Warum Arbeitnehmer blaumachen

Quelle: pixabay.com
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Die Gründe fürs Blaumachen sind so vielfältig wie die Anzahl der jährlichen Krankschreibungen, ohne krank zu sein: Mobbing, Notwehr, Langeweile oder Überlastung werden genannt. Ein schlechtes Gewissen hat ein Großteil der Mitarbeiter dennoch nicht. Während manch Arbeitnehmer schlicht keine Lust hat zu arbeiten, sich die Zeit aber trotzdem gerne vergüten lässt, kann das Arbeitsklima in Unternehmen derart stark auf die Psyche schlagen, dass Beschäftigte keinen anderen Ausweg mehr sehen, als sich krankschreiben zu lassen.

Zeit Online hat in den letzten Wochen eine Umfrage durchgeführt und gefragt, wann Leser zuletzt blau gemacht haben – es antworteten 23.000 Menschen. Knapp ein Fünftel ließ sich demnach in den vergangenen zwölf Monaten krankschreiben, um blau zu machen. Von den Blaumachern selbst gaben 87 % an, dass sie wissen oder vermuten, dass auch die Kollegen „krankfeiern“. Es besteht aber Hoffnung: 81 % der Leser gaben an, dass sie sich im vergangenen Jahr keine Auszeit erschlichen haben. Damit gehört der Großteil der Arbeitnehmer zu den ehrlichen Beschäftigten. In den meisten Unternehmen braucht man eine Krankschreibung erst ab dem dritten Tag. Das führt bei 51 % der Befragten zu jenem Missbrauch. Sie erscheinen nicht zur Arbeit, haben aber auch kein Attest. Gleichzeitig kann die Forderung nach einer Krankschreibung ab dem ersten Tag zum längeren Fehlen eines Kollegen führen, der aus gesundheitlichen Gründen tatsächlich nur ein wenig Erholung brauchte. Besonders häufig fehlen junge Arbeitnehmer zwischen 18 und 34 Jahren. Mit fortschreitendem Alter lässt das Blaumachen nach. Ab dem 50. Lebensjahr hat nur jeder Zehnte im Unternehmen gefehlt, war aber weder krank noch hatte er Urlaub. Auch mit zunehmender Berufserfahrung, Karriere und Betriebszugehörigkeit nimmt das Blaumachen ab. Der größte Anteil ist unter Auszubildenden (42 %) zu finden, gefolgt von Leiharbeitern (37 %) und Praktikanten (34 %). Mangelnde Wertschätzung und Belastung bis an die Schmerzgrenze werden häufig als Gründe genannt. Zeit-Leser gaben zudem an, dass sie sich aufgrund von zu hoher Belastung und Angst vor Burn-out haben krankschreiben lassen. Auszubildende, die für ihre Ausbildung selbst aufkommen und daher nebenbei Geld verdienen müssen, gehen ebenso häufig zum Arzt. Gerade auch unter Leiharbeitern ist das Verständnis fürs Blaumachen groß, denn die Arbeitnehmer sehen sich vor großen psychischen und physischen Belastungen. Funktioniert ein Leiharbeiter nicht, steht schon der nächste in den Startlöchern, so die landläufige Meinung.
In der Werbebranche, im PR und Marketing sowie in Start-ups sind die Verhältnisse ebenfalls alarmierend. Blaumachen wird als Notwehr angesehen, um die eigene Gesundheit zu schützen. Die Bereiche Personaldienstleistungen, Telekommunikation, Medien und Verlage, Tourismus und Gastronomie, Handwerk und Immobilien wiesen ähnliche hohe Zahlen auf. Lediglich die Automobilbranche scheint ihre Belegschaft besser an sich zu binden.  

Psychische Probleme haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Stress in der Arbeitswelt und persönliche psychische Krisen machen Arbeitnehmer immer häufiger krank. Ärzte raten zu psychologischer Hilfe und schreiben ihre Patienten oft „bis auf weiteres“ krank. Die Grenze zwischen krank machen und krank sein ist hier häufig fließend.
In einem Fall täuschte eine gesunde Arbeitnehmerin eine Krankheit vor, weil ein Familienmitglied krank war. Etwa jeder zehnte Blaumacher verfährt so, wenn er ein Kind oder Angehörigen pflegen muss. Vor allem Eltern von kleineren Kindern fehlen häufiger – erhalten sie doch bei „eigener“ Krankheit volle Entgeltfortzahlung. Nach § 45 SGB V steht jedem Elternteil pro Jahr und pro krankem Kind „nur“ ein Krankengeldanspruch für zehn Arbeitstage zu. Bei Alleinerziehenden verdoppelt sich der Anspruch, das heißt 20 Tage pro Kind, maximal 50 Tage im Jahr. Das Gesundheitsministerium vermeldete zuletzt, dass sich die Zahl der Fälle, in denen sich Eltern wegen einer Erkrankung ihres Kindes arbeitsunfähig melden, in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt hat. 2016 wurden 2,45 Millionen solcher Fälle registriert, 2007 waren es nur 1,06 Millionen. Viele Eltern fürchten Repressalien im Job, wenn sie wegen kranker Kinder zu Hause bleiben. Bei den Männern ist dieser Anteil höher als bei Frauen.

Überlastete Arbeitnehmer sehen im Blaumachen auch eine Art Ausgleich für unbezahlte Überstunden und stellen damit eine gefühlte Gerechtigkeit wieder her. Etwa 70 % aller Befragten haben demnach kein schlechtes Gewissen bei ihrem Vorgehen. Psychologen bestätigen, dass oftmals nicht der einzelne Mitarbeiter, sondern das System krankt. Muss sich ein Betroffener übers Blaumachen die nötige Erholung nehmen, können die Gründe dafür in schlechten Arbeitsbedingungen liegen. Zufriedene Arbeitnehmer fehlen selten. Letztlich kann sogar Unterforderung für das Fehlen am Arbeitsplatz verantwortlich sein. So berichtete ein gut bezahlter Ingenieur mit eigentlich ausreichenden Urlaubstagen, dass er sich im Job derart langweile, dass er im Jahr bis zu 30 Tage zusätzlich fehle. Mangelnde Verantwortung und verantwortungsvolle Aufgaben nannte er als Gründe. Anhaltende Unterforderung frustriere ihn. Geblieben ist er trotzdem acht Jahre, hat inzwischen aber einen neuen Job.

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