Direkt zum Inhalt

Ausgleichsanspruch bei mehr als 48 Stunden Wochenarbeitszeit

Ausgleichsanspruch bei mehr als 48 Stunden Wochenarbeitszeit

Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die in der Woche mehr als 48 Stunden arbeiten, haben einen Ausgleichsanspruch direkt aus EU-Recht (EuGH, Urt. v. 25.11.2010 C – 429/09, Fuß/Stadt Halle). 

Der Kläger war als verbeamteter Hauptbrandmeister für die Stadt Halle tätig. Dabei kam er auf durchschnittlich 54 Stunden pro Woche. Da Art. 6b der Richtlinie 2003/88/EG eine Höchstgrenze von durchschnittlich 48 Stunden die Woche vorschreibt, begehrte er einen Ausgleich in Freizeit oder Geld für die Mehrarbeit. Dies lehnte die Beklagte ab. Der Hauptbrandmeister klagte.

 

Das Verwaltungsgericht Halle lehnte einen Anspruch auf Freizeitausgleich aus nationalem Recht mangels Rechtsgrundlage ab. Er lasse sich auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB stützen. Hierfür hätte es eines Antrags des Klägers an seinen Dienstherrn bedurft, ihn nur noch im Rahmen der gesetzlichen Arbeitszeit heranzuziehen. Erst ab diesem Zeitpunkt seien rechtswidrig festgesetzte Arbeitszeiten auszugleichen, nicht jedoch rückwirkend. Auch Mehrarbeitsvergütung könne der Kläger nicht verlangen, weil die Beklagte keine Mehrarbeit angeordnet hatte.

Das Gericht hatte jedoch Zweifel, ob das Antragserfordernis für den Freizeitausgleich nicht die praktische Wirksamkeit der Höchstarbeitsgrenze der Richtlinie 2003/88/EG aushöhle. Es bat daher den EuGH um eine Vorabentscheidung.

 

Dieser bejahte einen Ausgleichsanspruch. Die Richter machten deutlich, dass es sich bei Art. 6b der Richtlinie 2003/88/EG um eine besonders wichtige Vorschrift des EU-Sozialrechts handelt. Sie verleiht dem Einzelnen Rechte, die er unmittelbar vor den nationalen Gerichten einklagen kann.

Aufgrund der überragenden Bedeutung der Vorschrift dürfen die Mitgliedstaaten ihre Reichweite auch nicht durch nationale Bedingungen einschränken, die es bei einem Verstoß über die Maßen erschweren, eine Entschädigung zu erhalten. Dies ist jedoch der Fall, wenn der Mitarbeiter zuvor einen Antrag stellen muss. Ein solches Vorgehen verletzt den Effektivitätsgrundsatz. Es obliegt allerdings dem nationalen Gesetzgeber, festzulegen, ob der Schaden in Freizeit oder in Geld auszugleichen ist und wie er sich berechnet.

 

Karsten Haase, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Leiter des Fachausschusses „EU-Arbeitsrecht“ des Verbands deutscher Arbeitsrechts Anwälte, weist darauf hin, dass der EuGH in seinem Urteil nicht zwischen Beamten und Arbeitnehmern differenziert, so dass die Argumentation auch für Angestellte im öffentlichen Dienst gilt.

Redaktion (allg.)