Agile Arbeit in einem Scrum-Team

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 Bild: Funtap/stock.adobe.com
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Das LSG Baden-Württemberg (Urt. v. 17.12.2021 – L 8 BA 1374/20, rk.) qualifizierte die Tätigkeit eines Softwareentwicklers in einem Scrum-Team als selbstständig und damit nicht sozialversicherungspflichtig. Der Programmierer war vom 1.1.2018 bis 30.6.2018 auf der Basis eines Rahmenvertrags für ein IT-Unternehmen tätig, das Individualsoftware für einen bestimmten Kunden herstellte. Auf der Basis des Rahmenvertrags schlossen die Parteien dann jeweils Einzelverträge über bestimmte Projekteinsätze. Der Programmierer verpflichtete sich, insgesamt 40 Personentage für das halbe Jahr 2018 zur Verfügung zu stehen. Das Tageshonorar betrug 524 Euro, basierend auf einem Acht-Stunden-Tag. Eine Mindestabnahme sagte das Softwarehaus nicht zu. Gegenstand des Vertrags war die Tätigkeit im Zusammenhang mit Software-Engineering, insbesondere professionelle Entwicklung von Software im agilen Scrum-Prozess, Teilnahme an Daily-Scrums, Sprint-Plannings, Sprint-Reviews sowie Sprint-Retrospectiven. Der Entwickler hatte einen Schreibtisch beim Auftraggeber, auf dem ein Schild mit dem Namen seines eigenen Unternehmens stand. Er pflegte eigene Internetauftritte und machte Werbung für Softwareprojekte, mit dem Ziel, eine eigene GmbH zu gründen. Er nahm nicht an unternehmensinternen Besprechungen des Auftraggebers teil, sondern nur an den fachlichen, projektbezogenen Meetings. Während die deutsche Rentenversicherung die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung einordnete, erkannte das LSG Baden-Württemberg an, dass der Entwickler selbstständig tätig ist.

Nach dem Gesamtbild der Zusammenarbeit und dem Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen bestehe keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Der Umstand, dass der Kläger in den Räumen des Unternehmens tätig wurde, war den sicherheitstechnischen Gegebenheiten geschuldet, die eine Arbeit über einen Remote-Zugriff in eigenen Räumen des Programmierers nicht erlaubten. Dieser wählte jeweils die Arbeitspakete aus, die sein Arbeitsgebiet – die Programmierung mit der Programmiersprache Delphi – betrafen. Darin war der Entwickler Spezialist. Die Programmierung erfolgte dann anhand sog. Zwei-Wochen-Sprints nach der sog. Scrum-Methode. Diese bezeichnet eine agile Methodik im Bereich Projektmanagement, die flexibel auf diverse Projekte angewendet werden kann. Sie unterscheidet sich vom klassischen Projektmanagement in der Hinsicht, dass es keine Projektleitung mehr gibt. Der Programmierer habe aufgrund seiner Spezialkenntnisse eine Sonderstellung eingenommen und sei auch nicht vergleichbar mit den angestellten Programmierern des Auftraggebers. Das Honorar liege mit 65,50 Euro Stundensatz deutlich über dem Verdienst der Angestellten von 23 Euro. Dies sei ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Schließlich trage der IT-Entwickler ein erhebliches Unternehmerrisiko, da der Auftraggeber keine Mindestabnahme zugesagt hatte und der Programmierer in der Annahme der Aufträge frei war.

Die Entscheidung erging zeitlich vor Bekanntgabe des aktuellen gemeinsamen Schreibens zur Statusfeststellung des GKV-Spitzenverbands vom 1.4.2022. Darin befasst sich der Verband ausdrücklich mit der Arbeitsweise von IT-Beratern und Spezialisten und stellt fest, dass der bei Wissensarbeiten übliche Verzicht auf fachliche Weisungen kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit darstellt. Ist der Berater in die Arbeitsabläufe des Kunden eng eingebunden, z. B. durch regelmäßige Abstimmung von Arbeitsschritten und Arbeitsergebnissen, spreche dies für eine Beitragspflicht. Bestimme der IT-Spezialist dagegen selbst, welche eigenständig bearbeitbaren Arbeitspakete er übernimmt sowie ob er von zu Hause aus oder am Betriebssitz tätig wird und wenn er zudem regelmäßige Teambesprechungen nicht besuchen brauche, dann spreche dies für die Selbstständigkeit.

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Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Agile Arbeit in einem Scrum-Team
Seite 52
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