Altersgrenze 65 ist zulässig

1. Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung sind nur zulässig, wenn sie durch sozialpolitische Ziele gerechtfertigt sind.

2. Zudem können Ungleichbehandlungen nach dem Alter gestattet sein, sofern sie objektiv und angemessen, durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt sowie die Mittel angemessen und erforderlich sind.

(Leitsätze des Bearbeiters)

EuGH, Urteil vom 5. März 2009 – Rs. C-388/07

1106
Bild: Kzenon/stock.adobe.com
Bild: Kzenon/stock.adobe.com

Problempunkt

Art. 6 Abs. 1 der EG-Richtlinie 2000/78 verbietet Diskriminierungen aus Gründen des Alters in Beschäftigung und Beruf. Großbritannien hat im Jahr 2006 die Antidiskriminierungsrichtlinie durch die Verordnung über die Gleichbehandlung bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer (employment equalitiy (age) regulations 2006) umgesetzt. Nach dieser können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, zur Versetzung in den Ruhestand entlassen. Eine gemeinnützige Einrichtung aus Großbritannien sah in dieser Vorschrift eine unzulässige Altersdiskriminierung. Die Regelung verstoße gegen die Diskriminierungsrichtlinie und sei überdies nicht verhältnismäßig. Der britische High Court wandte sich daraufhin an den EuGH mit der Frage, ob diese gesetzliche Altersgrenze mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

Entscheidung

Der EuGH stellte zwar fest, dass die britische Regelung eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters darstellt. Er hielt sie aber für grundsätzlich zulässig. Dabei wies er darauf hin, dass Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, nach dem Alter differenzierende Vorschriften zu treffen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Maßnahme durch sozialpolitische Ziele, z. B. aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt ist. Diese Ziele sind vom allgemeinen Interesse und nicht rein individuelle Beweggründe eines Arbeitgebers, wie eine Kostenreduzierung oder die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Es ist aber Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung einem solchen rechtmäßigen Ziel entspricht. Zudem haben allein die Gerichte der Mitgliedstaaten zu beurteilen, ob der nationale Gesetz- oder Verordnungsgeber davon ausgehen durfte, dass die gewählten Mittel angemessen und erforderlich waren, um das Ziel zu erreichen. Dieser hat im Bereich der Sozialpolitik einen gewissen Wertungsspielraum. Die konkreten Ziele müssen auch nicht zwingend im Gesetz bezeichnet sein.

Die Anforderungen an Sie als Personaler und Personalerin werden zunehmend anspruchsvoller. Damit Sie Ihr Know-How in der täglichen Arbeit erfolgreich einsetzen können, vermittelt Ihnen unser Online-Kurs innerhalb von 3 Monaten eine umfassende Ausbildung.

Konsequenzen

Die Entscheidung scheint auf den ersten Blick nicht übertragbar. Im deutschen Arbeitsrecht fehlt es an einer Gesetzesnorm, die die Versetzung eines Arbeitsnehmers in den Ruhestand zulässt. Ein solches einseitiges Gestaltungsrecht hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Dementsprechend hat auch das BAG mit Urteil vom 5.2.2009 (6 AZR 151/08) entschieden, dass eine vertragliche Regelung, die eine Bank berechtigt, ihren Direktor ohne Kündigungsgrund in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, die kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen umgeht und gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig ist. Insbesondere haben die Erfurter Richter zutreffend darauf hingewiesen, dass eine solche Regelung mit § 626 Abs. 1 BGB nicht vereinbar ist. Sie käme einer außerordentlichen Kündigung gleich, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegen müsste.

Trotzdem schadet ein „zweiter Blick“ auf das Urteil des EuGH nicht. Es bestätigt nämlich dann doch die bisherige Rechtssprechung des BAG. Auch das oberste deutsche Arbeitsgericht betonet bislang stets, dass es zulässig sein kann, aus beschäftigungs- oder sozialpolitischen Gründen nach dem Alter zu differenzieren. So erachtete das BAG insbesondere Altersgrenzen, bei deren Erreichen das Arbeitsverhältnis automatisch endet, für wirksam, sofern der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen kann, (vgl. z. B. Urt. v. 27.7.2005 – 2 AZR 443/04, AuA 3/06, S. 171 f.). Diese in Arbeitsverträgen übliche Regelung wird daher auch in Zukunft zulässig sein.

Darüber hinaus können auch Sozialpläne Altersdifferenzierungen enthalten. Sie dürfen eine nach Lebensalter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen und rentenberechtigte Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausschließen. Dafür spricht, dass die rentennahen Jahrgänge durch den Verlust des Arbeitsplatzes regelmäßig geringere Nachteile als jüngere Arbeitnehmer erleiden (so BAG, Urt. v. 26.5.2009 – 1 AZR 198/08). Differenzierungen nach dem Alter sind demnach nicht per se diskriminierend und unzulässig. Dies stellte der EuGH erneut klar.

Praxistipp

Unternehmen können auch zukünftig vertragliche Regelungen, die sie berechtigen, sich ohne Gründe einseitig vom Arbeitnehmer zu trennen, nicht wirksam vereinbaren. Dadurch umgehen sie das Kündigungsschutzrecht. Es kann sich für den Arbeitgeber aber weiterhin empfehlen, im Arbeitsvertrag oder bei kollektiven Vereinbarungen danach zu differenzieren, ob der Beschäftigte Anspruch auf eine Altersrente hat. Eine solche Ungleichbehandlung diskriminiert die Mitarbeiter nicht wegen ihres Alters.

FA für Arbeitsrecht Alexander Raif, Weitnauer Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater, Büro Berlin

Redaktion (allg.)

· Artikel im Heft ·

Altersgrenze 65 ist zulässig
Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

das Thema New Work ist vielschichtig und spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie omnipräsent (einige würden sagen, zu präsent). Dabei

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Ausgangslage

Alle EU-Mitgliedstaaten bis auf Polen haben inzwischen die Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Sinn und Zweck von Auflösungsanträgen

Eine sozialwidrige Kündigung, die sich also weder auf einen hinreichend dargelegten verhaltens- noch auf

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Zusammenspiel von Interessenausgleich und Sozialplan

Im Falle des Tatbestands einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG hat der Arbeitgeber den

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG. Die 1968 geborene Klägerin bewarb sich ohne

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Ausgangslage der Entscheidung

Die Flexibilisierung der zu leistenden Arbeitszeit liegt per se im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers. Der