Ein Mitarbeiter äußert sehr unerwartet eine Forderung, nach der Projektpräsentation steht die Vorgesetzte vor einer Wand des Schweigens, eine Kollegin widersetzt sich einer notwendigen Zentralisierung oder ein Vorgesetzter findet keinerlei Akzeptanz bei seinen Mitarbeitenden. Widerstand hat sehr unterschiedliche Erscheinungsformen. Sie alle verbindet, dass „der Widerstand“ zuerst einmal in Bezug auf Zeitpunkt und Form überraschend auftaucht, selbst wenn man mit Widerstand rechnet. Der erste Reflex mag sein, dem Widerständler eine (ver-)störende Charaktereigenschaft zuzuweisen, Menschen eine generelle Angst vor Veränderungen zu attestieren oder sich damit zu begnügen, dass ein Drittel eh immer dagegen sei. Solche „Spontandiagnosen“ finden dann auch gerne breite Zustimmung: Erstens, weil sie üblich sind und damit einen Gültigkeitsanspruch zu haben scheinen und zweitens, weil damit Ursachen und Erklärungen rasch identifiziert zu sein scheinen. Aber genau dies macht diese Reaktionen verdächtig. Sie stiften einen Nutzen: Das Problem ist verstanden und zugeordnet. Doch damit leisten sie uns einen Bärendienst. Der Psychologe Daniel Kahnemann formuliert, dass solche voreiligen Schlüsse riskant seien, wenn die Situation ungewohnt sei, viel auf dem Spiel stehe und keine Zeit bleibe, weitere Informationen zu sammeln. Das Problem ist zwar „entsorgt“, aber nicht wirklich verstanden und vor allem: nicht gelöst. Widerstand lässt sich nicht einfach und nicht rasch verstehen. Manchmal ist es auch so, dass jene, die (angeblich) Widerstand leisten, gar nicht genau sagen können, weshalb sie es tun. Das „angeblich“ steht in Klammern, da es sein kann, dass man selbst den Widerstand ausgelöst hat oder gar selbst Widerstand leistet, diesen aber den anderen zuschreibt. Häufig ist es auch so, dass man nicht gegen alles ist, sondern bspw. eine Entscheidung akzeptiert, nur den Prozess dorthin nicht. Es braucht also einen genauen Blick.
Führungskräfte sind beim Umgang mit Widerstand gefordert. Sie geraten meist völlig unvermittelt in diese Situationen, welche dann mit starken, negativen Emotionen aufgeladen sind und eine unmittelbare Reaktion verlangen. Wie sollen Führungskräfte damit umgehen? Handlungsanleitungen haben den Charme, dass man danach weiß, wie man sich verhalten soll. Das Problem ist, dass die Empfehlung häufig nicht zur Situation passt. Es geht also eher darum, die eigene Haltung zu reflektieren. Aufgrund der starken Emotionalität des Widerstands bietet es sich zuerst an, diese entgegenkommende Emotionalität anzuerkennen. Emotionalität will gehört, wahr- oder ernstgenommen werden. Dies verweist darauf, dass es in solchen Situationen das direkte Gespräch braucht – auf Augenhöhe. Dies heißt wiederum nicht, dass Hierarchien grundsätzlich außer Kraft gesetzt sind, aber für den Moment geht es um den Austausch darüber, was im Einzelnen passiert ist, wie das eine zum anderen kam und wie man das Geschehen empfindet. Im Dialog gehtes darum, einzelne Verhaltensweisen, Wahrnehmungen und Empfindungen in ein größeres Gefüge zusammenzubringen, besser zu verstehen.
Arbeitgeber sind oft verunsichert, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. Das Buch gibt ein umfassenden Einblick ins Thema.
Doch kommen wir auf die Frage zurück, wie Widerstand eigentlich entsteht: Auffällig häufig dann, wenn Menschen das Gefühl haben, keinen Einfluss zu haben, sich ohnmächtig fühlen. Daraus lässt sich folgern, dass eine wesentliche Führungsaufgabe darin besteht, glaubwürdig Gelegenheiten zu schaffen, sich einzubringen, mitzuwirken. Es ist allerdings nicht mit der Aufforderung getan, sich zu äußern. Es muss klar sein, welchen Stellenwert eine Äußerung hat, was damit passiert und dass eine aufrichtige Auseinandersetzung damit stattfindet. Beteiligen hat dann eben den Anspruch, dass die Beteiligten sich als Teil des Ergebnisses verstehen, selbst dann, wenn sich ihre Vorstellungen nicht realisieren.
Widerstand ist anspruchsvoll, aber auch ein gutes persönliches Lernfeld. Ein produktiver Umgang damit trägt zu einer konstruktiven Organisationkultur bei.
Prof. Dr. Erik Nagel
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