1 Der erste Eindruck zählt
Stellen Sie sich vor: Sie führen ein Spitzen-Vorstellungsgespräch. Endlich haben Sie für Ihr Unternehmen den Wunschkandidaten gefunden und sich geeinigt. Sie schicken den Arbeitsvertrag an den Bewerber. Dann die Hiobsbotschaft: Der Bewerber sagt ab.
Das war ein früher Test. Der Bewerber, für den Sie sich entschieden haben, liest erstmalig, worüber zuvor nur gesprochen wurde. Die Arbeitsverträge sind der erste Realitätscheck, ob das, was man im Vorstellungsgespräch vermittelt und versprochen hat, auch eingehalten wird. Stimmen Wort und Tat überein? Damit meine ich auch die Arbeitsbedingungen. Vor allem aber meine ich die Unternehmenskultur, die bei Ihnen gelebt wird und mit der Sie im Recruiting um den Bewerber geworben haben. Auch wenn Sie vom Worst-Case-Szenario verschont bleiben: Ein Arbeitsvertrag, der schlecht gemacht ist, der nicht den Versprechungen entspricht oder der Unternehmenskultur widerspricht, wird bei dem künftigen Mitarbeiter einen äußerst schlechten Eindruck machen. Das ist mutig. Denn Arbeitgeber treten mehr denn je untereinander in Wettbewerb auf der Suche nach den bestmöglichen Mitarbeitern. Um das Recruiting erfolgreich abzuschließen, muss der Wunschkandidat den Arbeitsvertrag unterzeichnen. Und bestenfalls unterschreibt er den Vertrag mit dem Gefühl: Hier bin ich richtig!
2 Das Experiment
Möchten Sie ein Experiment wagen? Schnappen Sie sich den letzten Arbeitsvertrag, der in Ihrem Unternehmen unterzeichnet wurde, lesen Sie ihn. Verstehen Sie, was da geschrieben steht? Können Sie es jemandem erklären? Geben Sie den Arbeitsvertrag auch einem Beschäftigten, vielleicht einem Mitarbeiter aus der Personalabteilung. Versteht dieser die Inhalte und kann sie jemandem erklären?
Sollten Sie zu der Erkenntnis gekommen sein: „Ich verstehe das nicht. Ich kann das nicht erklären.“, frage ich Sie weiter: Warum steht das dann (so) in Ihrem Vertrag?
Da der Arbeitsvertrag ein Vertrag ist, geht damit (bedauerlicherweise noch) das Verständnis der Vertragsgestalter und -verwender einher, dass sich das Ganze auch so lesen muss. Was im Vertrag steht, das muss so da drin stehen. Und wenn man nicht versteht, was geregelt ist, dann wird das so schon richtig sein und liegt daran, dass das die komplizierte juristische Sprache ist. Ein Irrglaube. Denn Verträge können genauso gut einfach geschrieben, verständlich und inhaltlich nachvollziehbar sein. Das sollten sie auch. Denn nicht nur Sie, sondern auch der Bewerber und die Mitarbeiter sollten verstehen, was geregelt ist, was die Regelung bedeutet und warum sie getroffen wurde.
Machen wir weiter in unserem Experiment: Sie haben also verstanden, was in dem Arbeitsvertrag geregelt ist. Die nächste spannende Frage lautet: Stimmt das, was geregelt ist, mit den tatsächlich gelebten Arbeitsbedingungen überein? Ich wage eine These und sage: nein. Falls doch: Wann und wie oft haben Sie die einzelnen Regelungen benötigt? Arbeitsbedingungen der modernen Arbeitswelt (z. B. mobiles Arbeiten, Flexibilität) haben häufig noch keinen Eingang in die Arbeitsverträge gefunden. Altlasten finden sich in den Verträgen umso mehr. In vielen Unternehmen sind Arbeitsverträge „gewachsene“, vielleicht auch „zusammengestückelte“ Dokumente. Vor Jahren hat man mal ein (oder mehrere) Muster als Vorlage genutzt oder sogar von einem Anwalt Arbeitsverträge individuell gestalten lassen. Seither wachsen diese Verträge: Regelungen kommen hinzu, weil man (Ihre Vorgänger? Ein „Experte“? Sie?) mal schlechte Erfahrungen gemacht oder einfach etwas Neues gehört hat. Regelungen kommen hinzu, weil Anwälte es empfehlen. Dadurch wird manch ein Vertrag zu einem aufgeblähten Konglomerat an Regelungen. Unternehmer wie Anwälte ziehen sich zurück auf die Annahme: Das steht in anderen Verträgen, also brauchen wir das auch. Das war schon immer so in unseren Verträgen geregelt; gestrichen wird besser nichts, aber eine weitere Regelung können wir hinzufügen.
