Bußgeldmindernde Wirkung von Compliance-Management-Systemen

§§ 17, 30, 130 OWiG

1. Bei der Bemessung einer Geldbuße nach Maßgabe des § 30 OWiG ist es von zentraler Bedeutung, inwieweit das hiervon betroffene Unternehmen seiner Pflicht, etwaige aus dessen Sphäre entspringende Rechtsverletzungen zu verhindern, nachgekommen ist.

2. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, ob das jeweilige Unternehmen ein zum Zwecke der Vermeidung von Rechtsverletzungen hinreichend geeignetes Compliance-Management-System wirksam implementiert hat.

3. Relevant ist zudem, ob und inwieweit das jeweilige Unternehmen im Nachgang zu etwaigen einschlägigen Strafverfahren bereits vorhandene betriebliche Regelungen weiterentwickelt sowie entsprechende interne Prozesse derart perfektioniert hat, dass zukünftig vergleichbar strafbare bzw. compliance-relevante Rechtsverletzungen jedenfalls signifikant erschwert werden.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 265/16

1106
Bild: Kzenon/stock.adobe.com
Bild: Kzenon/stock.adobe.com

Problempunkt

Ob Bestechungszahlungen eines deutschen Industriedienstleisters im Zusammenhang mit einem Pipeline-Projekt in Nigeria oder systematische Schmiergeldzahlungen mithilfe schwarzer Kassen bei einem führenden Technologiekonzern – diese rein exemplarische Aufzählung (straf-)rechtlich relevanten Fehlverhaltens im unternehmerischen Verkehr ließe sich bedauerlicherweise nahezu beliebig weiterführen. Umso weniger überrascht es daher, dass sich in zahlreichen Unternehmen insbesondere sog. Compliance-Management-Systeme (CMS) – d. h. die Gesamtheit aller Maßnahmen und Prozesse, die ein regelkonformes Verhalten sämtlicher Beteiligten sicherstellen und etwaige Verstöße gegen bestehende Regelungen sowie anwendbares Recht verhindern sollen – einer stetig wachsenden Beliebtheit erfreuen. Außerhalb des Anwendungsbereichs vereinzelt einschlägiger spezialgesetzlicher Vorschriften (etwa § 25a KWG) besteht indes noch keine allgemeine gesetzlich begründete Pflicht zur Einrichtung eines solchen Systems. Aufgrund dessen sahen sich Unternehmen bislang regelmäßig einer signifikanten Unsicherheit ausgesetzt, ob und inwieweit mit einer fakultativen Implementierung eines oftmals kostspieligen CMS auch tatsächliche bzw. rechtliche Vorteile korrespondieren. Mit seiner Entscheidung hat der BGH nun erstmalig inhaltlich Stellung zu der bußgeldmindernden Wirkung von CMS genommen und damit deren überragende Bedeutung höchstrichterlich geadelt.

Der Entscheidung lag ein Strafurteil des LG München I gegen einen leitenden Angestellten wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zugrunde.

Bei dem Verkauf von Rüstungsgütern an Griechenland gab der spätere Angeklagte in seiner Funktion als leitender Angestellter und Prokurist des Rüstungsunternehmens u. a. mehrere Provisionszahlungen an eine beratend tätig werdende externe Gesellschaft frei. In die offiziellen Verhandlungen zu dem millionenschweren Rüstungsdeal war das externe Beratungsunternehmen zu keinem Zeitpunkt involviert – indes bestand zufälligerweise ein persönlicher Zugang zu dem damaligen griechischen Verteidigungsminister. Nachweislich erfolgten jene im Vorfeld der Transaktion erbrachten „Beratungsleistungen“ lediglich aufgrund einer Bestechungsabrede zwischen einzelnen Mitgliedern der Geschäftsleitung des Rüstungsunternehmens sowie dem ausländischen Amtsträger. Die beglichenen Provisionszahlungen wiederum wurden – wie auch vom Angeklagten billigend in Kauf genommen – rechtswidrig als Betriebsausgaben des Rüstungsunternehmens verbucht und führten bei diesem zu einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil. Im Strafverfahren gegen den leitenden Angestellten setzte das LG München I nach § 30 Abs. 1 OWiG ein Bußgeld i. H. v. 175.000 Euro gegen das prozessual als Nebenbeteiligte involvierte Rüstungsunternehmen fest.

