„IT-Tools vermitteln den Eindruck einer besonderen Objektivität“

Wortwechsel
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 Bild: Nuthawut/stock.adobe.com
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Ergänzend zum Wortwechsel in AuA 9/23, in welchem es um den Datenschutz beim Einsatz von Überwachungstechnologien am Arbeitsplatz ging, möchten wir diesmal noch einen anderen Aspekt beleuchten: Müssen Arbeitnehmer stärker vor Diskriminierung oder Benachteiligung geschützt werden? Und zwar Diskriminierung, die möglicherweise durch von Technologien gesammelte Daten entstehen könnte? Immerhin haben wir das AGG – und das ist doch recht erfolgreich?

Lelley:Die bestehenden Gesetze wie das AGG bieten bereits Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. Es ist jedoch wichtig, den Balanceakt zwischen verstärktem Schutz und Innovationsförderung zu berücksichtigen. Neue Regulierungen könnten potenziell technische Fortschritte behindern, da sie zusätzliche bürokratische Hürden schaffen. Ich halte es für ratsam, zunächst bestehende Gesetze anzuwenden und zu überwachen, wie Technologien tatsächlich genutzt werden. Dabei können branchenspezifische Verhaltensrichtlinien und Ethikkommissionen unterstützen. Da gibt es ja z.B. den Ethikbeirat HR-Tech, der schon vor einiger Zeit Handlungsempfehlungen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Personalmanagement erarbeitete. Bei Bedarf könnten spezifische Anpassungen am bestehenden rechtlichen Rahmen vorgenommen werden, um den Schutz vor Diskriminierung durch Technologien zu gewährleisten, ohne dabei die Innovationsdynamik zu ersticken. Eine ausgewogene Herangehensweise ist der Schlüssel, um Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig technische Fortschritte zu fördern.

Klengel:Es ist wichtig, sensibel für das Thema zu sein. IT-Tools vermitteln den Eindruck einer besonderen Objektivität, können aber bestehende Diskriminierung auch verschleiern. Denken Sie an die Personalauswahl-Software, die Bewerber mit „klassischen“ Lebensläufen bevorzugt, oder die beeindruckende Gesichtserkennung, die für Menschen mit dunkler Hautfarbe versagt. Das AGG ist – richtig angewandt – hilfreich, die individuelle Rechtsdurchsetzung stößt bei komplexen IT-Systemen aber an ihre Grenzen. Es müssen daher Mittel und Wege gefunden werden, Diskriminierungsrisiken bereits bei der Konzeption der Software zu berücksichtigen und vor dem konkreten Einsatz im Betrieb einzuschätzen. Ein weiteres Beispiel: Digitale Eignungstests müssen wissenschaftlich valide sein. Anderenfalls sind ihre Ergebnisse vor Gericht wertlos, wie etwa das LAG Hessen in einem Kündigungsschutzprozess (Urt. v. 25.2.2021 – 17Sa1435/1) entschieden hat.

#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).

Dr. Jan Tibor Lelley

Dr. Jan Tibor Lelley
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, BUSE, Frankfurt am Main

Dr. Ernesto Klengel

Dr. Ernesto Klengel
Wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht, HSI der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
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„IT-Tools vermitteln den Eindruck einer besonderen Objektivität“
Seite 38
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