3 Ein aktuelles Beispiel
Auch die weiteren Fallstricke bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen werden an folgendem aktuellen Beispiel verdeutlicht: Der EuGH bringt ja Stück für Stück unser Verständnis von Urlaub und Arbeitszeit „durcheinander“ (so zumindest die Befürchtung vieler). Auf dessen Rechtsprechung hin hat das BAG mit Urteil vom 19.2.2019 (9 AZR 541/15) entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub i. d. R. nur dann am Ende des Kalenderjahres erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch sowie die Verfallfristen belehrt und der Beschäftigte den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Der Unterschied zum bisherigen Verständnis? Der Urlaub verfällt am Ende des Kalenderjahres (oder auch zu einem anderen vereinbarten Zeitpunkt) nicht automatisch. Der Arbeitgeber muss etwas tun. Was machen nun die ersten Anwälte? Sie nehmen dies bei den Regeln zum Urlaubsanspruch in den Arbeitsvertrag auf. Da steht jetzt zusätzlich: „Der Arbeitnehmer wird darauf hingewiesen, dass der Urlaubsanspruch verfallbar ist.“
Der Bewerber mit dem Arbeitsvertrag seines (vermeintlichen) Wunscharbeitgebers in den Händen kennt aber diesen Kontext nicht und fragt sich: „Hä? Was will man mir damit sagen?“
Ja, was will man dem Bewerber damit eigentlich sagen? Es gibt Unternehmen, die kalkulieren damit, dass Mitarbeiter „aus freien Stücken“ ihren Urlaub nicht nehmen. Entspricht das Ihrer Unternehmenskultur und wollen Sie das den Bewerbern vermitteln?
Die Empfehlung der Anwaltskollegen ist nicht darauf gerichtet, Arbeitgeber bei dieser Kalkulation zu unterstützen. Das geht rechtlich nämlich gar nicht, da der Urlaub sich trotz des „Verfalls“ in Schadensersatzansprüche umwandeln kann. Die Formulierung im Arbeitsvertrag selbst ist zudem nicht erforderlich. Damit der Urlaub verfällt, ist dem Mitarbeiter im laufenden Arbeitsverhältnis ein konkreter Hinweis über die noch offenen Urlaubsansprüche zu geben. Er muss aufgefordert werden, diesen Urlaub zu nehmen und er ist darüber aufzuklären, dass der Urlaub sonst verfällt. Das empfehlen die Anwälte zusätzlich.
4 Was lehrt das Beispiel noch?
Aus dem Beispiel lernen wir nicht, dass die Anwaltskollegen schlechte Arbeit machen. Ganz im Gegenteil: Es wird Arbeitgeber und Mandanten geben, für die ist die Empfehlung genau richtig. Das gilt aber eben nicht für jedes Unternehmen.
Das Beispiel lehrt uns, aufmerksam zu bleiben. Es verdeutlicht, dass sich Arbeitsverträge aus völlig unterschiedlichen Einflüssen zusammensetzen:
- die des Unternehmens,
- der dort (auch in der Vergangenheit) handelnden Personen,
- Shareholder,
- Anwälte etc.
Jeder bringt seine eigenen Interessen, Erfahrungen, Ängste und Sorgen ein. Auf den ersten Blick betrachtet, ist das nur ein Vertrag. Es ist aber mehr. Der Arbeitsvertrag ist ein komplexes System, ein Ergebnis aus unterschiedlichen Erfahrungen und Interessen, die aufeinandertreffen und sich miteinander verbunden haben. Über Jahre verwendete Verträge tragen ihre eigene Geschichte und bauschen sich mit diesen Erfahrungen auf. Bestehendes wird nicht hinterfragt, aber es wird fleißig dazugetextet. Ob die Regelungen so (noch) zur Anwendung kommen, wird selten überprüft. Ebenso, ob sie überhaupt von Relevanz sind.
Regelmäßig unberücksichtigt bleibt bei der Gestaltung der Verträge, wie das Ganze bei dem künftigen Mitarbeiter ankommt. Dabei ist der Arbeitsvertrag auch Kommunikator. Er ist Kommunikator der geltenden Arbeitsbedingungen, der Versprechungen und der Unternehmenskultur. Man sollte bedenken: Der Bewerber trägt nicht die ganzen Erfahrungen in sich und wundert sich über das Paket, das ihm vorgelegt wird. Und er verknüpft das mit seinen ganz eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen.
