Versetzung einer Flugbegleiterin

1. Eine vertragliche Festschreibung des Arbeitsortes muss nicht vorliegen, wenn der Arbeitsvertrag die Angabe eines bestimmten Arbeitsortes enthält, an dem die Arbeit zu beginnen ist. Vielmehr kann es sich auch so verhalten, dass der Arbeitgeber erstmals sein Weisungsrecht hinsichtlich des Arbeitsortes ausübte und dies im Arbeitsvertrag schriftlich fixieren wollte.

2. Ist der Arbeitsort im Arbeitsvertrag nicht festgelegt, ergibt sich der Umfang des Weisungsrechts aus § 106 GewO und § 315 BGB. Dabei hat die Nichtausübung des Weisungsrechts keinen Erklärungswert. Nur bei Hinzutreten besonderer Umstände, aufgrund derer der Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er nicht anderswo eingesetzt werden soll, kann es durch stillschweigendes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen (sog. Konkretisierung).

3. Bei der gerichtlichen Ausübungskontrolle der Arbeitgeberweisung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Einer unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers kommt dann erhebliches Gewicht zu. Auch branchen- oder berufsspezifische Besonderheiten können eine wichtige Rolle spielen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 28. August 2013 – 10 AZR 569/12

1106
Bild: Семен-Саливанчук / stock.adobe.com
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Problempunkt

Ein Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in Düsseldorf beschäftigt neben Flugkapitänen und Copiloten ca. 100 Flugbegleiter. Im Arbeitsvertrag der Klägerin vom 8.12.1994 heißt es:

"1. Beginn der Tätigkeit Die Mitarbeiterin wird ab 3.12.1994 im Bereich Flugbetrieb, Beschäftigungsort Münster/Osnabrück, als Flugbegleiterin eingestellt."

In § 4 Abs. 6 des gültigen Manteltarifvertrags vom 15.3.2006 ist bezüglich des Einsatzes der Flugbegleiter Folgendes geregelt: "Der Beschäftigte kann unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten, je nach den betrieblichen Erfordernissen, an einen anderen Einsatzort versetzt und mit anderen im Rahmen der Geschäftstätigkeit des Flugbetriebs der Eurowings liegenden Aufgaben im In- und Ausland beschäftigt werden."

2011 schlossen die Gesellschaft und die bei ihr gebildete Personalvertretung für die Kabinenmitarbeiter einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Aus Ziffer 2 des Interessenausgleichs ergab sich, dass von neun der bisherigen dienstlichen Einsatzorte, darunter Münster/ Osnabrück, keine Einsätze von Mitarbeitern mehr erfolgen und daher die diesen Einsatzorten zugeordneten Arbeitsplätze gestrichen werden sollten. Nach Ziffer 1 des Interessenausgleichs erfolgte der Einsatz der Mitarbeiter ausschließlich ab Düsseldorf oder Hamburg. Demgemäß versetzte die Gesellschaft die Mitarbeiterin nach Düsseldorf. Dagegen klagte diese. "Vorsorglich" kündigte die Gesellschaft zudem das Arbeitsverhältnis und bot zugleich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit neuem Einsatzort Düsseldorf an. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an und erweiterte ihre Klage um einen Änderungsschutzantrag. Sie vertrat die Ansicht, die Versetzung sei unwirksam, da der Dienstort Münster/ Osnabrück vertraglich vereinbart sei und nicht einseitig geändert werden könne; zudem entspreche sie nicht billigem Ermessen. Die Änderungskündigung sei sozialwidrig. Die Klage blieb in allen drei Instanzen erfolglos.

Entscheidung

Das BAG stellte zunächst fest, dass der Einsatzort der Mitarbeiterin nicht vertraglich festgelegt ist. In der Formulierung in Ziffer 1 liegt keine vertragliche Beschränkung des Direktionsrechts auf Münster/Osnabrück als Arbeitsort. Die betreffende Passage des Vertrags ist mit „Beginn der Tätigkeit“ überschrieben und legt lediglich fest, wo die Arbeitnehmerin bei Vertragsbeginn ihre Arbeit aufnehmen soll. Nach § 20 ArbZG i. V. m. § 5 Abs. 1 der 2. Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät ist die Beklagte verpflichtet, für jedes Besatzungsmitglied eine Heimatbasis anzugeben. Aus diesen Vorschriften ergibt sich aber nicht die Verpflichtung, die Heimatbasis vertraglich so festzuschreiben, dass eine Versetzung nur im Wege einer Änderungskündigung erfolgen könnte.

