Personalfragebogen zur Aufklärung von Straftaten

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 Bild: jozefmicic/stock.adobe.de
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Nach § 94 Abs. 1 BetrVG bedürfen Personalfragebögen der Zustimmung des Betriebsrats. Das Gesetz gibt keine Definition des Begriffs des Personalfragebogens vor. Vor dem LAG Niedersachsen stritten Betriebsrat und Arbeitgeber darüber, ob bei einer Mitarbeiterbefragung im Betrieb ein Fragenkatalog zur Aufklärung von Straftaten verwendet werden darf, ohne dass der Betriebsrat dem zuvor zugestimmt hat.

Der Arbeitgeber fertigt Gipsfaserprodukte und beschäftigt in der Produktion ca. 190 Mitarbeiter. Am 5.4.2023 teilte der Betriebsratsvorsitzende dem Produktionsleiter mit, dass dem Betriebsrat anonym vier Videos zugespielt worden, auf denen zu sehen ist, wie zwei Mitarbeiter Gegenstände vom Betriebsgelände in einen privaten Kfz-Anhänger laden. Es entstand der Verdacht eines Diebstahls zulasten des Arbeitgebers gegen den Mitarbeiter K, der auf dem Video zu sehen war. Das Unternehmen leitete betriebsinterne Ermittlungen ein. In der Folge führten am 17.4. und 18.4.2023 zehn Mitarbeiter aus der Firmenzentrale und der das Unternehmen beratende Rechtsanwalt Befragungen mit allen in der Produktion beschäftigten Mitarbeitern durch. Dabei nutzten sie einen Fragenkatalog mit etwa 150 vorformulierten Fragen, darunter, ob der befragte Mitarbeiter nach Einholung einer Erlaubnis Waren mitgenommen habe, ob er von Bekanntmachungen der Betriebsleitung wisse, ob er Gespräche mit Kollegen über etwaige Verdachtsmomente geführt habe, ob er Gefälligkeiten für Kollegen erledigt habe und ob er Aufgaben erledigt habe, die von den üblichen Aufgaben abweichen. Der Fragenkatalog war dem Betriebsrat zuvor nicht zur Verfügung gestellt worden. Dieser war der Auffassung, der verwendete Fragebogen sei nach § 94 Abs. 1 BetrVG als Personalfragebogen mitbestimmungspflichtig. Er beantragte daher die Unterlassung der Verwendung derartiger Fragebögen und die Vernichtung der aufgrund des Fragenkatalogs erhobenen Aussagen der Mitarbeiter.

Damit erhielt er vor dem LAG Niedersachsen Recht (Beschl. v. 1.10.2024 – 11 TaBV 19/24). Das Gericht stellte zunächst fest, dass Fragebögen mit vorformulierten Fragen zur Aufdeckung von Straftaten nicht generell und unabhängig von der Art und dem Inhalt der Fragen mitbestimmungspflichtig sind. Rein sachbezogene Fragen, auch wenn sie dem Ziel der Aufklärung von Straftaten dienen, sind von der Vorschrift des § 94 Abs. 1 BetrVG nicht erfasst. Dagegen sind personenbezogene Fragen nach dem Verhalten des Befragten, die Rückschlüsse auf die Eignung, Kenntnisse und Fähigkeiten dieser Person zulassen, mitbestimmungspflichtig. Das Mitbestimmungsrecht dient dem präventiven Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers. Es soll dem Betriebsrat eine Kontrolle im Hinblick auf das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Frage ermöglichen. Bei arbeitsplatz- oder sonstigen sachbezogenen Fragen zur Aufklärung von Straftaten oder Vertragspflichtverletzungen anderer Personen, die sich nicht auf die Person des Befragten und sein Verhalten beziehen, ist dagegen das Persönlichkeitsrecht des befragten Mitarbeiters nicht betroffen. Die vom Betriebsrat beschriebenen Kategorien von Fragen, die Gegenstand seines Unterlassungsbegehrens sind, stellen jedoch personenbezogene Fragen dar, da sie Rückschlüsse auf die Eignung des Befragten ermöglichen. Die Antwort lässt Rückschlüsse darauf zu, ob der Arbeitnehmer sich redlich verhält, ob er womöglich vorsätzlich ein Eigentumsdelikt begeht, wie loyal der Arbeitnehmer ist und ob er sich an Verfehlungen Dritter beteiligt hat. Dem Argument des Unternehmens, die konkreten Befragungen hätten allein der Aufklärung von Straftaten und Pflichtverletzungen des Herrn K gedient, hielt das Gericht entgegen, dass es dafür nicht erforderlich erscheint, andere Arbeitnehmer nach eigenem Fehlverhalten zu befragen. Nachdem der Unterlassungsanspruch bejaht wurde, stand dem Betriebsrat auch ein Beseitigungsanspruch zu, in Form von Löschung der mit den Fragen erhobenen Daten.

Das Gericht ließ die Rechtsbeschwerde zu, da die Reichweite des Mitbestimmungsrechts nach § 94 Abs. 1 BetrVG bislang höchstrichterlich nicht abschließend geklärt ist (anhängig unter dem Az. 1 ABR 33/24 beim BAG).

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Personalfragebogen zur Aufklärung von Straftaten
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