Meinung: Kunst statt Kanzlei – oder: Auf neuen Wegen

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Annika Juds, The Female Empowerment Artist, Ex-Anwältin, Speakerin und Autorin aus München, hier mit ihrem Kunstwerk „Fokus“ Bild: Diane von Schoen
Annika Juds, The Female Empowerment Artist, Ex-Anwältin, Speakerin und Autorin aus München, hier mit ihrem Kunstwerk „Fokus“ Bild: Diane von Schoen

Hätte mir vor vier Jahren jemand gesagt, dass ich meine Karriere in einer Großkanzlei für die Kunst aufgeben würde, hätte ich denjenigen für verrückt erklärt. Wer würde nach all den Jahren harter Arbeit, sechsstelligem Einkommen und angesehener Position lieber Porträts malen und das Leben als Künstlerin wagen? „Das macht doch keiner!“, hätte ich entgegnet.

Vier Jahre später muss ich sagen: „Doch ich.“ Das damals Unvorstellbare ist real geworden. Die Kunst hat mein Leben radikal verändert und während ich früher dachte, dass dieser Schritt mich ins finanzielle Abseits befördern würde, verdiene ich heute mit meiner Kunst teils sogar mehr als damals in der Kanzlei.

Aber der Schritt war vor allem ein Brechen mit Glaubenssätzen, die ich lange für unantastbar hielt. Warum soll der Ausstieg aus Jura Downgrading sein? Warum nicht etwas Neues wagen, wenn gefühlt alles erreicht ist?

Ich kenne sie alle, die Antworten und Begründungen: Weil es einfach nicht geht. Weil ich keine Zeit habe. Weil ich eine Familie ernähren muss. Weil es gerade so schön bequem ist. Weil es aktuell im Job noch erträglich ist. Und dann ist da noch die unausgesprochene Angst vor der Meinung der Anderen – was werden sie denken, was werden sie sagen?

Ist die zündende Idee der Veränderung vorhanden, fehlt oft der Mut, unbekanntes Terrain zu betreten. Oder es ist andersherum. Jetzt Hand aufs Herz: Wenn Jura uns eins lehrt, dann Annahmen und Sachverhalte zu hinterfragen. Was braucht es also wirklich?

Ich bin nicht eines Morgens aufgewacht und habe beschlossen, alles hinzuschmeißen und Künstlerin zu werden. Es war ein Prozess.

Gemalt habe ich schon immer, doch neben Jura war kaum Raum. Als ich 2016 einen Gutschein für ein Mietatelier geschenkt bekam, nahm ich das Malen wieder auf. Eine Freundin empfahl mich für eine Ausstellung. Ich zögerte, sagte aber zu – und plötzlich öffneten sich Türen.

2020 verließ ich die Großkanzlei mit dem Plan, drei Monate Auszeit vor dem nächsten Jura-Job zu nehmen. Nach einer weiteren Ausstellung mitten in der Corona-Pandemie nahm das, was als Hobby begonnen hatte, unerwartet Fahrt auf. Es folgten internationale Verkäufe, Presseberichte, Keynote- und Eventanfragen sowie Kooperationen, u. a. mit einer internationalen Kreuzfahrtreederei. Meine Art von Kunst bewies sich plötzlich als relevant, einträglich und wirkungsvoll.

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Aber Exzellenz allein reicht nicht – weder juristisch noch künstlerisch. Es braucht eine klare Positionierung, ein Netzwerk über die eigene Bubble hinaus, Sichtbarkeit, ganz persönliche Ziele und ein starkes Warum.

Manchmal frage ich mich, wie meine Anwaltskarriere verlaufen wäre, wenn ich diese Lektionen damals schon gekannt und bewusst angewendet hätte. Sicher anders. Ich gebe meine Erkenntnisse in Vorträgen weiter und frage, wer schon ein klares Branding für sich etabliert hat. Da blicke ich oft in fragende Gesichter. Wenn du nicht in drei Sätzen sagen kannst, was du tust, warum du es tust und für wen, wie sollen dich dann andere für Projekte oder Positionen empfehlen?

Die Juristerei ist und bleibt spannend. Doch warum nicht auch andere Karrierewege erkunden, wenn es so viele weitere Optionen gibt? Die Arbeitswelt verändert sich gerade rasant. Da heißt es ohnehin, neugierig bleiben.

Wir sollten uns daher regelmäßig fragen, was wir mit unserem Hintergrund, Stärken und Erfahrungen noch alles bewegen können.

Ich denke mittlerweile groß und muss immer schmunzeln, wenn ich den Spruch höre, dass man mit Jura alles machen kann. Ja, kann man. In meinem Fall sogar Kunst.

Annika Juds

Annika Juds
The Female Empowerment Artist, Ex-Anwältin, Speakerin, Autorin, München
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Meinung: Kunst statt Kanzlei – oder: Auf neuen Wegen
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