Dieser Perspektivwechsel wird bei der Gestaltung von Verträgen regelmäßig vergessen. Das liegt vielleicht an dem überkommenem Verständnis: „Verträge sind nun mal Verträge“ und folgt aus der „Friss oder stirb“-Mentalität, die sich Unternehmen heute gar nicht mehr erlauben können. Daher zurück zu unserem Experiment: Gehen Sie mal einen Schritt zurück (nicht wörtlich, ich meine gedanklich). Stellen Sie sich vor, Sie lesen den Vertrag zum ersten Mal. Stellen Sie sich vor, Sie bewerben sich in einem Unternehmen und erhalten diesen Arbeitsvertrag: Was lesen Sie? Was ist in dem Vertrag geregelt und warum? Und was löst das in Ihnen aus?
5 Der Arbeitsvertrag als Aus- druck der Unternehmenskultur
Welche Erkenntnis gewinnen Sie durch den Perspektivwechsel? Unternehmen sind ein System aus formellen und informellen Regeln. Formelle Regeln meinen dabei diejenigen, die bekannt und regelmäßig auch schriftlich dokumentiert sind. Auch die inoffiziellen sind bekannt, i. d. R. jedoch unausgesprochen. Ein Bewerber kann diese – naturgemäß – nicht kennen. Die Unternehmenskultur bildet sich aus der Summe der formellen und informellen Regeln. Sie ist ein Zusammenschluss (ein „System“) gemeinsam geteilter Denk-, Fühl- und Handlungs-Muster. Diese sind u. a. vermittelt durch Normen, Werte und das bestehende Menschenbild.
Die formellen Regeln (im Arbeitsvertrag) sind damit Bestandteil der Unternehmenskultur. D. h. das, was in den Arbeitsverträgen steht (z. B. zum Urlaub), bestimmt die Unternehmenskultur. Stimmen die formellen nicht mit den gelebten Regeln überein, entsteht ein Widerspruch. Stimmen sie nicht mit der Unternehmenskultur überein, die dem Bewerber beschrieben wurde, so entsprechen entweder die Regeln nicht mehr der Realität und der Arbeitsvertrag bedarf der Überarbeitung oder die Unternehmenskultur ist nicht glaubwürdig.
Hält der Bewerber erstmals den Arbeitsvertrag in den Händen, erkennt er darin entweder die vermittelte Unternehmenskultur wieder. Oder er hält mit dem Vertrag erstmals die „formellen Regeln“ in der Hand und stellt fest: Die beschriebene Unternehmenskultur stimmt nicht mit der bestehenden überein. Wenn Sie mit einer Kultur der Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Wertschätzung geworben haben, muss sich dies auch im Arbeitsvertrag widerspiegeln. Das gilt sowohl für die Sprache als auch den Inhalt. Die Kultur muss sichtbar und wahr sein. Nur dann ist sie glaubwürdig.
6 New Work und die moderne Arbeitswelt
Die Unternehmenskultur ist für moderne Arbeitgeber und für die Beschäftigten von entscheidender Bedeutung: Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Einher geht, dass sich sowohl das Verständnis von Arbeit als auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter verändern. Jeder spricht von „New Work“, das prägt das Arbeitsleben: Die New-Work-Bewegung (übersetzt: „Neue Arbeit“) hat ihren Ursprung bereits in den 1970ern und steht u. a. für
- Freiräume für und mit seinen Mitarbeitern schaffen,
- Entfaltungsmöglichkeiten bieten wie auch
- Selbstständigkeit und Teilhabe fördern.
Heute ist die moderne Arbeitswelt (und damit auch der Begriff New Work) zusätzlich von Digitalisierung und Globalisierung geprägt. Vernetzung und Kommunikation im Betrieb, zwischen Kunden und Unternehmen, Vertragspartnern, aber auch Unbekannten haben sich verändert. Menschen lernen ununterbrochen dazu und müssen gleichzeitig schnellere Entscheidungen treffen. Der Inhalt der Arbeit verändert sich. Bedingt durch die tatsächlichen Veränderungen in der Arbeitswelt, aber auch durch die sich wandelnden Bedürfnisse der Beschäftigten verändern sich die Arbeitsbedingungen (so z. B. im Hinblick auf Arbeitszeit und -ort), aber auch die Haltung, das Verständnis von und der Einstellung zur Arbeit. Mitarbeiter werden zu Mitdenkern, Hierarchien werden abgelöst durch Selbstverantwortung. Der Ursprung von New Work ist, Arbeit so zu organisieren, dass sie nichts Gezwungenes ist. Die Idee ist, den Sinn – sowohl als Unternehmen als auch als Mitarbeiter – nicht nur zu erkennen, sondern danach zu handeln. Die Idee ist, Arbeit zu tun, die man wirklich („, wirklich“, vgl. Interview mit Frithjof Bergmann in AuA 9/17, S. 530) will.
