„Denen geht es gar nicht um den Arbeitsplatzerhalt. Die wollen Geld sehen.“

Wortwechsel
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 Bild: Nuthawut/stock.adobe.com
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Wie wichtig sind der Kündigungsschutz und das KSchG heute?

Klengel: Das KSchG verfolgt ja neben dem häufig genannten sozialen Ziel, den Arbeitsplatz als Lebensgrundlage zu erhalten, einen übergreifenden Zweck: Kündigungen sind nur aus sachlichen Gründen zulässig und Willkür wird vermieden. Denn wer jederzeit mit einer Kündigung rechnen muss, wird von seinen Rechten am Arbeitsplatz in geringerem Maß Gebrauch machen. Wer Zusatzschichten ablehnt, eine ergonomische Ausstattung des Homeoffice einfordert oder diskriminierten Kolleginnen beistehen möchte, fragt sich natürlich nach den möglichen Konsequenzen.

Lelley: Ich las kürzlich, über den Kündigungsschutz diskutieren wir in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, nicht über das KSchG natürlich, wie wir es heute kennen, aber immerhin. Und richtig Fahrt aufgenommen hat der gesetzliche Kündigungsschutz im Gefolge des Ersten Weltkriegs. Der war dann ja wohl, rückblickend, der Vater so mancherarbeitsrechtlicher Entwicklung, nicht nur im Individual-, sondern auch im Kollektivarbeitsrecht – Stichwort Hilfsdienstgesetz. Das KSchG ist heute wichtig, als es eben erst einmal da ist, mit seinem überaus starken, manchmal meint man auch etwas zu starken, Kündigungsschutzfür Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ob der Kündigungsschutz so und in dieser Weise zwingend ist, das steht sicher auf einem anderen Blatt.

Manchmal wird das KSchG ja auch als Bestandsschutzgesetz bezeichnet. Ist das nicht „die Lebenslüge“ des KSchG?

Lelley: Ja, die Erfahrung in den Verhandlungen vor den Arbeitsgerichten spricht eine deutliche Sprache: Meiner Meinung nach gibt es kaum einenKündigungsschutzprozess, der wirklich mit dem Arbeitsplatzerhalt endet. Und das ist oft sogar unabhängig von der rechtlichen Beurteilung (wirksam oder unwirksam?) der Kündigung! Als Unternehmensvertreter mache ich dann gar nicht so selten die Erfahrung, dass die Gegenseite, also die klagenden Arbeitnehmer, ganz zielstrebig auf eine Abfindung zusteuern. Denen geht es gar nicht um den Arbeitsplatzerhalt. Die wollen Geld sehen. Der Bestandsschutzgedanke des KSchG ist rechtstatsächlich fast schon widerlegt, meine ich.

Klengel: Ja und nein. In einigen Bereichen der Arbeitswelt wirkt das KSchG tatsächlich so wie es intendiert ist, als Bestandsschutz: große Teile des öffentlichen Dienstes zählen hierzu, aber auch Unternehmen der Privatwirtschaft mit einer starken Interessenvertretung. Für große Bereiche der Wirtschaft besteht aber die von Ihnen beschriebene „Lebenslüge“. Andere sprechen von einem „Durchsetzungsdefizit“, weil die Arbeitgeber hier allen Unkenrufen zum Trotz letztendlich doch am längeren Hebel sitzen und eine Beendigung des Arbeitsvertrags erkaufen können. Und lassen Sie mich das noch hinzufügen: Dieses Herauskaufen funktioniert besser, wenn sie sich eine spezialisierte Beratung leisten können. Auch auf Arbeitgeberseite bestehen hier also Ungleichheiten, die sicher nicht im Sinne des Gesetzes sind.

Im KSchG gibt es Ansätze des gelockerten Bestandschutzes, vor allem in § 1a oder § 14 Abs. 2. Liegt dem eine gewisse Unentschlossenheit zugrunde?

Klengel: Der Bestandsschutz ist nach wie vor das zentrale Leitprinzip des KSchG. Die von Ihnen genannten prägen die Praxis des Kündigungsschutzes nicht: § 1a KSchG setzt bekanntlich einen entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, er hat es also in der Hand, ob es zur Abfindungslösung kommt oder nicht. § 14 greift nur für den eng gefassten Kreis der leitenden Angestellten, hier ist der Anwendungsbereich also schmal. Eine Systemwende hin zur Abfindungsregelung ergäbe auch wenig Sinn –letztlich laufen auch die in anderen Ländern praktizierten Abfindungslösungen auf ein ähnliches Ergebnis hinaus: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können das Arbeitsverhältnis beenden, fraglich ist, welchen Preis das hat.

Lelley: Da sind wir einer Meinung: Die Ansätze zum gelockerten Bestandsschutz prägen das KschG nicht – leider, aus meiner Sicht. Und auch eine Systemwende hin zu einem Abfindungsgesetz gibt es nicht – wieder leider. Der § 1a KSchG führt ein Schattendasein nicht zuletzt deshalb, weil die Norm, einmal zurückhaltend ausgedrückt, keine Meisterleistung des Gesetzgebers war. Sie ist in der Praxis einfach nicht gut zu handhaben. Aber das heißt ja nicht, die Idee, die der Norm zugrunde liegt, wäre grundsätzlich eine schlechte.

