Untersagung einer Nebentätigkeit

§ 3 Abs. 4 Satz 2 TV-L

Nach § 3 Abs. 4 Satz 2 TV-L kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen eine entgeltliche Nebentätigkeit untersagen oder diese mit Auflagen versehen. Diese Bestimmung ist verfassungskonform. Die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ist bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 4 Satz 2 TV-L und bei der Rechtsanwendung im Einzelfall zu berücksichtigen.

(Leitsätze des Gerichts)

BAG, Urteil vom 19.12.2019 – 6 AZR 23/19

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger ist Niederlassungsberater in einer Bezirksstelle der Beklagten, einer kassenärztlichen Vereinigung. Zu seinen Aufgaben gehört die betriebswirtschaftliche Beratung bei der Gründung einer Praxis bis hin zu deren Verkauf. Er informierte die Beklagte über seine Absicht, im Umfang von sechs Stunden wöchentlich für eine monatliche Vergütung von 450 Euro brutto für seine Lebensgefährtin allgemeine Bürotätigkeiten verrichten zu wollen. Diese betreibt eine ärztliche Praxis, die auch Kassenpatienten betreut und nicht zum zuständigen Bereich des Klägers in seiner Funktion als Niederlassungsberater gehört. Die Beklagte untersagte die Nebentätigkeit. Aus der Nebentätigkeit erwachse ein Interessenkonflikt. Andere Vertragsärzte könnten eine Bevorzugung der Praxis der Lebensgefährtin des Klägers vermuten.

Entscheidung

Der Kläger war nicht berechtigt, die angezeigte Nebentätigkeit auszuüben. Nach § 3 Abs. 4 TV-L haben die Beschäftigten ihrem Arbeitgeber Nebentätigkeiten schriftlich anzuzeigen. Der Arbeitgeber kann die Nebentätigkeit untersagen oder mit Auflagen versehen, wenn diese geeignet ist, die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten der Beschäftigten oder berechtigte Interessen des Arbeitgebers zu beeinträchtigen.

Die Vorschrift ist verfassungskonform. Auch nebenberufliche Tätigkeiten fallen in den Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Die rechtfertigungslose Untersagung einer Nebentätigkeit wäre daher mit der Berufsfreiheit nicht zu vereinbaren. Nach § 3 Abs. 4 TV-L bedarf die Ausübung einer Nebentätigkeit auch nicht der Erlaubnis des Arbeitgebers. In der Regel genügt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses, die Anzeige der Nebentätigkeit. Nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten der Beschäftigten oder berechtigte Interessen des Arbeitgebers durch die Nebentätigkeit beeinträchtigt werden können, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Nebentätigkeit zu untersagen oder mit Auflagen zu versehen. Die bloße Anzeigepflicht schränkt die Berufsfreiheit nicht ein. Im Falle der Untersagung der Nebentätigkeit bedarf es jedoch über den Wortlaut der Norm hinaus einer Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien.

Die vom Kläger angezeigte Nebentätigkeit war geeignet, das öffentliche Ansehen des Arbeitgebers zu beschädigen. Dies galt unabhängig davon, ob die Nebentätigkeit in oder außerhalb der Praxisräume ausgeübt würde. Eine Nebentätigkeit ist objektiv geeignet, berechtigte Interessen des Arbeitgebers zu beeinträchtigen, wenn dafür eine objektiv nachvollziehbare Gefahr besteht. Dabei geht es um die Interessen des jeweils betroffenen Arbeitgebers. Die Beklagte ist auf das Vertrauen der Vertragsärzte in die Unabhängigkeit der von ihr angebotenen Beratung angewiesen. Durch die entgeltliche Nebentätigkeit des Klägers in der Praxis seiner Lebensgefährtin konnten Zweifel an der Neutralität der Beklagten gegenüber den Vertragsärzten entstehen. Auch wenn sich die Praxis nicht direkt im Zuständigkeitsbereich des Klägers befand, konnte durch die Beratung bei überörtlichen Praxisübernahmen und Kooperationsvereinbarungen jederzeit ein Bezug entstehen.

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Konsequenzen

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie bestätigt die bisherige Rechtsprechung. Die Freiheit, eine nebenberufliche Tätigkeit zu ergreifen, ist durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Absolute Nebentätigkeitsverbote sind daher unzulässig. Zulässig sind demgegenüber sog. Erlaubnisvorbehaltsklauseln, die die Aufnahme einer Nebentätigkeit von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig machen (BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 9 AZR 464/00, AuA 10/02, S. 478). Eine Informationspflicht des Arbeitnehmers ist grundsätzlich zulässig und beeinträchtigt den Arbeitnehmer nicht in seiner Berufsfreiheit. Die Informationspflicht dient dem Arbeitgeber dazu, bereits vor Aufnahme der Nebentätigkeit die Überprüfung zu ermöglichen, ob betriebliche Interessen beeinträchtigt werden. Kommt der Arbeitnehmer seiner Informationspflicht nicht nach, liegt darin eine abmahnungsfähige Pflichtverletzung, und zwar auch dann, wenn im Ergebnis ein Genehmigungsanspruch besteht (BAG v. 11.12.2001, a. a. O.). Eine Informations- und Aufklärungspflicht besteht für den Arbeitnehmer auch im Hinblick auf die Regelung zur Höchstarbeitszeit des § 3 ArbZG, soweit eine Überschreitung der danach geltenden Zeitgrenze nicht ausgeschlossen werden kann.

Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung, soweit eine Beeinträchtigung betrieblicher Belange nicht zu erwarten ist. Umgekehrt hat der Arbeitnehmer jede Nebentätigkeit zu unterlassen, die mit seiner Arbeitspflicht kollidiert (BAG, Urt. v. 18.1.1996 – 6 AZR 314/95). Die Untersagung der Nebentätigkeit bedarf jedoch einer vorherigen Interessenabwägung. Für § 3 Abs. 4 TV-L hat das BAG bestätigt, dass die Bestimmung verfassungskonform ist, obwohl sie nach ihrem Wortlaut eine Interessenabwägung nicht vorsieht. Im Hinblick auf arbeitsvertragliche Zustimmungsvorbehalte erscheint es indes ratsam, die Notwenigkeit einer Interessenabwägung mit aufzunehmen.

Praxistipp

Tarifliche oder vertraglich geregelte Zustimmungsvorbehalte vor Aufnahme einer Nebentätigkeit sind grundsätzlich wirksam. Die Untersagung einer Nebentätigkeit bedarf jedoch einer vorherigen Interessenabwägung.

Dr. Ingo Plesterninks

Dr. Ingo Plesterninks
VP HR Mauser International Packaging Solutions, Brühl, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bonn
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Untersagung einer Nebentätigkeit
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