Pauschalabgeltung von Reisezeiten als Beifahrer
Problempunkt
Der Arbeitgeber betreibt ein Speditionsunternehmen und beschäftigte den Mitarbeiter als Kraftfahrer für zuletzt 1.636 Euro. Der Arbeitsvertrag regelt unter § 7 Abs. 3: "Reisezeiten, die außerhalb der normalen Arbeitszeit anfallen, sind mit der nach § 4 zu zahlenden Vergütung abgegolten." Die Firma setzte den Mitarbeiter im Werksfernverkehr ein. Dabei wechselten sich auf den bis zu 30-stündigen LKW-Fahrten jeweils zwei bis drei Fahrer ab.
Der Mitarbeiter klagte auf eine Vergütung i. H. v. 1.660 Euro für die Zeiten, die er als Beifahrer auf dem LKW verbracht hatte, soweit sie zusammen mit Lenk- und sonstigen Arbeitszeiten im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich überstiegen. Er meinte, die Zeiten als Beifahrer seien unabhängig von ihrer arbeitszeitrechtlichen Bewertung vergütungspflichtig. Der Arbeitgeber war dagegen der Auffassung, sie seien nicht zu vergüten. Nach § 21a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sei die im Mehrfahrerbetrieb während der Fahrt neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbrachte Zeit keine Arbeitszeit. Dies sei auch für die Vergütungspflicht maßgebend. Arbeitsgericht und LAG gaben der Klage statt.
Entscheidung
Das BAG schloss sich den Vorinstanzen an. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der normalen Vergütung für die Zeiten, die er über eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden hinaus als Beifahrer leistete. Der Vergütungspflicht der streitgegenständlichen Zeiten steht § 7 Abs. 3 Arbeitsvertrag nicht entgegen. Die Klausel ist wegen fehlender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Reisezeiten i. S. d. Klausel können auch die Zeiten sein, die der Arbeitnehmer reisend als Beifahrer auf dem LKW verbringt. Eine Klausel, die die Vergütung von Reisezeiten pauschal regelt, ist daher nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Reisetätigkeit sie in welchem Umfang erfasst. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsschluss erkennen können, was ggf. auf ihn zukommt und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss (BAG, Urt. v. 5.8.2009 10 AZR 483/08, NZA 2009, S. 1105).
§ 7 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist hier nicht klar und verständlich. Die Klausel soll alle Reisezeiten erfassen, die außerhalb der normalen Arbeitszeit anfallen. Der Arbeitsvertrag gibt aber schon die normale Arbeitszeit nirgends hinreichend deutlich in Stunden an. Offen lässt er, welchen Inhalt der Klauselverwender dem Begriff der Reisezeit beimisst. Insbesondere fehlt eine Abgrenzung von Reisezeiten ohne und mit Arbeit i. S. v. § 611 Abs. 1 BGB.
Der Kläger hat nach § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag Anspruch auf die normale Vergütung der streitgegenständlichen Zeiten, die er als Beifahrer auf dem LKW verbrachte. Mit seiner Beifahrertätigkeit, die über eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden hinausging, leistete er Mehrarbeit, die die Beklagte durch ihre Arbeitseinteilung (zumindest konkludent) angeordnet hatte. Arbeit in diesem Sinne ist auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss und nicht frei über seine Zeit bestimmen kann, er also weder eine Pause i. S. d. ArbZG noch Freizeit hat.
Danach arbeitete der Kläger während der Zeit, die er als Beifahrer verbrachte, und leistete die von ihm geschuldete Tätigkeit als Kraftfahrer. Er musste sich aufgrund der Arbeitseinteilung der Beklagten an seinem Arbeitsplatz, dem LKW, aufhalten und konnte nicht frei über seine Zeit bestimmen.
§ 21a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ArbZG, wonach die Zeit, die Beifahrer neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbringen, keine Arbeitszeit ist, schließt die Vergütungspflicht für die Arbeit als Beifahrer nicht aus. Allein die Einordnung einer bestimmten Zeit als Arbeitszeit besagt nichts darüber, ob und wie sie vergütungspflichtig ist (BAG, Urt. v. 28.1.2004 5 AZR 530/02, NZA 2004, S. 656). Ein Ausschluss der Vergütungspflicht für Beifahrerzeiten lässt sich auch nicht mit Unionsrecht begründen.
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Konsequenzen
Die Entscheidung belegt erneut, wie hoch die Anforderungen an die Vertragsgestaltung sind. Das BAG hatte bereits entschieden, dass eine AGB-Klausel, nach der erforderliche Überstunden mit dem Monatsgehalt abgegolten sind, nicht dem Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB entspricht, wenn sich der Umfang dieser Überstunden nicht hinreichend deutlich aus dem Arbeitsvertrag ergibt (BAG, Urt. v. 1.9.2010 5 AZR 517/09, AuA 7/11. S. 439). In einer vertraglichen Regelung zu Reisezeiten ist deshalb genau zu definieren, was Reisezeit im Einzelnen ist und wie genau diese zu vergüten ist. Dabei bleibt die Frage offen, wann die Verträge dadurch derart umfangreich und ausdifferenziert werden, dass der Durchschnittsarbeitnehmer sie nicht mehr versteht was auch wieder zu Intransparenz führen könnte.
Bei der Beurteilung von Reisezeiten ist stets zu unterscheiden zwischen vergütungsrechtlichen, arbeitszeitrechtlichen (vgl. BAG, Urt. v. 11.7.2006 9 AZR 519/05, AuA 4/07, S. 246) oder mitbestimmungsrechtlichen Aspekten. Das Vorliegen mitbestimmungspflichtiger Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG ist nicht maßgeblich für die Frage, ob es sich dabei zugleich um Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn (z. B. Mehrarbeit) und/oder im arbeitsschutzrechtlichen Sinn (§ 2 Abs. 1 ArbZG) handelt (BAG, Beschl. v. 14.11.2006 1 ABR 5/06, DB 2007, S. 749: Dienstreise).
Praxistipp
Dem Urteil ist zu entnehmen, dass die Parteien gesonderte Vergütungsregelungen für die Zeit, die der Mitarbeiter während der Fahrt neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbringt, vereinbaren können, die unterhalb der Vergütung für Vollarbeit (Fahren) liegen. Diese müssen aber klar, transparent und angemessen sein.
RA Volker Stück, Aschaffenburg
Redaktion (allg.)
· Artikel im Heft ·
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