Meinung: Neue Manager braucht das Land

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Thomas Sattelberger, Mitglied des Deutschen Bundestages 2017–2022, Parlamentarischer Staatssekretär a. D., ehemaliger DAX-Vorstand Bild: Wolfgang Maria Weber
Thomas Sattelberger, Mitglied des Deutschen Bundestages 2017–2022, Parlamentarischer Staatssekretär a. D., ehemaliger DAX-Vorstand Bild: Wolfgang Maria Weber

Nationen wie Unternehmen brauchen wirtschaftliche Stand- und Spielbeine. Führende Technologienationen haben ein Standbein im industriellen Sektor, besitzen aber auch ausgeprägte Spielbeine in Digitalökonomie, KI, Biotechnologie und New Space. Unser alleiniges Standbein dagegen erodiert: Maschinen-, Anlagen- und Autobau. Spielbeine wie Biotech haben wir vernachlässigt oder außer Landes getrieben.

In der Wirtschaft war vor 50 Jahren Wandel noch eher die Ausnahme und abfederbar etwa durch Vorratshaltung und Notstromaggregate.

Ab den 1990er-Jahren wurde er zur Konstante: Fusionen und Übernahmen, Supplier Management, Outsourcing, Offshoring – sozusagen die „atmende Unternehmung“.

Heutzutage ist der Wandel disruptiv. Er wälzt Märkte um, erschüttert Branchen und Geschäftsmodelle.

Effizienz muss gerade in Zeiten disruptiver technologischer Veränderung in Balance zur Innovationsfähigkeit stehen. Deutsche Automanager waren zwar der Ausbund an Prozessoptimierung und Effizienz weltweit. Gleichzeitig haben sie Elon Musks Feldzug mit Tesla zuerst als Kinderkram, später als unperformantes Start-up und zu spät als echten Innovator wahrgenommen. Und sie versagen – VW lässt grüßen – bei Software und Infotainment gegenüber der chinesischen Elektrokonkurrenz.

Die Organisationsforschung spricht hier von der überlebensnotwendigen Ambidextrie, der Beidhändigkeit der Führung. Das etablierte Geschäftsmodell muss „ausgelutscht“ werden: Effizienz, Margen, Exploitation. In unbekannten Territorien braucht es aber auch neugierige Exploration und hoffentlich Innovation. In den alten Strukturen stößt das Immunsystem des Alten das Neue ab. Deshalb hatte BMW die Entwicklung seines ersten Elektroautos i3 komplett abgetrennt von den Strukturen der Verbrennerwelt. Nespresso wurde ausgegründet, um nicht von der schieren Größe Nestlés erdrückt zu werden.

In einem zweiten Schritt geht es um radikale Kulturreform. Altes Führungs- und Effizienzmanagement, silohafte Arbeitsorganisation und industrielles Arbeitszeitregime sind reale Barrieren, patriarchalischer oder gar totalitärer Führungsstil mentale Barrieren.

Der Organisationsforscher Karl E. Weick entwickelte in den 1990er-Jahren den drastischen Slogan „Drop your tools!“ als Ratschlag für Manager in Krisenzeiten: Schmeißt euer altes Handwerkszeug weg!

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Heutige Unternehmensführer sind meist ausgebildet und sozialisiert in den 90er-Jahren – also Schüler und Opfer des Handwerkszeugs strategischen Managements. Mit betriebswirtschaftlicher Planung, aber auch mit den eingeübten Ritualen der Mikropolitik. Solche alten Tools und Verhaltensweisen helfen niemandem, Mehrdeutigkeit und Disruption zu meistern.

Deshalb einige meiner Erfahrungen zum Nachdenken:

  1. Eine Führungskraft in schweren Zeiten ist Notfallchirurg, nicht Allgemeinmediziner. Führung misslingt, wenn man die Wünsche vieler Stakeholder erfüllen will. Es gilt, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen.
  2. Studien zeigen, dass Quereinsteigerdeutlich erfolgreicher Krisen bewältigenals Hausgewächse. Sie haben nicht den Rucksack voller „old tools“.
  3. Krise ist nicht die Zeit für Modewellen im Management. Und: Führung darf gerade in Krisenzeiten kein Machtvakuum zulassen. Das bedeutet nicht das Ende der Partizipation, aber: schnelle Debatte mit diversen Stimmen (gegen den eigenen Confirmation Bias), dann glasklar entscheiden.
  4. Führung in Krisenzeiten ruft nicht nach Perfektion. In Krisenzeiten ist alles suboptimal. Da taugen auch 70-%-Lösungen.
  5. Führung in virtuellen Strukturen ist im Veränderungsprozess kaum geeignet. Es braucht Phasen strategisch-taktischer Vergemeinschaftung „in Präsenz“, bevor jeder wieder auf seinem Platz „präsent“ ist.

Der Blick nach Skandinavien und in die USA zeigt, wie erfolgreich führungsstarke, aber hierarchiearme, ultraflache und agile Organisationen arbeiten können.

 

 

 

Thomas Sattelberger

Thomas Sattelberger
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