Profitieren Sie vom Expertenwissen renommierter Fachanwält:innen, die Sie über aktuelle Entscheidungen des Arbeitsrechts informieren. Es werden Konsequenzen für die Praxis benannt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Ob man das jetzt New Work nennt oder nicht: Diese Entwicklungen sind unbestreitbar. Sie nehmen Einfluss auf die Unternehmens- und Arbeitswelt sowie die Bedürfnisse und Erwartungen der Fach- und Führungskräfte von heute und morgen. Bei den Arbeitsverträgen ist dieser Wandel aber noch nicht angekommen. Die veränderten Arbeitsbedingungen haben in die Verträge keinen Eingang gefunden. Weder deren Inhalt noch Sprache entsprechen der modernen Arbeitswelt. Besonders gefährlich ist: Die Unternehmenskultur und die Perspektive des Bewerbers bleiben bei der Gestaltung der Verträge nach wie vor regelmäßig unberücksichtigt. Die Unternehmenskultur aber ist das, was für die Beschäftigten heute ein entscheidendes Auswahlkriterium bei der Wahl des Arbeitgebers ist, bei dem sie wirken wollen.
7 Der Inhalt
Verdeutlichen wir das an folgenden kurzen Beispielen. Was verknüpfen Sie mit den Formulierungen?
„Vor Beginn des Arbeitsverhältnisses ist eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen.“
Der ganz vorsichtige Verwender ergänzt die Formulierung um die „Vertragsstrafe bei Nichtantritt“. Die Regelungen sind getriggert von der Befürchtung, der Bewerber sagt zunächst zu und entscheidet sich dann aber doch für einen anderen Arbeitgeber, von dem er ein besseres Angebot erhält oder für den er lieber arbeiten möchte. Die mögliche Bewerberperspektive: Oh, da haben wohl schon ein paar nach der Zusage doch wieder abgesagt; das Unternehmen scheint ein massives Personalproblem zu haben; ein attraktiver Arbeitgeber ist das wohl nicht; sind die Drohgebärden Standard?
„Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, ohne vorherige Zustimmung des Arbeitgebers keine Nebentätigkeit aufzunehmen.“
Ohne Frage kann eine Regelung zu Nebentätigkeiten des Mitarbeiters für das Unternehmen von besonderer Bedeutung sein. Das gilt heute umso mehr, als das Brückenteilzeitgesetz den Beschäftigten unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, die Arbeitszeit nur für einen bestimmten Zeitraum zu reduzieren. Warum, ist dabei irrelevant. Die Bewerberperspektive: Das Unternehmen will mich ganz für sich; Entfaltungsmöglichkeit und Ausgleich werden nicht gefördert; der Arbeitgeber unterstützt meine ehrenamtliche Tätigkeit nicht; soziales Engagement und Entfaltung wurden als Werte der Unternehmenskultur beschrieben, die wohl nicht glaubwürdig ist.
„Arbeitsort ist der Betrieb in Berlin.“
Natürlich wird nicht in jedem Unternehmen im Arbeitsvertrag Homeoffice zugesagt; regelmäßig finden sich entsprechende Regelungen z. B. in Betriebsvereinbarungen. Wenn Sie aber Ihrem Wunschkandidaten im Vorstellungsgespräch versichert haben: Mobiles Arbeiten ist kein Problem! Und er erhält einen Arbeitsvertrag ausschließlich mit dieser Formulierung? Nun, dann löst das–zu Recht – Irritationen bei ihm aus und kann u.U. auch für einen Kandidaten ein No-Go sein.
8 Die Sprache
Kommen wir zum letzten Beispiel: Die Sprache. Sprache ist Ausdruck des Menschen- und Weltbilds. „Der Arbeitnehmer ist verpflichtet“, ist eine klassische arbeitsvertragliche Formulierung. Aber welches Bild wird damit vermittelt? Die Formulierung „ist verpflichtet“ erscheint im Zusammenhang mit New Work geradezu absurd: New Work steht für Arbeit, die man gerne macht, zu der muss man nicht verpflichtet werden.
