Vorstellungsgespräch eines Bewerbers mit Schwerbehinderung

1. Bewirbt sich ­ein schwerbehinderter Mensch auf ­eine Stelle bei ­einem öffentlichen Arbeitgeber, ist er zu ­einem Vorstellungsgespräch ­einzuladen, außer er ist offensichtlich fachlich nicht geeignet.

2. Eine unterbliebene Einladung ist grundsätzlich ­ein Indiz für die Vermutung seiner Benachteiligung wegen der Behinderung.

3. Eine rückwirkende Heilung dieser Vermutungswirkung ist nicht möglich, auch nicht durch ­eine nachgeholte Einladung zu ­einem Vorstellungsgespräch in ­einem noch laufenden Bewerbungsprozess.

4. Dass ­ein Kandidat ­einer solchen nachträglichen Einladung nicht nachkommt, bedeutet noch nicht, dass er die Bewerbung nicht ernsthaft betrieben hat.

(Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 22. August 2013 – 8 AZR 563/12

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger ist Industriekaufmann und mit ­einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert. Die Beklagte, das Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung als ­ein Dienstleister der hessischen Polizei, schrieb im Mai 2010 Stellen aus, auf die sich der Kläger bewarb und für die er fachlich geeignet war. Dabei wies er ausdrücklich auf seine Schwerbehinderung hin.

Die Beklagte plante zwei Bewerbertermine im Juli, lud jedoch nicht alle schwerbehinderten Kandidaten für den gleichen Tag ­ein. Der Kläger wurde nicht ­eingeladen. Er erhielt noch im Juli ­ein von ­einer Auszubildenden unterschriebenes Absageschreiben. Diese hatte dafür keine Anweisung erhalten.

Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass das Absageschreiben ­ein Büroversehen gewesen sei, da das Stellenbesetzungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Sie habe ihn tatsächlich in den engeren Kreis der Bewerber für ­eine Posi­tion aufgenommen und lud ihn zweimal zu ­einem Vorstellungsgespräch ­ein. Der Kläger nahm die Einladung nicht an, da er Dialysetermine hatte und insbesondere anzweifelte, dass das Auswahlverfahren tatsächlich noch nicht abgeschlossen sei.

Im September besetzte die Beklagte die Stellen, ­eine davon mit ­einem Schwerbehinderten, der ebenfalls zunächst ­ein Absageschreiben erhalten hatte.

Der Bewerber sah sich aufgrund seiner Schwerbehinderung benachteiligt und verlangte von der Beklagten ­eine Entschädigung von knapp 6.000 Euro (drei Monatsgehälter). Das ArbG sprach dem Kläger die Hälfte davon zu. Das LAG wies die Klage insgesamt ab.

Entscheidung

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und verwies die Sache zurück.

Das LAG hatte den Anspruch verneint, da der Kläger keine Tatsachen vorgetragen habe, die ­eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung vermuten lassen würden: Verletzt ­ein öffentlicher Arbeitgeber die Pflicht zur Einladung gem. § 82 Satz 2 SGB IX, liege hierin zwar grundsätzlich ­eine solche Tatsache. Er könne ­diesen Verstoß aber heilen, wenn er ihn nach ­einem Hinweis des Kandidaten im noch laufenden Bewerbungsverfahren nachträglich ­einlädt. Zudem zeige die Besetzung der Stelle mit ­einem anderen Schwerbehinderten, dass der Personenkreis gerade nicht ausgeschlossen worden sei. Vielmehr habe der Kläger offensichtlich kein Interesse mehr an der Posi­tion gehabt.

Dieser Begründung erteilte das BAG ­eine Abfuhr: Die unterbliebene Einladung stellt danach den für den Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG erforderlichen Verstoßgegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG dar. Einen solchen kann ­ein Arbeitgeber durch späteres Verhalten gerade nicht mehr heilen oder rückgängig machen. Hierfür fehlt jegliche rechtliche Grundlage. Ein nachträglich anberaumtes Gespräch auf ­einen geltend gemachten Entschädigungsanspruch hin hat nicht die gleiche Qualität wie ­ein regulär erreichtes Vorstellungsgespräch.

Ein solcher Verstoß erfordert zudem kein Verschulden oder ­eine Benachteiligungsabsicht. Das Verhalten der Auszubildenden wird der Beklagten daher zugerechnet. Die Nichtwahrnehmung der später angebotenen Termine reicht nicht aus, die Bewerbung als nicht ernsthaft zu qualifizieren.

Das LAG muss jedoch auf Tatsachenebene noch prüfen, ob die Beklagte die Vermutungswirkung entkräften konnte.

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Konsequenzen

Die Entscheidung gilt unmittelbar für öffentliche Arbeitgeber. Diese sind gem. § 82 SGB IX verpflichtet, nicht offensichtlich ungeeignete Stellenbewerber mit ­einer Schwerbehinderung zu ­einem Vorstellungsgespräch ­einzuladen, damit sie ihre Chancen in ­einem persönlichen Gespräch­ verbessern und mögliche Vorbehalte ausräumen können. Nicht nur ­eine spätere Einladung, selbst die spätere Einstellung ­eines ­einmal­ abgelehnten Kandidaten ändert nichts mehr am Vorliegen der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung – zumindest reicht dies für die Darlegungen des Bewerbers und die daraus folgende (widerlegbare) Vermutungs­wirkung aus.

Auch nicht-öffentliche Arbeitgeber sollten geeignete Kandidaten mit ­einer Schwerbehinderung vorsorglich zu ­einem Gespräch ­einladen, um sich nicht später Entschädigungsansprüchen­ ausgesetzt zu sehen. Zwar gibt es keine gesetzliche Pflicht zur Einladung – Indizien für ­eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung liegen aber beim Hinzutreten weiterer Umstände schnell vor.

Praxistipp

Unternehmen müssen feste Abläufe installieren und diese auch beständig überwachen. Bewerber mit Schwerbehinderung sind (bei nicht-öffentlichen Arbeitgebern vorsorglich) zu ­einem Gespräch ­einzuladen. Zudem ist die Absage mit ­einer Begründung zu versehen. Etwas Anderes gilt nur, wenn die Quote an Schwerbehinderten bereits erfüllt ist.

Derartige Abläufe sind besonders wichtig, da Verstöße gegen diese Verpflichtungen dem Arbeitgeber verschuldensunabhängig zugerechnet werden. Wie der Fall hier zeigt, kann also auch ­ein unautorisiertes Absageschreiben ­eines Auszubildenden unmittelbar Entschädigungsansprüche entstehen lassen. Ob dieser Mitarbeiter gut geschult und überwacht war oder nicht, ist unerheblich.

Gleiches gilt auch für ­eine Einschaltung sonstiger Dritter bei der Stellenausschreibung (wie der Agentur für Arbeit) oder der Personalauswahl. Das Unternehmen trifft in diesem Bereich stets die volle Verantwortlichkeit für deren objektives Verhalten. Eine nachträgliche Heilung solcher Fehler ist ausgeschlossen.

RAin und FAin für Arbeitsrecht Astrid Krüger, Schulte Riesenkampff Rechtsanwalts­gesellschaft mbH, Frankfurt am Main

Redaktion (allg.)

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