Urlaubsanspruch bei Wechsel von Vollzeit in Teilzeit

Wechselt ein Arbeitnehmer von Vollzeit in Teilzeit, bleibt ihm der bereits erdiente Urlaubsanspruch aus der Vollzeitbeschäftigung in vollem Umfang erhalten, sofern er ihn während dieser Zeit nicht nehmen konnte. Dies gilt sowohl für die Anzahl der Urlaubstage als auch die Höhe des zu zahlenden Urlaubsentgelts.

(Leitsatz der Bearbeiterin)

EuGH, Urteil vom 22. April 2010 – C-486/08

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Gegenstand des Verfahrens war das Ersuchen eines Tiroler Gerichts um Vorabentscheidung des EuGH hinsichtlich der Vereinbarkeit einer österreichischen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit mit europäischem Recht. Eine österreichische Arbeitnehmervertretung hatte das Bundesland Tirol als Arbeitgeber verklagt. Sie begehrte die Feststellung, dass diverse Bestimmungen des Tiroler Landes-Vertragsbedienstetengesetzes (L-VBG) mit europäischem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind. Zur Überprüfung stand damit auch die für Deutschland interessante Regelung in § 55 L-VBG zum Wechsel von Teilzeit in Vollzeit:

"Bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes ist das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs an das neue Beschäftigungsausmaß aliquot anzupassen." Das Landesgericht Innsbruck setzte das Verfahren aus und ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung.

 

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass § 55 L-VBG mit europäischem Recht unvereinbar ist. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub ist ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union. Von ihm kann der nationale Gesetzgeber weder abweichen noch darf er ihn restriktiv auslegen. Zweck des Jahresurlaubs ist es, dem Mitarbeiter Erholung und Entspannung zu ermöglichen. Diese Ruhezeit verliert ihre Bedeutung nicht dadurch, dass der Beschäftigte sie nicht im Bezugszeitraum, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt nimmt. Der Urlaub steht damit in keinem Zusammenhang mit der Arbeitszeit, die der Arbeitnehmer in dieser späteren Zeit erbringt. Ist er einmal „verdient“, ist es nicht möglich, ihn nachträglich wieder zu kürzen.

 

Der Gesetzgeber darf daher den Anspruch, den ein Mitarbeiter während einer Vollzeitbeschäftigung erworben hat, bei einem Wechsel in Teilzeit nicht mindern. Das gilt sowohl für die Anzahl der Urlaubstage als auch für das Entgelt, das der Arbeitnehmer im Urlaubszeitraum bezieht. Es bleibt zwar dabei, dass Teilzeitkräfte grundsätzlich nur einen Pro-rata-Anteil am Urlaub eines Vollzeitbeschäftigten erwerben. Dieser Grundsatz lässt sich aber nicht nachträglich auf einen bereits erworbenen Anspruch anwenden. Voraussetzung für den vollumfänglichen Urlaubsanspruch ist jedoch, dass der Beschäftigte tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, den Urlaub während seiner Vollzeittätigkeit zu nehmen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung wirkt sich unmittelbar auch auf die Situation in Deutschland aus. Zwar gibt es hier keine ausdrückliche Vorschrift, die dem österreichischen Gesetz entspricht. In der Praxis werden solche Fälle hierzulande aber oft ebenso gehandhabt. Die Rechtsprechung – und damit auch die Arbeitgeber – werden dies ändern und sich künftig an die Vorgaben aus Brüssel halten müssen. Die Konsequenzen des Urteils lassen sich am besten durch folgendes Beispiel plastisch darstellen:

  • Hat ein Vollzeitarbeitnehmer, der an fünf Tagen pro Woche arbeitet, einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen, kann er sechs Wochen in Urlaub gehen. Für einen Teilzeitmitarbeiter, der nur an zwei Tagen pro Woche tätig ist, ergibt sich ein Anspruch von zwölf Tagen. Auch er kann sechs Wochen Urlaub nehmen. Daran ändert sich grundsätzlich nichts.
  • Achtung ist aber geboten, wenn ein Beschäftigter von Vollzeit in Teilzeit wechselt und bereits Urlaubsansprüche erworben hat: Hier hat der EuGH nun entschieden, dass der Teilzeitmitarbeiter seinen restlichen Urlaub – schlimmstenfalls also die vollen 30 Tage – behält. Das bedeutet im Beispielsfall 15 Wochen Urlaub(!). Gleiches gilt auch für die Höhe des Urlaubsentgelts: Ist ein vorheriger Vollzeitmitarbeiter nun nur noch halbe Tage tätig, bleibt es für die bereits erdienten Urlaubsansprüche bei der Vergütung aus der Vollzeitbeschäftigung.

Der EuGH hat aber zum Glück für Arbeitgeber diesen Grundsatz nicht schrankenlos aufgestellt. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer aus betrieblichen (z. B. Ablehnung eines Urlaubsantrags) oder persönlichen (z. B. Erkrankung) Gründen den Urlaub nicht mehr während seiner Vollzeittätigkeit nehmen konnte. In allen anderen Fällen kann der Arbeitgeber weiterhin den Anspruch pro rata berechnen.

Praxistipp

Bei der Vertragsgestaltung mit einer Teilzeitkraft ist es weiterhin möglich, die Ansprüche der Vollzeitmitarbeiter pro rata herabzurechnen. Dies verstößt nicht gegen europäisches Recht. Wechselt jedoch ein Arbeitnehmer von Vollzeit in Teilzeit, ist für den Arbeitgeber künftig Vorsicht geboten: Er muss gründlich prüfen, welche Urlaubsansprüche dem Beschäftigten ggf. noch erhalten bleiben. Um zu große Diskrepanzen zu vermeiden, sollte er darauf achten, dass der Mitarbeiter zumindest den rechnerisch „überschießenden“ Urlaub noch während der Vollzeitbeschäftigung nimmt. Beantragt dieser ihn nicht von sich aus, empfiehlt es sich, ihn hierzu eindeutig aufzufordern. So lässt sich der Rechtsprechung des EuGH Rechnung tragen, dass eine „Mitnahme“ des vollen Urlaubsanspruchs nur erfolgt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht nehmen konnte. Hierdurch hat der Arbeitgeber, je nach Fallgestaltung, die Möglichkeit, erhebliche, langfristige Urlaubszeiträume zu vermeiden. Das gilt insbesondere, bevor Mitarbeiter in Elternzeit gehen, da sich hier häufig eine Teilzeitbeschäftigung anschließt – und vorheriger Urlaub nicht verfällt.

RAin und FAin für Arbeitsrecht Astrid Krüger, Schulte Riesenkampff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main

Redaktion (allg.)

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