Die Arbeitspflicht der Klägerin hatte sich auch nicht dadurch auf den bisherigen Einsatzort räumlich konkretisiert, dass sie seit Vertragsbeginn im Wesentlichen von dort aus tätig war. Eine den Arbeitsvertrag abändernde Vereinbarung haben die Parteien nicht – insbesondere auch nicht stillschweigend – getroffen.

Das BAG kam sodann zu dem Ergebnis, dass ein Eingriff in das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht vorlag. Die Dauer der Arbeitszeit hatte sich ebenso wenig geändert wie die Höhe der Arbeitsvergütung. Geändert hatte sich zu einem gewissen Teil die zu erbringende Tätigkeit. Sie bestand im Wesentlichen nur noch aus der an Bord verbrachten Zeit. Einen Anspruch, die Arbeitszeit nicht an Bord zu verbringen, hatte die Klägerin nicht. Sie musste erheblich höhere Reisekosten für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsort tragen.

Weitere mit der Versetzung verbundene Beeinträchtigungen wurden bei der Ausübungskontrolle berücksichtigt. Dort kam das BAG zu dem Ergebnis, dass die Versetzung billigem Ermessen entsprach. Da die Beklagte seit Juni 2010 ihre Flugumläufe nahezu ausschließlich in Düsseldorf und Hamburg beginnen ließ, lag die Entscheidung, dort auch die Flugbegleiter zu stationieren, nahe. Ohne Versetzung hätten die nicht in Düsseldorf oder Hamburg stationierten Flugbegleiter zu den Abflugorten gebracht werden müssen. Diese Flugbegleiter hätten dann aufgrund der tarifvertraglichen Regelungen über die Flugdienstzeit nur noch mit geringeren Stundenzahlen zum Einsatz zur Verfügung gestanden.

Das Interesse der Klägerin an der Beibehaltung ihres bisherigen Einsatzortes musste demgegenüber zurücktreten. Der Tätigkeit einer Flugbegleiterin wohnt stets eine gewisse notwendige Flexibilität inne; die Erwartung der Vorteile eines ortsfesten Arbeitseinsatzes zu dauerhaft unveränderten Zeiten können vom Vertragszweck von vornherein nicht gedeckt sein. Zu berücksichtigen waren auch die nicht unbeträchtlichen Sozialplanleistungen und der Umstand, dass die Mitarbeiterin die Möglichkeit hatte, den Misslichkeiten einer längeren Anfahrt zum Arbeitsort durch einen Umzug auszuweichen.

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Konsequenzen

Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung ist zunächst festzustellen, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und -ort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein ggf. vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat. Hier bestehen hauptsächlich die folgenden Möglichkeiten:

> Die Bestimmung eines Ortes der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen verhindert regelmäßig die Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung.

> Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Ortes der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte aus § 106 GewO. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in dieser Konstellation einen anderen Arbeitsort zu, so unterliegt dies der Ausübungskontrolle gem. § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB.

Bei der Ausübungskontrolle prüft das ArbG, ob die Leistungsbestimmung billigem Ermessen entspricht. In die dazu notwendige Interessenabwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser besonderes Gewicht zu. Trotzdem ist entscheidend, ob das Interesse des Unternehmens an der Durchsetzung seiner Organisationsentscheidung auch im Einzelfall die Weisung rechtfertigt. Das ist der Fall, wenn die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung die Versetzung auch angesichts der für den Beschäftigten entstehenden Nachteile nahelegt und sie nicht willkürlich oder rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt. Der entschiedene Fall ist dafür ein anschauliches Beispiel.

Praxistipp

Die zu Beginn zitierten arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen haben die Entscheidung des 10. Senats wesentlich mitbestimmt. Sie können daher empfohlen werden. Auch dürfte es sich lohnen, etwaige branchen- und/oder berufstypische Besonderheiten von vornherein bei der Maßnahmenplanung zu berücksichtigen. Das bedeutet aber auch, dass das Urteil wegen der Besonderheiten des Luftverkehrs nicht 1:1 auf andere Fälle übertragbar ist.

Dr. Wolf Hunold, Unternehmensberater, Neuss

Redaktion (allg.)

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