Schadensersatz bei fehlerhafter Unterrichtung

1. Der Arbeitnehmer hat bei fehlerhafter Unterrichtung über einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber ein unbefristetes Widerspruchsrecht, das verwirken kann.

2. Aus einer fehlerhaften Unterrichtung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB folgen. Dem Arbeitklausel nehmer ist aber nur der kausal entstandene Schaden zu ersetzen. Er kann vom Veräußerer nicht mittels Naturalrestitution (§ 249 BGB) die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses oder die Zahlung einer vom Betriebserwerber versprochenen Abfi ndung verlangen.

(Leitsätze der Bearbeiter)

BAG, Urteil vom 11. November 2010 – 8 AZR 169/09

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger wurde anlässlich eines Betriebsübergangs fehlerhaft über den Betriebserwerber unterrichtet. Er setzte sein Arbeitsverhältnis zunächst über ein Jahr mit dem Erwerber fort, schloss dann mit ihm einen Aufhebungsvertrag mit einer Abfi ndungsvereinbarung. Über das Vermögen des Betriebserwerbers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Daher zahlte er die Abfindung nicht. Daraufhin verlangte der Kläger vom Veräußerer, das Arbeitsverhältnis mit ihm fortzusetzen, hilfsweise ihm die vom Betriebserwerber im Aufhebungsvertrag versprochene Abfindung zu zahlen.

Entscheidung

Mit der vorliegenden Entscheidung bekräftigte das BAG erneut, dass eine fehlerhafte Unterrichtung die Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang setzt. Der Arbeitnehmer kann daher fristungebunden das Widerspruchsrecht ausüben und den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses beim Veräußerer geltend machen. Nimmt er dieses Recht nicht wahr, ist es nach der Diktion des BAG mit dem Schutzzweck des § 613a Abs. 5 BGB unvereinbar, dem Arbeitnehmer eine erneute Widerspruchsmöglichkeit einzuräumen, indem er im Wege einer Schadensersatzklage vom Veräußerer verlangen kann, dass er ihn wirtschaftlich so stellt, als hätte er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen. Die Zuerkennung eines solchen Schadensersatzanspruchs würde die Regelungen des Widerspruchsrechts umgehen.

Auch der gegen den Betriebsveräußerer geltend gemachte Abfi ndungsanspruch steht dem Kläger nicht zu. Zwar kommt bei einer fehlerhaften Unterrichtung grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Jedoch setzt dieser einen kausal verursachten Schaden voraus. Diesen konnte der Kläger nicht darlegen. Hätte der Veräußerer den Kläger ordnungsgemäß unterrichtet, hätte dieser – wie er behauptet – dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen. Dann hätte er aber auch nicht mit dem Erwerber den Aufhebungsvertrag und die Abfindungsvereinbarung abgeschlossen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung des BAG schafft für den Veräußerer Rechtssicherheit, indem sie klarstellt, dass ein Arbeitnehmer bei einer fehlerhaften Unterrichtung über den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht über den „Umweg“ eines Schadensersatzanspruchs i. V. m. den Grundsätzen zur Naturalrestitution die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses verlangen und damit ein nicht geltend gemachtes Widerspruchsrecht wiederherstellen kann.

Zwar bestätigte das BAG, dass bei einer fehlerhaften Unterrichtung grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Jedoch darf der Mitarbeiter mit diesem nicht verlangen, das Arbeitsverhältnis beim Veräußerer fortzusetzen. Insoweit bleibt ihm nur ein unbefristetes Widerspruchsrecht. Dieses kann jedoch verwirken. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG tritt dies bei einem Betriebsübergang ein, wenn der Arbeitnehmer sein Recht über längere Zeit nicht ausübt (Zeitmoment) und beim Arbeitgeber den Eindruck erweckt, er werde es auch nicht mehr ausüben (Umstandsmoment; vgl. BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 357/08, AuA 10/10, S. 616). Das Umstandsmoment ist insbesondere gegeben, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses disponiert hat. Das ist – wie hier – der Fall, wenn der Mitarbeiter einen Aufhebungsvertrag mit dem Erwerber schließt (BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 357/08, a. a. O.). Hat er sein Widerspruchsrecht verwirkt, kann er nicht mehr vom Veräußerer verlangen, sein Arbeitsverhältnis fortzuführen.

Praxistipp

Begehrt ein Arbeitnehmer vom Veräußerer wegen fehlerhafter Unterrichtung über einen Betriebsübergang das Arbeitsverhältnis fortzuführen, sollte dieser konkret ermitteln, ob der Mitarbeiter sein Widerspruchsrecht ordnungsgemäß ausgeübt und ggf. verwirkt hat. Im Falle der Verwirkung besteht kein Prozessrisiko. Der Mitarbeiter kann insbesondere nicht auf Grundlage eines Schadensersatzanspruchs verlangen, sein Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Macht er weitere (Ersatz-)Ansprüche geltend, sollte ihn der Veräußerer darauf verweisen, dass er nach den allgemeinen prozessualen Regeln exakt darlegen und beweisen muss, welcher Schaden ihm wegen der fehlerhaften Unterrichtung entstanden ist.

RA Benjamin Butz, Rechtsreferendarin Sarah Gründel, Pusch Wahlig Legal, Berlin

Redaktion (allg.)

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