Flexible Personaleinsatzplanung aufgrund guter Personalbemessung

Der begrenzende Wachstumsfaktor in Deutschland ist die mangelnde Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern geworden. Der knappe und teure Produktionsfaktor Mensch ist deshalb gezielt und sparsam einzusetzen. Das fordert eine bedarfsgerechte Personaleinsatzplanung, basierend auf einer angemessenen Personalbemessung. Und das im Büro und im Homeoffice sowie in Dienstleistungsberufen und in der Produktion. Hierzu haben wir mit Dipl.-Ing. Dipl.-Kfm. Eckhard Eyer, Geschäftsführender Gesellschafter der Perspektive Eyer Consulting, gesprochen.

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 Bild: pixabay.com
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Das Thema Personalbemessung rückt immer stärker in den Fokus des Managements, besonders bei der Zunahme der Arbeit im Homeoffice und dem Führen auf Distanz. Was gibt es da Neues in Sachen Personalbemessung?

Da gibt es gar nicht so viel grundsätzlich Neues, denn das Thema Personalbemessung ist schon sehr lange aktuell. Bereits in der Wissenschaftlichen Betriebsführung von F.W.Taylor zu Beginn des letzten Jahrhunderts taucht es auf. 1924 wurde in Deutschland der „Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung“ mit dem Akronym REFA gegründet. Die Zeit, die Mitarbeiter zum Verrichten einer Arbeit benötigen, wurde mit der Stoppuhr erfasst und diente zur Personalbemessung, Kapazitätsplanung und in der Produktion auch zur Akkordentlohnung. Die umfangreiche Personalbemessung bei Arbeitern, d. h. bei gewerblicher Arbeit, ist seit mehr als einem Jahrhundert Standard, dort wurden Arbeitsschritte z.T. in 1/100 Minuten (1 Stunde = 100 Industrieminuten, Anm. d. R.) gemessen. Man bemühte sich, sehr genau zu sein, um Leerlauf und Verschwendung zu vermeiden. Dazu kam das Motto der Unternehmer: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.

Wurde damals nur bei Arbeitern eine Personalbemessung vorgenommen?

Die Produktion stand all die Jahrzehnte im Interesse des Managements, weil am Industriestandort Deutschland dort die meisten Menschen arbeiteten. Bei den Angestellten hat man die methodische Personalbemessung lange vernachlässigt.

Und das funktionierte gut?

Bei Angestellten ging man von einem anderen Menschenbild aus, von motivierten und engagierten Mitarbeitern, die nahe beim Chef arbeiteten. Dieser motiviert sie durch sein Vorbild und die Mitarbeiter stehen – bei den Betriebsgrößen in der Vergangenheit – sozusagen gleichzeitig unter seiner Aufsicht. Aufgrund eines solchen Menschenbildes erübrigte sich nach damaliger Auffassung bei den Angestellten eine sorgfältige und methodische Personalbemessung weitgehend. Es war auch die Meinung verbreitet, dass Leistungsdruck bei Angestellten nur zu Fehlern führt, die Qualität reduziert und vor allem die Kreativität einschränkt.

Verstehe ich das richtig, dass ausschließlich bei Arbeitern eine Personalbemessung vorgenommen wurde?

Die Antwort ist ein eindeutiges „JEIN“. Bei den Angestellten hat man die Personalbemessung lange vernachlässigt und ihnen – wie beschrieben – ein hohes Engagement und eine hohe intrinsische Motivation unterstellt. Mit dem Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft in Deutschland gewann die Personalbemessung – auch bei Angestellten – zunehmend an Bedeutung, denken sie z. B. an Altenheime, Callcenter, Krankenhäuser, Reinigungsunternehmen sowie Banken und Sparkassen. Diese Branchen übernehmen zunehmend die Methoden der Personalbemessung, die in der Industrie – und dort vor allem in der Produktion – schon lange angewandt werden.

Wie geht man bei der Personalbemessung vor?

Es wird gerne mit Planzeitkatalogen gearbeitet, d. h. für gewisse Arbeitsschritte oder Arbeiten werden die Zeiten ermittelt, die notwendig sind. Das geschieht zunehmend weniger mit der traditionellen Stoppuhr, sondern mit der statistischen Auswertung vorhandener Ist-Daten. Mit intelligenten Algorithmen werden diese nach dem „Gesetz der großen Zahl“ ausgewertet und dann zur Grundlage für die Personalbemessung, Kapazitätsplanung und verbindliche Terminzusagen für Kunden gemacht. Die Personalbemessung ist auch für Mitarbeiter im Homeoffice, die nun vermehrt auf Distanz geführt werden, wichtig!

Fühlen sich die Mitarbeiter nicht gegängelt, überwacht und unter Druck gesetzt, wenn sie Vorgaben für gewisse Arbeiten gemacht bekommen?

