht bereits im Einzelnen formulieren. Es genügt, wenn er den Gegenstand und das Ergebnis nennt (BAG, Beschl. v. 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, vgl. AuA 8/04, S. 46 f.). Vorliegend war erkennbar, dass es um die „gerichtliche Geltendmachung“ von Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ging.

 

Der Einwand des Arbeitgebers, es liege ein rechtsmissbräuchliches Koppelungsgeschäft vor, so dass er das Mitbestimmungsrecht habe übergehen dürfen, verfing nicht. Nach § 87 BetrVG muss der Betriebsrat zustimmen oder ein Spruch der Einigungsstelle die fehlende bzw. verweigerte Zustimmung ersetzen. Der Arbeitgeber kann nicht einseitig vollendete Tatsachen schaffen. Es gibt keinen Katalog zulässiger Zustimmungsverweigerungsgründe (vgl. § 99 Abs. 2 BetrVG), keine Zustimmungsfiktion (vgl. § 99 Abs. 3 BetrVG) und keinen Begründungszwang. Weder das Schweigen des Betriebsrats noch seine „grundlose“ Weigerung, zuzustimmen, machten es entbehrlich, die Einigungsstelle anzurufen. Die Eilbedürftigkeit der Maßnahme ließ das Mitbestimmungsrecht ebenso wenig entfallen (BAG, Beschl. v. 2.3.1982 – 1 ABR 74/79) wie die Tatsache, dass genügend Arbeitnehmer freiwillig über 20 Uhr hinaus arbeiten wollten.

 

Der Betriebsrat missbraucht seine Rechte nur, wenn er sich aus Gründen, die offensichtlich keinerlei Bezug zu der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme aufweisen, einer Einigung widersetzt und versucht, die Einleitung/Durchführung des Einigungsstellenverfahrens zu verzögern. Will er als Annex zur Arbeitszeitverlängerung über die Höhe einer Gegenleistung sprechen, ist dies nicht rechtsmissbräuchlich, solange er dabei nicht (nur) eigene, persönliche Vorteile erstrebt (LAG Nürnberg, Beschl. v. 6.11.1990 – 4 TaBV 13/90, BB 1991, S. 1863). Da der Arbeitgeber nicht tarifgebunden war und es keinen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gab, war ein Mitbestimmungsrecht über die Kompensation nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auch nicht gesperrt.

 

Die Beschwerde hatte jedoch Erfolg, weil der Betriebsrat nach dem 4.12.2007 die Einberufung der Einigungsstelle verzögerte und damit den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit verletzte. Deshalb stellte der Mitbestimmungsverstoß keinen Verfügungsgrund mehr dar. Der Betriebsrat ist verpflichtet, zügig an der Einleitung/Durchführung des Einigungsstellenverfahrens mitzuwirken, um eine – zumindest vorläufige – Regelung zu ermöglichen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung betrifft einen betrieblichen „Klassiker“: Oft macht der Betriebsrat seine Zustimmung zu bestimmten Angelegenheiten – insbesondere Arbeitszeitverlängerung/-änderung – davon abhängig, dass der Arbeitgeber andere Zusagen trifft, sog. Koppelungsgeschäft. Hier ging es um zusätzliche Leistungen; in einem anderen Fall um die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge (Hessisches LAG, Beschl. v. 13.10.2005 – 5/9 TaBV 51/05, vgl. AuA 5/06, S. 304 f.). Nach der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur (Fitting, § 87 BetrVG Rdnr. 27) ist eine sachbezogene Koppelung grundsätzlich rechtmäßig und berechtigt das Unternehmen nicht, sich über das Mitbestimmungsrecht hinwegzusetzen.

Praxistipp

Arbeitgeber sollten Anträge auf Zustimmung beim Betriebsrat rechtzeitig einreichen. Stellt dieser eine unzumutbare Gegenforderung und ist eine innerbetriebliche Einigung nicht möglich, empfiehlt es sich, schnell eine Einigungsstelle zu bilden, damit diese wenigstens eine vorläufige Regelung treffen kann.

RA Volker Stück, Aschaffenburg

Redaktion (allg.)

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