Weiterbeschäftigung eines JAV-Mitglieds

Die Weiterbeschäftigungspflicht aus § 78a Abs. 2 BetrVG setzt das Bestehen eines freien Dauerarbeitsplatzes im Ausbildungsbetrieb voraus.

BAG, Beschluss vom 15. November 2006 - 7 ABR 15/06 § 78a BetrVG

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung eines Mitglieds der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) nach dessen Ausbildungsende zumutbar ist. Die Arbeitgeberin - ein in der Telekommunikationsbranche tätiges, konzernangehöriges Unternehmen - führt die gesamte Aus- und Weiterbildung konzerneinheitlich in einem Ausbildungsbetrieb durch. Dieser hat neben seinem Hauptstandort in Bonn weitere Berufsbildungsstellen im gesamten Bundesgebiet. Ein Tarifvertrag regelt, dass in jeder der Berufsbildungsstellen eine JAV gebildet wird. Ein Mitglied der in der Berufsbildungsstelle Potsdam gewählten JAV stellte nun unter Berücksichtigung der Vorgaben des Gesetzgebers einen Antrag auf Übernahme in ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis nach Beendigung der Berufsausbildung. Gemäß § 78a BetrVG gilt ein der Ausbildung entsprechendes unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis als begründet, wenn ein in der Berufsausbildung befindliches JAV- bzw. Betriebsratsmitglied innerhalb der letzten drei Monate vor Ausbildungsende einen schriftlichen Übernahmeantrag stellt. Eine Auflösung dieses per Gesetz zustande gekommenen Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber nur erreichen, wenn er spätestens zwei Wochen nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses das Arbeitsgericht einschaltet und einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses stellt. Dies tat die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall. Nach § 78a Abs. 4 Satz 1 BetrVG kann der Antrag nur erfolgreich sein, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände eine Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann. Vorliegend begründete die Arbeitgeberin die Unzumutbarkeit damit, zum Zeitpunkt der Abschlussprüfung habe es im Betrieb keinen freien Arbeitsplatz gegeben. Dem widersprachen das JAV-Mitglied sowie die weiteren Verfahrensbeteiligten. Nicht nur im Betrieb, sonder darüber hinaus auch in anderen Betrieben des Unternehmens seien genügend geeignete Stellen vorhanden gewesen. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen, die die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung verneint hatten, verwies das BAG die Angelegenheit zur weiteren Sachaufklärung an das LAG zurück.

Entscheidung

Der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) führte aus, dass eine Weiterbeschäftigung u.a. dann unzumutbar ist, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses kein ausbildungsadäquater freier Arbeitsplatz vorhanden ist, der eine dauerhafte Beschäftigung des Auszubildenden ermöglicht. Dabei stellten die höchsten deutschen Arbeitsrichter - unter Hinweis auf die bisherige Senatsrechtsprechung (vgl. BAG, Beschluss v. 12.11.1997 - 7 ABR 73/96; DB 1998, S. 1720) - noch einmal klar, dass sich die Prüfung einer ausbildungsadäquaten Weiterbeschäftigungsmöglichkeit durch den Arbeitgeber auf den Ausbildungsbetrieb beschränkt. Demzufolge kommt es nicht auf verfügbare Arbeitsplätze in anderen Betrieben des Unternehmens an. Diese Ansicht teilen allerdings mehrere Landesarbeitsgerichte sowie Teile der Literatur nicht (vgl. Fitting, Kommentar zum BetrVG, 23. Aufl., § 78a Rdnr. 54 m.w.N.). Zur Begründung stützen sie sich zum einen auf den Schutzzweck des § 78a BetrVG. Dieser besteht darin, Auszubildende vor drohenden Nachteilen ihrer Amtstätigkeit bewahren. Dabei sei die durch die Bestimmung bewirkte Ämterkontinuität lediglich ein „erwünschtes Nebenprodukt“. Zum anderen verweisen sie auf den Unternehmensbezug des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Danach ist eine Kündigung u.a. unwirksam, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in einem anderen unternehmensangehörigen Betrieb möglich ist (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b, § 15 Abs. 4 KSchG). Beides spreche nach Ihrer Ansicht dafür, bei der Prüfung der möglichen Weiterbeschäftigung eines durch § 78a BetrVG geschützten Amtsträgers auch sämtliche verfügbaren Arbeitsplätze in anderen Betrieben des Unternehmens zu berücksichtigen. Dieser Auffassung trat der 7. Senat entgegen. Die Richter hielten die Pflicht zur Weiterbeschäftigung nur bei Fortbestehen des durch § 78a BetrVG geschützten Mandats für gerechtfertigt. Dies wäre bei einem Wechsel des Auszubildenden in einen anderen Betrieb mit eigener JAV-Vertretung nicht gegeben. Normzweck ist aber die Gewährleistung der Ämterkontinuität und der durch die Weiterbeschäftigung vermittelte Schutz des jeweiligen Amtsträgers vor nachteiligen Folgen bei der Amtsführung während des Berufsausbildungsverhältnisses. Auch die Wertungen des KSchG vermochten das Gericht nicht zu überzeugen. Das Gesetz schützt Arbeitnehmer vor ungerechtfertigter Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses infolge einer arbeitgeberseitigen Kündigung. Demgegenüber wird durch § 78a BetrVG überhaupt erst ein Arbeitsverhältnis nach dem vereinbarten Ende eines befristeten Berufsausbildungsverhältnisses begründet. Darüber hinaus gibt es weder im KSchG noch in anderen Gesetzen einen allgemeinen Grundsatz, dass ein befristetes Ausbildungs- bzw. Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden muss, wenn eine Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb oder Unternehmen besteht. Das BAG verwies den Fall zurück an das LAG, damit dieses prüft, ob tatsächlich Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb vorhanden waren.

