Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ohne Angabe von Gründen kann der Arbeitgeber schon ab dem ersten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen.

(Leitsatz der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 14. November 2012 – 5 AZR 886/11

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin war als Redakteurin beim WDR beschäftigt. Im Mantelvertrag des WDR wargeregelt, dass ein Arbeitnehmer spätestens am vierten Tag ein ärztliches Attest vorlegen muss. Nachdem die Mitarbeiterin eine von ihr geplante Dienstreise nicht durchsetzen konnte, meldete sie sich für diesen Tag krank. Der Arbeitgeber forderte sie daraufhin auf, "bei zukünftigen Krankheitsfällen schon am ersten Tag der Krankmeldung einen Arzt aufzusuchen und ein entsprechendes Attest zu liefern". Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Klage und wehrte sich gegen die Anweisung mit der Begründung, der Arbeitgeber brauche dafür eine sachliche Rechtfertigung. Außerdem stünde die Klausel des Manteltarifvertrags entgegen. Des Weiteren verlange der Arbeitgeber bei den übrigen Mitarbeitern bisher nur in besonderen Fällen bei auffälligen Fehlzeiten vorherige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab.

Entscheidung

Das BAG schloss sich den Vorinstanzen an. Es machte deutlich, dass das Verlangen eines Arbeitgebers nach einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für die Erkrankung ab dem ersten Tag durch § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG gedeckt ist und keinerlei Begründung bedarf. Im Übrigen verstößt das Vorgehen auch nicht gegen den MTV und eine eventuelle anders lautende betriebliche Übung.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Das Gesetz nennt keinerlei Gründe, wann ein solches früheres Verlangen möglich ist. Das BAG griff zurück auf die Entstehungsgeschichte der Norm, wonach der Arbeitgeber „in jedem Fall die Möglichkeit haben sollte, d. h. immer dann, wenn er es wollte, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen.“

Das Gericht grenzte außerdem die Vorschrift ab gegen die Einholung von Attesten über den Medizinischen Dienst, was nur bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit möglich ist. Es machte damit deutlich, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG keine Ermessensnorm ist, bei der Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind, sondern nur die allgemeinen Schranken jeder Rechtsausübung. D. h. die Maßnahme darf nicht schikanös sein, nicht willkürlich und natürlich auch nicht dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen.

Das BAG sah auch keinen Widerspruch zu § 9 Abs. 2 MTV, weil dieser nur regelt, dass „spätestens am vierten Tag ein ärztliches Attest beizubringen sei“. Über die Zeit davor sagt der MTV nichts. Insbesondere schließt er § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG nicht aus.

Eine andere betriebliche Übung konnte das Gericht mangels entsprechender Angaben ebenfalls nicht feststellen, insbesondere keinen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers, zukünftig nie von dem Recht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG Gebrauch machen zu wollen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung zeigt erfreulich deutlich, dass der Arbeitgeber immer, wenn er es für richtig hält, vom Arbeitnehmer schon ab dem ersten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen kann, solange die Regelung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG nicht durch anderweitige Regelungen ausgeschlossen ist.

Praxistipp

Vor diesem Hintergrund sollte jeder Arbeitgeber die bei ihm gebräuchlichen Arbeitsverträge prüfen, die i. d. R. eine Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „spätestens“ am dritten oder vierten Krankheitstag verlangen. Eine so offene Formulierung wie „spätestens“ ist zu empfehlen, damit grundsätzlich eine Rückkehr zu § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG möglich ist und der Arbeitgeber im Einzelfall dann auch eine frühere Vorlage verlangen kann. Von einer generellen Regelung für alle Arbeitnehmer, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung immer schon ab dem ersten Tag vorzulegen, ist abzuraten. Die Erfahrung zeigt, dass Ärzte nicht nur für einen Tag, sondern dann oft gleich für die ganze Woche die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Die Krankheitszeiten könnten also steigen. Außerdem ist natürlich zu berücksichtigen, dass eine solch generelle Anweisung die Ordnung im Betrieb und damit § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betrifft, so dass sie mitbestimmungspflichtig ist (BAG, Beschl. v. 25.1.2000 – 1 ABR 3/99).

RAin und FAin für Arbeitsrecht Monika Birnbaum, MM, FPS Rechtsanwälte & Notare, Büro Berlin

Redaktion (allg.)

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