Vergütung bei Streikteilnahme

Hat sich ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Gleitzeitregelung in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abgemeldet und anschließend an einer Warnstreikkundgebung teilgenommen, vermindert sich seine vertragliche Sollarbeitszeit nicht um die Zeit der Kundgebungsteilnahme. Dementsprechend verringert sich der Lohnanspruch nicht.

BAG, Urteil vom 26. Juli 2005 - 1 AZR 133/04 Art. 9 Abs. 3 GG

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Bei der Beklagten war ein Gleitzeitsystem mit einer Normalarbeitszeit von 8.00 Uhr bis 15.45 Uhr etabliert. Nach der zugrunde liegenden Betriebsvereinbarung konnte die Lage der Arbeitszeit im Zeitraum von Montag bis Freitag durch die Mitarbeiter frei gewählt werden. Die Anwesenheit zu bestimmten Zeiten (sog. Kernzeit) war nicht vorgesehen. Das Zeitguthaben durfte einen positiven bzw. negativen Saldo von bis zu 150 Stunden aufweisen.

Entscheidung

Das BAG verurteilte die Arbeitgeberin anders als die Vorinstanz zur Zahlung der streitgegenständlichen Summe, da die Vergütung durch die Streikteilnahme in diesem Fall nicht gemindert wurde.

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Konsequenzen

Die Entscheidung ist in ihrer Begründung konsequent. Auch ein im Spät- oder Nachtdienst tätiger Mitarbeiter legt nicht die Arbeit mit der Folge einer entsprechenden Vergütungskürzung nieder, wenn er an einer Streikkundgebung am Morgen außerhalb seiner Dienstzeiten teilnimmt. Die Gewerkschaften werden die BAG-Entscheidung dafür nutzen, ihre Streikkassen zu entlasten. Es wird ihnen leicht fallen - gerade bei kurzen Warnstreiks - Arbeitnehmer zu veranlassen, sich "auszustempeln" und Zeitguthaben während der Streikteilnahme auszugleichen. Denn die Streikunterstützung führt regelmäßig nicht zu einem vollen Lohnausgleich durch die Gewerkschaften. Der Druck auf die Arbeitgeberseite ist bei diesem Vorgehen aber genau so hoch. Denn zu einer Störung der Arbeitsabläufe kommt es unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer "im Rechtssinne streiken" oder die Arbeit durch Nutzen von Spielräumen eines Gleitzeitsystems niederlegen.

Praxistipp

Die Erklärung des Arbeitnehmers, sich am Streik zu beteiligen bewirkt eine Aufhebung der Hauptleistungspflichten infolge der Streikteilnahme. Die Erklärung wird meist konkludent darin liegen, dass er nach einem entsprechenden Aufruf die Arbeit niederlegt und am Streik teilnimmt. Zu einem Wegfall der gegenseitigen Leistungspflichten kommt es aber nur dann, wenn tatsächlich eine Pflicht zur Arbeitsleistung bestanden hat. War der Arbeitnehmer bereits vor Streikbeginn aus anderen Gründen von der Arbeit befreit (z.B. wegen Urlaubs oder Teilnahme an einer Betriebsratsschulung), vermindert das die Vergütung nicht.

RA Lars Mohnke, Lovells, München

Redaktion (allg.)

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