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Konsequenzen

Stellt ein in der Berufsausbildung befindliches JAV-/Betriebsratsmitglied den Antrag auf Weiterbeschäftigung gemäß § 78a BetrVG, so kann der Arbeitgeber sich bei der Prüfung, ob im Zeitpunkt des Bestehens der Abschlussprüfung ein freier, ausbildungsadäquater und auf Dauer angelegter Arbeitsplatz vorhanden ist, auf den Betrieb beschränken. Allerdings sollten Personalverantwortliche in Unternehmen nicht zu früh jubeln. Auch anhand dieser Entscheidung wird deutlich, dass Instanzgerichte nicht selten entgegen der Rechtsprechung des BAG eine Verpflichtung des Arbeitgebers bejahen, den Mandatsträger auch in einem anderen Betrieb des Unternehmens entsprechend weiterzubeschäftigen. Unter Berücksichtigung der mehrjährigen Prozessdauer, der entstehenden Kosten sowie insbesondere des lieben Betriebsfriedens sollten Arbeitgeber 78a-Prozesse nach Möglichkeit vermeiden. Von daher erscheint es sinnvoller, von vornherein Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens zu prüfen. Wichtig ist insbesondere, dass Personalverantwortliche nicht erst mit der Suche beginnen, wenn (wie vom Gesetzgeber vorgegeben) innerhalb der letzten drei Monate des Ausbildungsverhältnisses ein Übernahmeantrag gestellt wird. Als erstes sollte eine Bestandsaufnahme erfolgen: In welchen Gremien sind Auszubildende vorhanden und wann endet deren Ausbildung. Als nächster Schritt empfiehlt sich ein Gespräch mit den Betreffenden, ob überhaupt Interesse an einer Weiterbeschäftigung besteht oder ob sie andere Pläne haben, z.B. die Aufnahme eines Studiums. Dieses muss so rechtzeitig erfolgen, dass das Unternehmen noch in der Lage ist, ohne größere Probleme zu reagieren. Zur Prozessvermeidung sollte der Personalverantwortliche dann nicht nur sorgfältig prüfen, ob eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gegeben ist. Ratsam ist vielmehr auch, dem JAV-/Betriebsratsmitglied - gerade wenn die Prüfung negativ ausfällt - persönlich das Ergebnis zu erläutern. Ist das Unternehmen nicht in der Lage, den Auszubildenden zu übernehmen, sollte es sich zusätzlich vergewissern, ob nicht wenigstens eine Fortsetzung zu geänderten Arbeitsbedingungen oder eine befristete Anstellung infrage kommt. Lässt sich die Angelegenheit nicht im beiderseitigen Interesse im Vorfeld lösen, empfiehlt es sich, dem Betreffenden die beabsichtigte Nichtübernahme zur Dokumentation schriftlich mitzuteilen. Stellt dieser daraufhin einen Übernahmeantrag, muss das Unternehmen möglichst umgehend (Frist endet zwei Wochen nach Ausbildungsende) die Arbeitsgerichtsbarkeit einschalten. Wichtig: Aus § 78a BetrVG ergibt sich keine Pflicht, extra für Auszubildende, die JAV-/Betriebsratsmitglied sind, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Genauso wenig hat das Unternehmen - anders als bei einer betriebsbedingten Kündigung - einen schon besetzten Arbeitsplatz freizukündigen.

Praxistipp

Sowohl bei der rechtzeitigen Prüfung von Übernahmemöglichkeiten als auch der Erörterung mit den Betroffenen sollten Personalverantwortliche unbedingt Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat einbeziehen. Unter Umständen könnten sich hier im Einzelfall Lösungen ergeben, die beiden Seiten nutzen.

Friedrich Rugenstein, Bureau für vertrauensvolle Zusammenarbeit der Betriebspartner, Berlin

Redaktion (allg.)

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