Sehen Sie Alternativen oder Entwicklungsmöglichkeiten zum aktuellen KSchG – etwa in Form einer Lockerung oder Verschärfung des gesetzlichen Kündigungsschutzes?

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Lelley: Eine Verschärfung des Kündigungsschutzes kann man ja immer vereinbaren, z. B. die in § 102 Abs. 6 BetrVG gegebene Möglichkeit, Kündigungen grundsätzlich von einer Zustimmung des Betriebsrats abhängig zu machen. Interessanterweise spielt das und Ähnliches in der Praxis kaum eine Rolle. Wenn man sich unser heutiges System des Kündigungsschutzes einmal ansieht, so wird doch schnell klar: Der Kündigungsschutz geht in vielen Unternehmen weit über das KSchG hinaus, da spielen Betriebsratsanhörung, Massenentlassungsanzeige, tariflicher Kündigungsschutz eine Rolle und verstärken oder verschärfen den Kündigungsschutz noch. Das System ist sehr kompliziert und führte schon vor einiger Zeit in der Fachwelt zu dem Zwischenruf, als Arbeitgeberin könne man in Deutschland überhaupt nicht mehr fehlerfrei kündigen. Und doch werden Arbeitsverhältnisse beendet, wenn nötig. Das verlangt dann doch eher nach einer Lockerung statt weiteren Verkomplizierung des Kündigungsschutzes. Oder, anders gesagt, einfach ein wenig mehr Realismus.

Klengel: Es gibt einige bedenkliche Entwicklungen: So eröffnen die Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder die Unterstellung, dass die gekündigte Arbeitnehmerin für die Zeit des Kündigungsschutzverfahrens böswillig Verdienst unterlassen hat, ungute Nebenkriegsschauplätze bei Vergleichsverhandlungen. Daneben stehen die „Dauerbrenner“, namentlich die Verdachtskündigung und die Unantastbarkeit der unternehmerischen Entscheidung bei der betriebsbedingten Kündigung, nicht im Gesetz. Die aktuell drängendsten Probleme haben aber mit missbräuchlichen Fallgestaltungen zu tun, z. B.: Immer häufiger fungieren Konzernunternehmen als Arbeitgeber, die finanziell schwach ausgestattet sind oder Beschäftigte werden gar im Wege des Betriebsübergangs auf eine extra gegründete Tochtergesellschaften übertragen, um die Kündigung „billiger“ zu machen. Eine Durchgriffshaftung der solventen Konzernmutter wäre hier angebracht und auch umsetzbar. Dem stehen Tendenzen eines Kündigungsschutzes über hohe formelle Anforderungen an Kündigungen gegenüber, etwa bei der Massenentlassungsanzeige, die zudem auch auf Arbeitnehmerseite nicht alle Gekündigten gleichermaßen gut beurteilen oder prüfen lassen können.

Welche Zukunft hat das Kündigungsschutzrecht und vor allem das KSchG in der modernen Arbeitswelt?

Klengel: Die Erfahrung, aber auch die sinkenden Eingangszahlen bei den Gerichten zeigen: Die Bedeutung des individuellen Kündigungsschutzes nimmt tendenziell ab. Stellenabbau wird in den Unternehmen heute auf anderen Wegen realisiert und durch staatliche Programme wie das Kurzarbeitergeld unterbunden. Der Fachkräftemangel sorgt dafür, dass jede Arbeitskraft heute mehr denn je gebraucht wird. Umqualifizierung ist das Gebot der Stunde. Dass das Gesetz weniger intensiv angewandt wird, heißt aber nicht, dass es nutzlos ist: Es ist wichtig, sich im Ernstfall darauf berufen zu können. Doch wenn Arbeitgeber bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen immer strategischer vorgehen, werden auch auf Arbeitnehmerseite kollektive Instrumente wie bspw. Investitions-Tarifverträge in der Industrie oder kollektive Vereinbarungen zur Personalbemessung wie derzeit im Gesundheitsbereich noch relevanter werden – auch wenn dies für viele Unternehmen noch immer ein rotes Tuch darstellt.

Lelley: Die moderne Arbeitswelt stellt nicht den Kündigungsschutz in den Mittelpunkt, da bin ich mir recht sicher. Das hat meiner Meinung nach mit der stärkeren Betonung von persönlicher Freiheit und Mobilität zu tun. Das ist auch gut so. Und das KSchG ist dann doch nicht zuletzt ein statisch-konservatives Gesetz. Dass esin nächster Zeit zu einer grundsätzlichen Umorientierung im Kündigungsschutzrecht kommen könnte, das denke ich nicht. Aber vielleicht zu einem schleichenden Bedeutungsverlust. Das kann man doch schon ganz gut daran ablesen, wie neue Materien, wie das Arbeitnehmerdatenschutzrecht, schon jetzt stark in den Kündigungsschutz übergreifen. Wenn wir heute viel und zu Recht davon sprechen, wie sich das Arbeitsrecht auf die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts einstellen muss, dann betrifft das sicher auch das Kündigungsschutzrecht.

Dr. Jan Tibor Lelley

Dr. Jan Tibor Lelley
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, Buse Heberer Fromm, Essen, Frankfurt am Main

Dr. Ernesto Klengel

Dr. Ernesto Klengel
Wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht, HSI der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
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· Artikel im Heft ·

„Denen geht es gar nicht um den Arbeitsplatzerhalt. Die wollen Geld sehen.“
Seite 28 bis 29
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