Headset ist keine technische Überwachungseinrichtung

§ 87 Abs. 1 Nr. 6; § 50 Abs. 1 BetrVG

Ein Headset, welches nur der innerbetrieblichen Kommunikation dient, stellt keine technische Überwachungseinrichtung i.S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar.

(Auszug aus den Leitsätzen des Gerichts)

LAG Sachsen, Beschluss vom 21.10.2022 – 4TaBV9/22

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Bild: WavebreakmediaMicro/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Beteiligten streiten über die Mitbestimmungspflichtigkeit der Anordnung zum Tragen von Headsets während der Arbeit. Die Beteiligte zu 2. ist ein international tätiges Bekleidungsunternehmen, dessen Zentrale sich in Dublin befindet. Der Beteiligte zu 1. ist der örtliche Betriebsrat (BR) einer der Standorte. Im Unternehmen besteht ein Gesamtbetriebsrat (GBR). Der Arbeitgeber beabsichtigt die Ablösung der bisher verwendeten Walkie-Talkies durch Headsets. Die für die Headsets verwendete Software wird über die IT-Abteilung in Dublin zentral betreut. Am deutschen Standort gibt es keine eigene IT-Abteilung. Beim Einsatz der Geräte werden Headset-Registrierungsdaten (ID, die eindeutige Gerätenummer [IPEI], Bezeichnung des Geräts und Zeitpunkt der Verbindung) nach Dublin übertragen. Ferner werden die Betriebsdaten, die DECT-Verbindung (Funkstandard) mit der Basisstation im Store und generelle Systeminformationen weitergegeben. Zudem kann die zuletzt ausgeführte Aktion aus der Gerätekonfiguration ausgelesen werden. Auch diese Daten werden nach Dublin übermittelt.

Im Unternehmen existiert eine vom GBR geschlossene Rahmenvereinbarung IT. Die einzelnen mitbestimmungspflichtigen Systeme werden zu der Gesamtbetriebsvereinbarung als Anlage genommen. Für die Headsets wurde eine solche Anlage vereinbart, in der geregelt wurde, dass die Headsets nicht zur Verhaltens- und Leistungskontrolle eingesetzt werden. Ferner haben einzelne örtliche Betriebsräte eigene Vereinbarungen geschlossen. Trotz Verhandlungen kam es zwischen den Beteiligten nicht zu einer Vereinbarung. Der BR sieht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 BetrVG. Der Arbeitgeber meint, eine betriebsübergreifende Regelung sei zwingend erforderlich. Deshalb sei der GBR originär zuständig. Ferner behauptet er, dass eine Überwachung technisch nicht möglich sei, da die Headsets keinem bestimmten Mitarbeiter zugeordnet sind.

Das ArbG Dresden hat die Unterlassungsanträge des Betriebsrats mit Beschluss vom 9.12.2021 zurückgewiesen. Zwar sind die Headsets als Überwachungseinrichtungen i.S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anzusehen. Jedoch besteht aufgrund der technischen Betreuung in Dublin eine überbetriebliche Regelungsnotwendigkeit, weshalb allein der Gesamtbetriebsrat für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts zuständig ist.

Entscheidung

Die Beschwerde blieb vor dem LAG erfolglos. Ein Headset, welches nur der innerbetrieblichen Kommunikation dient, stellt keine technische Überwachungseinrichtung i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an (BAG, Beschl. v. 11.11.2018 – 1 ABR 13/17, Rz. 24, NZA 2019, S. 1009). Eine individuelle Leistungskontrolle ist durch die Sprachübertragung des Headsets objektiv nicht möglich. Objektive Leistungsdaten der Arbeitnehmer werden durch die Teilnahme an der betrieblichen Kommunikation nicht gewonnen. Das Arbeitsergebnis der beteiligten Arbeitnehmer wird nicht beeinflusst. Vielmehr handelt es sich lediglich um die Erleichterung des Zugangs zur betrieblichen Kommunikation.

Entscheidend ist auch, dass die ermittelten und aufgezeichneten Verhaltens- und Leistungsdaten dem einzelnen Arbeitnehmer zugeordnet werden können. Der Arbeitnehmer muss identifizierbar und darf nicht anonym sein, denn mitbestimmungspflichtig ist nicht die Erhebung von Verhaltens- und Leistungsdaten an sich, sondern die Erhebung solcher auf den Arbeitnehmer bezogener Daten, weil deren Persönlichkeitsbereich vor einer technisierten anonymen Überwachung geschützt werden soll. Das Erfassen der Leistung oder des Verhaltens einer ganzen Abteilung oder Gruppe reicht nicht aus (BAG, Beschl. v. 26.7.1994 – 1 ABR 6/94, Rz. 25, NZA 1995, S. 185). Im vorliegenden Fall fehlt es an der Individualisierbarkeit des Beschäftigten. Die Headsets sind keinem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet. Die Benutzung erfolgt durch Zufallsprinzip. Eine Zuordnung erhobener Daten in der IT-Zentrale ist daher nicht möglich. Der technischen Einrichtung fehlt damit bereits die objektive Überwachungseignung.

Soweit ein Mitbestimmungsrecht bejaht wird, ist im Übrigen der örtliche BR unzuständig. Bei der Einführung der Headsets besteht eine technisch bedingte Notwendigkeit einer betriebsübergreifenden Regelung. Dies ergibt sich aus der alleinigen Zuständigkeit der Zentrale in Dublin. Für die Beurteilung der Frage ist auf die technische Lösung abzustellen, welche der Arbeitgeber für die Erreichung seiner Zwecke gewählt hat. In Dublin wird die Software zentral gesteuert. Das Betreiben der Headsets ohne die Software ist nicht möglich. Daraus folgt die originäre Zuständigkeit des GBR nach § 50 Abs. 1 BetrVG (vgl. BAG, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 ABR 20/21, Rz. 39: Unternehmensweiter Einsatz Microsoft 365).

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Konsequenzen

Die Entscheidung zeigt, wie hoch das Streitpotenzial bei der Digitalisierung und Einführung moderner Arbeitsmethoden und Technik sein kann – gerade hat Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil verlautet: „Ab 2035 wird es keinen Job mehr geben, der nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun hat.“ Arbeitgeber sollten sich dennoch nicht abschrecken lassen, technische Neuerungen durchzusetzen, insbesondere dann, wenn sie veraltete Ausstattungen ablösen und den Arbeitsalltag dadurch effizienter gestalten. Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist beim BAG unter dem Az. 1 ABR 16/23 anhängig (Verhandlungstermin: 18.6.2024).

Praxistipp

Es sollte stets geprüft werden, ob bei Einsatz neuer Technik ein Mitbestimmungsrecht besteht. Eine sichere Anonymisierung i.S. d. Erwägungsgrundes 26 DSGVO kann dabei Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wie auch Datenschutzverpflichtungen nach DSGVO sowie BDSG vermeiden und entspricht auch dem Prinzip der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1c DSGVO).Ist die technische Einrichtung an sich geeignet, eine individuelle Leistungs-/Verhaltenskontrolle zu ermöglichen und verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so bleibt dem Arbeitgeber nur der Weg über die Einigungsstelle. Die von Betriebsräten oft geforderte Vereinbarung eines kollektivrechtlichen konstitutiven Sachvortrags-/Beweisverwertungsverbots hat das BAG klar abgelehnt mangels Regelungskompetenz der Betriebspartner, sodass sich Arbeitgeber darauf nicht (mehr) einlassen sollten (BAG, Urt. v. 29.6.2023 – 2 AZR 296/22, NZA 2023, S. 1105).

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