„Arbeitnehmer“ nehmen Arbeit auch nicht nur entgegen. Die Sprache offenbart ein althergebrachtes Weltbild. Der modernen Arbeitswelt entspricht das nicht. Zwar steht es so auch noch im Gesetz, aber viele unserer Arbeitsgesetze passen nicht mehr in die moderne Welt (ganz aktuell diskutiert: das ArbZG). Ich gebe zu, der von mir gerne verwendete Begriff „Mitarbeiter“ passt auch nicht ganz. Aber das ist das Schöne an der neuen Arbeitswelt: Wir können experimentieren und Neues ausprobieren. Übrigens lassen sich in Arbeitsverträgen auch kreative Begriffe verwenden, wie Kollege, Mitstreiter, Mitdenker, Mitunternehmer, Macher. Dem Schutz des Arbeitsrechts unterfallen die „Macher“ trotzdem. Maßgeblich ist nämlich nicht, wie etwas bezeichnet, sondern wie die Vertragspraxis tatsächlich gelebt wird. Sprache offenbart das Denken.
9 Fazit und Empfehlung
Arbeitsverträge müssen ordentlich entrümpelt werden. Sie müssen nicht kompliziert, unverständlich und mit diversen Regeln aufgebauscht werden. Vielmehr ist ein genauer Blick auf Sprache und Inhalt zu werfen, denn der Vertrag ist Ausdruck und Beleg für die bestehende Unternehmenskultur. Und die ist nur dann echt und glaubwürdig, wenn sie sich auch in den Arbeitsverträgen widerspiegelt.
Nutzen Sie den Perspektivwechsel: Stellen Sie sich vor, Sie lesen den Vertrag zum ersten Mal und erfassen damit Realität und Unternehmenskultur. Stellen Sie sich vor, Sie sind der Bewerber.
PRAXISTIPP
1 Der erste Eindruck zählt! Auch für Bewerber muss das Gesamtpaket stimmen.
2 Formulieren Sie Ihre Arbeitsverträge so, dass sie aus sich heraus verständlich sind und keine Regelungen enthalten, die einer weiteren Erklärung bedürfen.
3 Das Nachweisgesetz regelt, welche Arbeitsbedingungen spätestens einen Monat nach Beginn des Beschäftigungsverhältnisses schriftlich niederzulegen sind. Sie sind vom Arbeitgeber zu unterzeichnen und dem Mitarbeiter auszuhändigen. Sie können, müssen aber nicht im Arbeitsvertrag vereinbart werden.
4 Pro Regelung sollten Sie individuell bewerten, ob diese – insbesondere aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus – empfehlenswert ist. Das ist eine individuelle Abwägungsentscheidung.
5 Der Perspektivwechsel ist in der modernen Arbeitswelt unabdingbar.
PRAXISTIPP
6 Nicht nur dann, wenn Sie ein professionelles Employer Branding betreiben, sollten Sie einen Blick in Ihre Arbeitsverträge werfen: Sind Sie attraktiver Arbeitgeber? Ist Ihr Unternehmen glaubwürdig?
7 Die moderne Arbeitswelt erfordert, dass wir nicht nur darüber reden, wie Unternehmen attraktive Arbeitgeber sein können und wie die Zukunft aussehen könnte, sondern dass wir das auch in die Tat umsetzen.
8 Diese Klausel sollten Sie streichen und an Ihrer Arbeitgeberattraktivität arbeiten.
9 Die Zeiten, in denen Bewerber den Inhalt von Arbeitsverträgen für unverhandelbar halten, sind vorbei. Stellen Sie sich darauf ein.
10 Ausdruck einer glaubwürdigen Kommunikation ist, wenn Sie dem Bewerber die Informationen und Rahmenbedingungen bereits mit der Übersendung des Arbeitsvertrags (und nicht erst im Onboarding) zukommen lassen, wenn sie nicht im Vertrag geregelt sind.
Checkliste
Damit Ihre Verträge nicht zum Killer der Unternehmenskultur werden und sie auch in der modernen Arbeitswelt mithalten können, sollten Sie daher folgende fünf Fragen beantworten:
1. Welche Regelungen sind im Arbeitsvertrag normiert? (Erfassung)
2. Was bedeuten die Regelungen? (Verständnis)
3. Entsprechen die Regelungen der gelebten Praxis und sind sie erforderlich? (Realitätscheck)
4. Entsprechen die Regelungen der Unternehmenskultur? (Systemcheck)
5. Steht der Arbeitsvertrag im Einklang mit der Arbeitswelt von morgen und lässt er Entwicklungsmöglichkeiten zu? (Zukunftsfrage)
Kathrin Hartmann
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