Wenn es methodisch sauber gemacht wird, in der Regel nicht. Sicher ist das für manche Mitarbeiter gewöhnungsbedürftig, aber es hat auch seine guten Seiten für die Beschäftigten. Die Zeiten für gewisse Arbeiten geben dem Mitarbeiter ja auch die Sicherheit, dass er nicht zu viel Arbeit für seine Arbeitszeit von z. B. acht Stunden am Tag zugeteilt bekommt und erwartet wird, dass das Zuviel an Arbeit klaglos – in zehn Stunden ohne Überstunden zu dokumentieren – abgearbeitet wird.

Gibt es Grenzen für die Personalbemessung?

Grenzen gibt es grundsätzlich nicht, aber es stellt sich die Frage, wie man eine Balance zwischen Aufwand und Ertrag schafft. Denken Sie etwa an einen Sanitärhandwerker, der Reparaturen bei nassen Wänden im Haus vornimmt, dort ist es schwer, mit Vorgabezeiten und einer sauberen Personalbemessung zu arbeiten. In der Autowerkstatt bei einer Reparatur, z. B. dem Austausch verschlissener Bremsbeläge, kann man aber ohne Weiteres mit Vorgabezeiten und einer entsprechend sauberen Personalbemessung arbeiten, um einmal zwei plakative Beispiele zu nennen.

Können Sie mir dafür auch ein Beispiel für die Personalbemessung bei anspruchsvollen Dienstleistungen nennen?

Natürlich, denken Sie z. B. an den Operationssaal in einem Krankenhaus, in dem Hüft- und Kniegelenke ausgetauscht werden. Dort gibt es Planzeitkataloge, nach denen die Kapazität berechnet wird und Patienten für die geplanten Operationen einbestellt werden. Natürlich kommen auch ungeplante Operationen,z. B. nach Unfällen, hinzu. Es gibt in den Operationssälen aber Erfahrungswerte, wie das Verhältnis der planbaren zu den nicht planbaren Operationen ist. Diese Erfahrungswerte fließen auch in die Personalbemessung und Kapazitätsplanung ein. Das heißt, ein Teil der Kapazitäten wird nicht fest verplant, weil bekannt ist, dass Unfälle kommen.

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Kennen Sie weitere konkrete Beispiele aus der Praxis?

Das Dienstleistungsunternehmen „carexpert“ ist eine Sachverständigenorganisation, die Schadensgutachten bei Kfz-Unfällen gerichtsfest erstellt. Den Kunden ist zugesagt, dass sie innerhalb von 24 Stunden nach der Schadensmeldung ein Gutachten erhalten. Um einen Planzeitkatalog zu erstellen, wurden die möglichen Gutachten „vom Kratzer bis zum Totalschaden“ klassifiziert und die Zeit für die durchschnittliche Fahrt von Werkstatt zu Werkstatt regional differenziert ermittelt. Berücksichtigt werden pauschal auch Zeiten für Qualifizierung und Meetings. Aufgrund des so entstandenen differenzierten Planzeitkatalogs planen die Mitarbeiter in der Zentrale bei Wiesbaden – bei denen Schadensmeldungen der Werkstätten und Versicherungen eingehen – die Aufträge für die Schadensgutachter am nächsten Tag und vereinbaren die Termine verbindlich mit den Kunden.

Und das funktioniert auch beim Urlaubsverkehr?

Ja, aufgrund einer intelligenten Jahresarbeitszeit können die Mitarbeiter mit ihrer Arbeitszeit flexibel auf den Arbeitsanfall reagieren. Hinzu kommt, dass vereinbart ist, dass die Mitarbeiter bei Bedarf auch an zwei Wochen im Jahr „versetzt“ werden dürfen. Sie arbeiten dann nicht von ihrem heimischen Homeoffice aus, sondern in den Regionen, in denen z. B. lokal Blitzeis oder Hagelschäden aufgetreten sind.

Wohin kann man sich wenden, wenn man eine professionelle und methodisch saubere Personalbemessung im Unternehmen vornehmen will?

Das methodische Rüstzeug inklusive entsprechender Tools stellen z. B. REFA und MTM zur Verfügung. Eine Vielzahl von Beratern nutzt deren Methoden und Tools, um Unternehmen – zunehmend auch im Dienstleistungsbereich – bei der Personalbemessung zu unterstützen und mit der Ressource Mitarbeiter sparsam umzugehen. Wichtig ist zu beachten, dass die jeweils angewandten Methoden auch von Mitarbeitervertretern, Betriebsräten und Gewerkschaften akzeptiert werden. Aus diesem Grund arbeiten z. B. bei der Methodenentwicklung und den darauf aufbauenden Tools von REFA die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen. Durch die Personalbemessung wird auch die Basis für eine faire Leistungsvergütung gelegt.

Eckhard Eyer

Eckhard Eyer
Dipl.-Ing., Dipl.-Kfm., Geschäftsführender Gesellschafter, Perspektive Eyer Consulting
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· Artikel im Heft ·

Flexible Personaleinsatzplanung aufgrund guter Personalbemessung
Seite 62 bis 63
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