Steuerschaden bei unwirksamer Kettenbefristung

1. Mit der Veröffentlichung des Ersuchens des BAG zur Vorabentscheidung vom 17.11.2010 (7 AZR 443/09) in der Sache Kücük musste ein Arbeitgeber damit rechnen, dass die Kettenbefristung von Arbeitsverträgen einer unionsrechtlich gebotenen Missbrauchskontrolle möglicherweise nicht standhält.

2. Führen verzögert geleistete Lohnnachzahlungen aufgrund eines Progressionssprungs zu einer erhöhten Einkommensteuer, hat der Arbeitgeber bei schuldhafter Pflichtverletzung dem Arbeitnehmer den daraus resultierenden Schaden zu ersetzen.
(Leitsätze des Bearbeiters)

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. März 2016 – 5 Sa 148/15

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien stritten über eine Forderung der Arbeitnehmerin auf Schadensersatz wegen einer erhöhten Steuerbelastung aufgrund verspäteter Vergütungszahlungen. Nachdem die Klägerin als Lehrerin über einen Zeitraum von mehr als neun Jahren mit insgesamt 17 Verträgen ununterbrochen immer wieder befristet beschäftigt wurde, hatte das LAG Rheinland-Pfalz in dem Vorprozess die Unwirksamkeit der letzten Befristungen festgestellt. Hieraufhin rechnete das beklagte Land im April 2013 die Vergütungsansprüche der Klägerin aus Annahmeverzug für die Zeit vom 30.6.2012 bis 31.3.2013 ab und leistete anschließend die nachzuzahlende Vergütung. Die Klägerin machte Verzugszinsen und einen Schaden von 6.792,14 Euro geltend, da ihr aufgrund der erst 2013 geleisteten Nachzahlung für 2012 durch die Steuerprogression Mehrsteuern entstanden seien.

Entscheidung

Nachdem das ArbG Koblenz die Klage mangels Verschulden des Arbeitgebers abgewiesen hatte, gab das LAG Rheinland-Pfalz der Berufung der Klägerin statt. Die Mitarbeiterin hatte gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen und auf Ersatz ihres Steuerschadens, der durch die verspätete Zahlung entstanden war. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz befand sich der Arbeitgeber in Verzug, da ihm zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen war. Bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte er nämlich bereits bei Abschluss der letzten Befristungen registrieren müssen, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Wirksamkeit sog. Kettenbefristungen geändert hatte. Dies ergab sich zum einen aus dem mehrfach veröffentlichten Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 17.11.2010 (7 AZR 443/09, AuA 5/11, S. 306) in der Sache Kücük, welches dem Vertrauen auf die Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung bei Kettenbefristungen den Boden entzog. Zum anderen lag zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils in dem Vorprozess bereits die Entscheidung des EuGH vom 26.1.2012 (C-586/10, AuA 3/13, S. 180) auf das Vorabentscheidungsersuchen des BAG vor. Zumindest nach der Veröffentlichung des Urteils des BAG vom 18.7.2012 (7 AZR 783/10, NZA 2012, S. 1359) durfte das beklagte Land keinesfalls mehr damit rechnen, dass die Befristung einer unionsrechtlich gebotenen Missbrauchskontrolle standhält und das Urteil des ArbG im Berufungsrechtszug Bestand haben könnte.

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Konsequenzen

Nach §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 287 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die durch verspätete Lohnzahlungen entstehenden Schäden zu ersetzen. Hierzu gehört auch der Steuerschaden. Ein solcher kann dadurch entstehen, dass nach dem im Steuerrecht geltenden Zuflussprinzip (§§ 11 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 2 Satz 2, 38a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EStG) Arbeitsvergütungen grundsätzlich im Steuerjahr des Zuflusses zu versteuern sind. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsvergütung für eine dem Steuerjahr vorangegangene Beschäftigungszeit an den Mitarbeiter nachgezahlt wird. Kommt es in einem solchen Fall zu Nachzahlungen aus dem Vorjahr, so kann die einmalige Zahlung zusammen mit der Zahlung der laufenden Arbeitsvergütung im Steuerjahr zu einer progressionsbedingt erhöhten Steuerbelastung führen (BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 488/01, NZA 2003, S. 268). Wird der Anspruch auf Ersatz des Steuerschadens bei einer streitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den Gesichtspunkt des Verzugs gestützt, ist Voraussetzung, dass der Schuldner den Verzug zu vertreten hat. Auf Seiten des Arbeitgebers muss damit zumindest Fahrlässigkeit vorliegen, die bedingt, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (§ 276 Abs. 2 BGB). Eine Fahrlässigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Arbeitgeber bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Kündigung/Beendigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam war. Auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung kann er sich nicht berufen, wenn ein sorgfältig handelnder Arbeitgeber damit rechnen musste, dass sich diese ändert.

Praxistipp

Stellt der Arbeitgeber im Anschluss an eine Kündigung die Gehaltszahlungen ein, ist für die Frage, ob er dies im Sinne eines Annahmeverzugs zu vertreten hat, entscheidend, ob unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Annahme gerechtfertigt war, die Kündigung werde sich als rechtsbeständig erweisen (vgl. BAG, Urt. v. 13.6.2002 – 2 AZR 391/01). Er hat also unter Beachtung der Rechtsprechung zu prüfen, ob für seine Kündigung – zum Zeitpunkt des Zugangs – vertretbare Gründe vorliegen. Das LAG Rheinland- Pfalz erweitert diese Anforderungen, indem es dem Arbeitgeber, der bei einer Kündigung/Beendigung auf die – bisherige – höchstrichterliche Rechtsprechung abstellt, die notwendige Sorgfalt aberkennt, wenn er damit rechnen musste, dass sich diese ändert. Als unverschuldet ist ein Irrtum nur dann anzusehen, wenn nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht mit einer anderen Beurteilung zu rechnen war.

Von großer praktischer Bedeutung sind ferner die Ausführungen zur Schadensberechnung im Wege einer Vergleichsrechnung und zur Darlegungs- und Beweislast. Hiernach hat der Arbeitnehmer – unter Vorlage seiner Steuerbescheide – die fiktive Steuerbelastung auf der Grundlage der tatsächlichen Einkünfte zuzüglich des (fiktiven) Nachzahlungsbetrags für das Jahr darzulegen, in welchem die Nachzahlung zu leisten gewesen wäre (Jahr 1). Von der fiktiven Steuerbelastung für das Jahr 1 ist die tatsächliche Steuerbelastung für das Jahr 1 abzuziehen. Hieraus errechnet sich die bei fristgerechter Entgeltzahlung eingetretene steuerliche Mehrbelastung für das Jahr 1. Anschließend ist die fiktive Steuerbelastung auf der Grundlage der tatsächlichen Einkünfte abzüglich des Nachzahlungsbetrags für das Jahr, in welchem die Nachzahlung tatsächlich geleistet worden ist (Jahr 2), der tatsächlichen Steuerbelastung für das Jahr 2 gegenüberzustellen. Die steuerliche Mehrbelastung für das Jahr 1 ist von der steuerlichen Belastung für das Jahr 2 zu subtrahieren. Der Differenzbetrag stellt den Schaden dar. Werden diese Berechnungsfaktoren im Einzelnen dargelegt, kann sich der Arbeitgeber nicht auf ein einfaches Bestreiten der geltend gemachten Schadenshöhebeschränken.

RA und Notar Dr. Ralf Laws LL.M. M.M., FA für Arbeitsrecht und Steuerrecht, Fachberater für Unternehmensnachfolge, Brilon

Redaktion (allg.)

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