Vorzeitige Beendigung und Übertragung von Elternzeit

1. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber der vorzeitigen Beendigung der Elternzeit ausdrücklich zustimmt.

2. Der Arbeitnehmer kann nicht verbrauchte Elternzeit – sofern er sie ursprünglich beantragt hat – mit einem Anteil von bis zu zwölf Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers in den Zeitraum des vollendeten dritten bis achten Lebensjahrs des älteren Kinds übertragen.

3. Der Arbeitgeber hat die Entscheidung, ob er der Übertragung zustimmt, gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu treffen. Sie ist gerichtlich voll überprüfbar.

(Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 21. April 2009 – 9 AZR 391/08

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Bild: grafikplusfoto/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin ist seit 1999 bei der Beklagten beschäftigt. Im Jahr 2004 brachte sie ihre Tochter zur Welt und nahm drei Jahre Elternzeit. Vor deren Ablauf wurde 2006 ihr Sohn geboren. Daher teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie wolle drei Jahre Elternzeit für ihren Sohn nehmen und die verbleibende Elternzeit für ihre Tochter "vorab oder danach" in Anspruch nehmen. Die Beklagte gewährte drei Jahre Elternzeit für den Sohn. Die Verlängerung um die nicht in Anspruch genommene Elternzeit für die Tochter lehnte sie jedoch ab. Daraufhin verlangte die Klägerin noch einmal ausdrücklich und schriftlich, ihr die vollen sechs Jahre Elternzeit für ihre beiden Kinder zu gewähren. Die Beklagte weigerte sich erneut. Deshalb beantragte die Mitarbeiterin, die Beklagte zu verurteilen, der Übertragung der verbliebenen Restelternzeit zuzustimmen. Die Vorinstanzen gaben der Klage im Wesentlichen statt.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten vor dem BAG scheiterte. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob und ggf. wie der Arbeitgeber einen Antrag auf Übertragung der Elternzeit wirksam ablehnen kann. Dabei spielten folgende Überlegungen eine tragende Rolle: Die vorzeitige Beendigung einer Elternzeit für das erste Kind wird mit Ablauf von vier Wochen nach Zugang der Erklärung des Arbeitnehmers wirksam. Innerhalb dieser Frist kann der Arbeitgeber den Antrag ablehnen. Das darf er allerdings nur aus dringenden betrieblichen Gründen.

Ist die vorzeitige Beendigung wirksam und verfügt der Mitarbeiter daher über „unverbrauchte“ Elternzeit für das ältere Kind, kann er diese an die Elternzeit für das nachgeborene Kind „anhängen“. Die Übertragung erfolgt nach § 15 Abs. 2 Satz 4, 1. Hs. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz. Die Vorschrift gibt dem Beschäftigten ein einseitiges Gestaltungsrecht – der Arbeitgeber muss nicht zustimmen. Er kann die Übertragung aber durch eine entsprechende Erklärung ablehnen. Diese ist allerdings nur wirksam, wenn sie den Anforderungen an das billige Ermessen genügt, vgl. § 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die Grenzen des billigen Ermessens sind nach den Ausführungen des BAG nur gewahrt, wenn der Arbeitgeber in nachvollziehbarer Weise die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und die widerstreitenden Interessen angemessen berücksichtigt hat. Dabei gilt ein objektiver Maßstab. Es genügt nicht, dass er sich bei seiner Entscheidung auf abstrakte Erwägungen, wie fehlende Planungssicherheit hinsichtlich der Besetzung der Stelle oder Vertretungsfragen, beruft. Insoweit hat der Gesetzgeber eine Wertung getroffen, die auch bei dieser Entscheidung ihren Niederschlag finden muss: Das Interesse des Arbeitnehmers, seine Kinder zu betreuen und die restliche Elternzeit zu übertragen, hat grundsätzlich mehr Gewicht als abstrakte Erwägungen des Arbeitgebers, die möglicherweise dagegen sprechen.

Hier hatte die Arbeitgeberin keine konkreten negativen betrieblichen Auswirkungen vorgetragen, die mit der Übertragung der Elternzeit eingetreten wären. Im Ergebnis durfte die Klägerin daher die Restelternzeit „anhängen“.

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Konsequenzen

Die Entscheidung ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber von Bedeutung: Das BAG hat deutlich gemacht, dass Mitarbeiter die Übertragung von Elternzeit verlangen können und der Arbeitgeber nur wirksam ablehnen darf, sofern dringende betriebliche Gründe dagegen sprechen. Diese muss er vortragen – und im Fall der gerichtlichen Auseinandersetzung – auch beweisen. Das dürfte, insbesondere wenn es sich nicht um ein Kleinunternehmen handelt, in der Praxis schwierig sein. Es genügt in keinem Fall, wenn das Unternehmen zur Begründung allein abstrakte Erwägungen anführt, etwa die fehlende Planungssicherheit bei der Besetzung der Stelle des Elternzeitlers.

Praxistipp

Arbeitgeber müssen wissen, dass die beantragte (und nicht verbrauchte) Elterzeit übertragbar ist – und der Mitarbeiter sie auch nach der Elternzeit für ein weiteres Kind „anhängen“ kann, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Beantragt also ein Arbeitnehmer, die Elternzeit vorzeitig zu beenden, muss das Unternehmen – will es das verhindern – spätestens innerhalb von vier Wochen den Antrag unter Nennung dringender betrieblicher Gründe ablehnen. Diese sind darzulegen und im Streitfall auch zu beweisen. Dasselbe gilt, wenn der Beschäftigte beantragt, die nicht verbrauchte Elternzeit an das Ende der Elternzeit für ein zweites oder weiteres Kind „anhängen“ zu dürfen.

Katrin Borck, RAin und FAin für Arbeitsrecht, Hinds + Kollegen, Berlin

Redaktion (allg.)

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