Regress wegen nachzuentrichtender Lohnsteuer

§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB

Der Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer nach § 42d Abs.1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EstG und § 44 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB wird im Sinne einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist fällig mit tatsächlicher Zahlung des Steuerbetrags.

BAG, Urteil vom 14.11.2018 – 5 AZR 301/17

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger verlangte von dem bei ihm in der Vergangenheit beschäftigten Arbeitnehmer die Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer. Auf das Arbeitsverhältnis fanden der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe und die dort geregelten tariflichen Ausschlussfristen Anwendung. Mit Haftungsbescheid aus März 2015 hatte das Finanzamt nach einer Steuerprüfung den Kläger auf nachträgliche Zahlung nicht einbehaltener und abgeführter Lohnsteuer u. a. für den Zeitraum Januar 2011 bis Oktober 2014 in Anspruch genommen. Der Kläger zahlte die in den Haftungsbescheiden festgesetzten Beträge an das Finanzamt und verlangte im Juni 2015 von dem Beklagten die Erstattung der nachentrichteten Lohnsteuer. Der Beklagte berief sich darauf, etwaige Ansprüche seien aufgrund der tariflichen Ausschlussfristen verfallen und im Übrigen verjährt.

Entscheidung

Der Regressanspruch des Arbeitgebers war weder verfallen noch verjährt. Führt der Arbeitgeber aufgrund entsprechender Haftungsbescheide des Finanzamts für den Arbeitnehmer nachträglich Lohnsteuer ab, hat er aus § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Regressanspruch gegen ihn auf Erstattung der Lohnsteuernachzahlungen. Zwar ist der Arbeitgeber zum Einbehalt und Abzug der Lohnsteuer verpflichtet (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Schuldner der Lohnsteuer bleibt aber der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 Satz1 EStG).

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haften für die Abführung der Lohnsteuer nach § 42d Abs. 3 EStG als Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO). Im Innenverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien ist allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung.

Der Regressanspruch des Arbeitgebers war vorliegend nicht aufgrund der tariflichen Ausschlussklauseln verfallen. Zwar war der Rückgriffsanspruch von der tariflichen Ausschlussklausel erfasst, die neben Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis auch solche Ansprüche erfasste, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen. Doch der Regressanspruch war nicht bereits mit dem Entstehen der Steuerschuld, sondern erst mit der tatsächlichen Erfüllung der Steuerforderung im Sinne der Ausschlussfrist fällig. Insofern weicht das BAG bewusst von der Rechtsprechung des BGH zu der Frage der Verjährung des Ausgleichsanspruchs in einer zivilrechtlichen Gesamtschuld nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ab.

Nach der Rechtsprechung des BGH beginnt die Verjährungsfrist auch für den gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch bereits mit dem Entstehen der Gesamtschuld zu laufen. Andernfalls hätte der Ausgleichsberechtigte es in der Hand, den Eintritt der Verjährung abhängig von seiner Zahlung an den Gläubiger zu bestimmen. Nach dem BAG gilt dieser Grundsatz nicht bei der lohnsteuerrechtlich begründeten Gesamtschuld. Aufgrund der lohnsteuerrechtlichen Besonderheiten hängt nämlich der Zeitpunkt der Lohnsteuerabführung typischerweise nicht vom Arbeitgeber, sondern von der Inanspruchnahme von Seiten der Finanzbehörden ab. Erst aufgrund des Haftungsbescheids des Finanzamts kann der Arbeitgeber auch den Rückgriffsanspruch beziffern, was Voraussetzung für eine Fälligkeit des Anspruchs im Sinne der Ausschlussfrist ist. In gleicher Weise beginnt die Verjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs.1 BGB erst mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Arbeitgeber die Steuerforderung beglichen hat.

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Konsequenzen

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit wird die Einkommenssteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG). Steuerschuldner ist grundsätzlich der Arbeitnehmer (§38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Mit der Abführung der Lohnsteuer erfüllt der Arbeitgeber daher insoweit den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers. Führt er für den Mitarbeiter nachträglich Lohnsteuer ab, hat er gegen diesen einen Lohnsteuerregressanspruch (§§ 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs.3 Satz 1 EStG, 44 Abs. 1 Satz 1 AO, 426 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber die Steuerforderung freiwillig (und nicht erst aufgrund eines Haftungsbescheids des Finanzamts) erfüllt (BAG, Urt. v. 16.6.2004– 5 AZR 521/03) und selbst bei objektiv nicht geschuldeter Lohnsteuer, solange für den Arbeitgeber im Zeitpunkt der Zahlung nicht eindeutig erkennbar ist, dass eine Steuerpflicht des Arbeitnehmers nicht bestand (BAG, Urt. v. 17.10.2018– 5 AZR 538/17). Die Arbeitsgerichte prüfen im Regressfall grundsätzlich weder Berechtigung noch Höhe einer vom Arbeitgeber nachvollziehbar dargelegten Abführung der Lohnsteuer.

Zutreffend geht das BAG davon aus, dass der Lohnsteuerregress erst mit der Erfüllung der Steuerforderung durch den Arbeitgeber fällig wird. Zwar nimmt der BGH zur Verjährung des Ausgleichsanspruchs im Rahmen einer zivilrechtlichen Gesamtschuld nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB in ständiger Rechtsprechung an, dass die Verjährungsfrist auch des Freistellungs- und Erstattungsanspruchs im Innenverhältnis der Gesamtschuldner bereits mit dem Entstehen der Gesamtschuld zu laufen beginnt (BGH, Urt. v. 18.6.2009 – VII ZR 167/08). Diese zivilrechtliche Rechtsprechung ist aber zu Sachverhalten ohne lohnsteuerrechtlichen Bezug ergangen. In der Tat würde eine Anwendung dieser Grundsätze auf den lohnsteuerrechtlichen Regressanspruch wohl dazu führen, dass letztlich der Arbeitgeber die Lohnsteuerlast tragen müsste. Denn im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Arbeitgebers durch das Finanzamt wäre der Regressanspruch typischerweise bereits verfallen oder verjährt. Das Gleiche gilt für den Fall, dass der Arbeitgeber im Rahmen einer Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt (§ 42e EStG) eine Auskunftserteilung über die bestehende Lohnsteuerpflicht beantragt; auch hier ließe sich der Rückgriffsanspruch im Zeitpunkt der Auskunftserteilung nicht mehr realisieren. Zudem hat der Arbeitgeber von dem Erstattungsanspruch regelmäßig erst mit dem Haftungsbescheid des Finanzamts Kenntnis.

Praxistipp

Umfassende Ausschlussklauseln sollten neben unmittelbaren Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis ausdrücklich auch Ansprüche erfassen, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen. Fälligkeit i. S. d. Ausschlussklauseln ist erst dann gegeben, wenn der Gläubiger die Ansprüche annähernd beziffern kann.

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