Entscheidung

Im Revisionsverfahren beurteilte der BGH jedoch u. a. die durch das LG vorgenommene Bemessung der festgesetzten Geldbuße als rechtsfehlerhaft zum Vorteil des Rüstungsunternehmens und hob daher konsequenterweise dessen Entscheidung hinsichtlich der verhängten Geldbuße auf.

In seiner Entscheidung deutet der BGH erstmalig die grundsätzliche Möglichkeit einer ordnungswidrigkeiten- bzw. bußgeldrechtlichen Privilegierung infolge eines wirksamen CMS an. Nach Auffassung der Karlsruher Richter soll es bei der Bemessung einer Geldbuße nach Maßgabe des § 30 OWiG von zentraler Bedeutung sein, inwieweit das jeweilige Unternehmen ein zum Zwecke der Vermeidung von Rechtsverletzungen hinreichend geeignetes CMS wirksam implementiert oder ein bereits bestehendes System nachträglich optimiert hat.

Sie möchten unsere Premium-Beiträge lesen, sind aber kein Abonnent? Testen Sie AuA-PLUS+ 2 Monate kostenfrei inkl. unbegrenzten Zugriff auf alle Premium-Inhalte, die Arbeitsrecht-Kommentare und alle Dokumente der Genios-Datenbank.

Konsequenzen

Eine inhaltlich detailliertere Kernaussage lässt sich dem Urteil indes nicht entnehmen: Nach der höchstrichterlichen Entscheidung bleibt auch weiterhin offen, welches Anforderungsprofil ein CMS generell zu erfüllen hat und anhand welcher Kriterien sich eine etwaige ordnungswidrigkeiten- bzw. bußgeldrechtliche Privilegierung quotal bzw. quantitativ beziffern lässt. Ein obiter dictum des erkennenden Senats wäre hier zur Vermeidung rechtlicher Unsicherheiten für die betriebliche Praxis durchaus begrüßenswert gewesen.

Praxistipp

Für Unternehmen ist die wirksame Implementierung eines effizienten CMS mittlerweile faktisch alternativlos. Nach der Entscheidung des BGH ist es gleichwohl nicht zwingend erforderlich, alte Pfade zu verlassen, um konzeptionell neue Wege zu gehen: In Ermangelung höchstrichterlicher Rechtsprechung hinsichtlich der näheren Ausgestaltung sowie dem jeweils zu erfüllenden Anforderungsprofil eines – jedenfalls nach Auffassung des BGH – „effizienten“ CMS empfiehlt sich bei dessen erstmaliger Implementierung bzw. nachträglicher Optimierung, die im mittlerweile anerkannten Prüfungsstandard IDW PS 980 „Grundsätze ordnungsgemäßer Prüfungen von Compliance Management Systemen“ inhaltlich näher kodifizierten Vorgaben vollumfänglich entsprechend zu berücksichtigen. Andernfalls droht eine grundsätzlich mögliche bußgeldmindernde Wirkung eines CMS effektlos zu verpuffen.

David Johnson

David Johnson
MBA, LL.M. (Stellenbosch), Compliance Officer (Univ.), Rechtsanwalt, München
AttachmentSize
Beitrag als PDF herunterladen131.45 KB

· Artikel im Heft ·

Bußgeldmindernde Wirkung von Compliance-Management-Systemen
Seite 251
Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

● Problempunkt

Vorliegend stritten die Parteien insbesondere über die formwirksame Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Die (spätere)

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Ein auf die Entwicklung, Konstruktion und den Bau von Militärflugzeugen spezialisiertes Unternehmen war mehrfach als Auftragnehmerin für

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Ein in einem Autohaus beschäftigter Verkäufer wandte sich an ein konkurrierendes Autohaus, um einen Audi Q3 zu privaten Zwecken zu kaufen und über die

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problemaufriss

Vor Inkrafttreten des HinSchG sahen sich (vermeintlich) hinweisgebende Arbeitnehmer nach der Meldung tatsächlicher oder mutmaßlicher

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Wie viel Mensch verträgt die Zukunft?

Globale Entwicklungen wie die Digitalisierung oder die Bekämpfung des menschengemachten

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Herr Dr. Eßer, im Kontext von Arbeits- und Gesundheitsschutz taucht mittlerweile häufig der Ausdruck