„Das LkSG betrifft auch Belegschaften und Mitbestimmungsakteure im Inland“
Seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“. Glücklicherweise hat sich zwischenzeitlich eingebürgert, es das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder, noch besser, das Lieferkettengesetz zu nennen. Die Abkürzung jedenfalls ist LkSG, die wir auch hier zugrunde legen. Ist die Geltung des LkSG ein Anlass zur Freude?
Klengel: Es ist zu begrüßen, dass es das Gesetz gibt, weil die Problemdefinition stimmt: In einigen Teilen der Lieferketten existieren noch immer untragbare Arbeitsbedingungen, die gegen grundlegende internationale Standards verstoßen. Fälle wie bei Textilarbeiterinnen in Südostasien oder Bergarbeitern in Madagaskar sind seit Jahrzehnten bekannt. Unternehmen, die die betreffenden Vorprodukte einkaufen oder Teile ihrer Produktionskette sogar aktiv auslagern, haben mit dem Lieferkettengesetz gewisse Sorgfaltspflichten zu wahren, damit grundlegende Arbeits- und Umweltstandards eingehalten werden. Das Gesetz wird die globalen Probleme sicher nicht lösen, und inwieweit es die Situation verbessert und sich nicht auf das Ausfüllen von Checklisten und die Erstellung von Berichten beschränkt, wird sich zeigen. Jedenfalls aber stellt es einen überfälligen Paradigmenwechsel dar.
Lelley: Aus meiner Sicht war die Reaktion auf das Gesetz, sagen wir mal, durchwachsen. Immer nur Freude war da meiner Wahrnehmung nach nicht zu vermelden. Im Gegenteil, auch nach der Verabschiedung wurde ja sogar von einer Regierungspartei gefordert, die Geltung des Gesetzes bis mindestens 2024 zu verschieben. Das tut ja keiner, der sich auf die Geltung eines neuen Gesetzes freut.
Das LkSG ist, das kann wohl so sagen, aus Sicht vieler eine „mixed bag“. Vor allem denke ich, mit dem Postulat vom „Ende des organisierten Wegguckens“ ist es so nicht getan. Ein „organisiertes Weggucken“ hat es meiner Meinung nach in der Wirtschaft nicht gegeben. Und umgekehrt bleibt doch die Frage, wieviel staatliche Verantwortung man durch Normierungen wie das LkSG auf Unternehmen durchreichen will und soll.
Das Gesetz wurde in der Fachpresse weit überwiegend als eher wirtschaftsrechtliche, nicht so sehr arbeitsrechtliche, Normierung eingeordnet – gleichwohl beschäftigen sich auch einige HR-Magazine ausführlich damit. Wie wichtig ist denn das LkSG – aus arbeitsrechtlicher Sicht betrachtet?
Lelley: Wenn man einmal die Zahl und die Art der Fachpublikationen nebeneinander legt, dann könnte der Eindruck entstehen, das Gesetz würde in der Arbeitsrecht-Community nicht so wichtig genommen. Das wäre aber sicher ein Fehlschluss. Denn wenn man einmal nur in die Anlage zu § 2 Abs. 1 (der regelt die Begriffsbestimmungen des Gesetzes) und §7 Abs. 3 Satz 2 (der regelt die vom Gesetz vorgesehenen Abhilfemaßnahmen bei Verstößen) des LkSG schaut, dann sieht man sofort, dass dort nicht weniger als neun Übereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation in Bezug genommen werden. Das Gesetz bezieht sich also ganz klar auf Kernnormen des internationalen Arbeitsrechts. Weitere arbeitsrechtliche Bezüge sind zwar oft nicht so direkt deutlich, sie sind aber vorhanden. Zum Beispiel der Verweis auf die Beschäftigteninteressen bei der Errichtung und Umsetzung des Risikomanagementsystems des Unternehmens.
Klengel: Der Göttinger Arbeitsrechtsprofessor Rüdiger Krause hat das LkSG als einen Baustein eines transnationalen Arbeitsrechts bezeichnet. Ich finde, das trifft es gut. Der Fokus des Arbeitsrechts ist nach wie vor national geprägt, während die Produktion internationalisiert wurde.
Arbeitsrechtlichgelten in vielen Ländern internationale Standards, etwa der ILO. Das LkSG hilft bei der Durchsetzung dieser Standards. Indem es dazu beiträgt, Arbeitsbedingungen im Ausland zu verbessern, nimmt es auch den Druck, der infolge der Globalisierung auf dem deutschen Arbeitsrecht lastet. Außerdem betrifft das Gesetz mit seinen Meldepflichten natürlich auch die Belegschaften und Mitbestimmungsakteure im Inland.
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Ein Blick ins LkSG zeigt zwar viele Bezüge zur Arbeitswelt, Arbeitsbedingungen usw. Doch der Bezug zum deutschen Mitbestimmungsrecht, im Unternehmen, im Betrieb, ist doch nur über den Katalog der Zuständigkeit des Wirtschaftsausschusses hergestellt (§ 106 Abs. 3 Nr. 5b BetrVG). Reicht das?
Lelley: Ja. Das reicht völlig. Das „Grundgesetz“ der betrieblichen Mitbestimmung, unser BetrVG, hat in seinem dritten und sechsten Abschnitt schon sehr umfangreiche und tiefgreifende Mitbestimmungstatbestände für die sozialen und die wirtschaftlichen Angelegenheiten vorgesehen. Die Frage wäre ja auch, was mehr an Mitbestimmung im BetrVG, das sich ja vorrangig auf die betriebliche Ebene bezieht, mit dem LkSG sinnvoll zu synchronisieren wäre. Denn das LkSG wendet sich mit seinem Anwendungsbereich an die Unternehmensebene.
Klengel: Daran, dass die Mitbestimmung im Gesetz hinreichend beachtet wurde, kann man schon Zweifel haben, zumal die Klarstellung der Rechte des Wirtschaftsausschusses erst im Gesetzgebungsverfahren aufgenommen worden ist. Zwar greifen bei der Umsetzung des Gesetzes die allgemeinen Bestimmungen des BetrVG, wie ein aktuelles Gutachten von Prof. Reingard Zimmer im Auftrag des Hugo Sinzheimer Instituts gezeigt hat.
Dennoch: Das LkSG mag für einige nahelegen, dass man mit ein wenig bürokratischem Aufwand unter Nutzung von Zertifikaten der Lieferkettenverantwortung nachkommen kann. Doch hat sich bei Unfällen und zutage getretenen Missständen in der Vergangenheit gezeigt, dass auch Menschenrechtszertifizierungen bisweilen nur wenig Wert sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gesetz nur funktionieren wird, wenn in die Beurteilung der „menschenrechtlichen Risiken“ diejenigen einbezogen werden, deren Interessen das Gesetz schützen soll. Mitbestimmungsgremien in Deutschland sollten die Möglichkeit haben, bei der Ausgestaltung des Risikomanagements genau an dieser Stelle stärker Einfluss zu nehmen. Man sollte daher darüber nachdenken, die Zuständigkeit des Betriebsrats über betriebsangehörige Arbeitnehmer hinaus zu erweitern.
Die Fortsetzung des Gesprächs lesen Sie in der kommenden Ausgabe AuA 3/23.
Dr. Jan Tibor Lelley
Dr. Ernesto Klengel
· Artikel im Heft ·
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