Chatbot statt Recruiting

Die Digitalisierung des Bewerbungsprozesses
Viele Unternehmen sehen in den neuen digitalen Möglichkeiten der Gegenwart und der nahen Zukunft den Heilsbringer in den Bewerbungsverfahren. Die neuen Technologien versprechen schnelle, automatisierte und vor allem effizientere Verfahrensweisen im Prozess des Recruitings. Können diese Versprechen tatsächlich eingelöst werden oder handelt es sich um Luftschlösser?
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 Bild: pixabay.com
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1 Digitale Technologien im Bewerbungsprozess

Chatbots, künstliche Intelligenz (KI) und Big Data sollen an die Stelle von HR-Mitarbeitern treten und für eine höhere Trefferquote sorgen, die am Ende des Tages den Unternehmen eine große Menge an Geld einsparen könnte. Zudem verschärft sich der Kampf um die hellsten Köpfe im Lande zusehends. Fachkräftemangel ist Teil des Arbeitsalltags (nicht nur) für hochspezialisierte Unternehmen geworden. Mit den neuen Technologien versprechen sich Arbeitgeber, ein professionelles Netzwerk an potenziellen Bewerbern aufzubauen, ohne Arbeitsressourcen dafür aufzuwenden.

Üblicherweise sieht der Bewerbungsprozess so aus, dass eine Firma für eine bestimmte Stelle einen oder mehrere Kandidaten sucht. Die Verantwortlichen beschreiben die genauen Tätigkeitsfelder und die damit verbundenen Anforderungen an den Bewerber. Inseriert wird in Zeitungen, beim Arbeitsamt etc. – es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Menschen über diese freie Stelle zu informieren. Die jeweiligen Streuverluste sind natürlich riesig. Vieles basiert auf Zufall. Die Arbeitssuchenden müssen in einem gewissen Zeitraum auch diese vakante Stelle entdecken. Das bedeutet, dass der ideale Mitarbeiter auch tatsächlich derzeit auf Stellensuche sein muss. Wenn sich Menschen dann tatsächlich auf diese Stelle bewerben, dann müssen Vorselektionen gemacht und Bewerbungsgespräche durchgeführt werden. All das bindet Ressourcen, kostet enorm viel Zeit und schlussendlich auch Geld. Eine Situation, die vielen Unternehmen zu schaffen macht. Deshalb beginnen bereits jetzt viele etablierte Unternehmen, intelligente Technologien für die Kundengewinnung, aber eben auch für die Mitarbeitergewinnung einzusetzen. Doch was ist daran tatsächlich neu?

2 Gespielte Innovationen?

Böse Zungen könnten nun behaupten, dass solche Technologien für die Mitarbeitergewinnung schon längst im Einsatz sind. Viele Unternehmen, vor allem große, sammeln bereits seit Jahren immer wieder Daten potenzieller Kandidaten. In einer vorgefertigten Maske auf der eigenen Firmenhomepage werden die wichtigsten Daten der Interessenten erhoben und gespeichert. So weiß das Unternehmen, dass es hier Interesse an einer Zusammenarbeit gibt, zumindest zum Zeitpunkt der Registrierung. Doch dieser Prozess ist weit davon entfernt, tatsächlich als intelligent bezeichnet zu werden. Im Gegenteil. Im Grunde unterscheidet sich dieser Prozess nicht vom Ausfüllen eines physischen Papiers, nur eben digital. Dieser Prozess führt einzig und allein zu einer riesengroßen Anzahl an Karteileichen, da auch oftmals die Aktualisierung der erhaltenen Daten „vergessen“ wird. Dieser Prozess der Datenpflege wird oft vernachlässigt, da er sehr aufwendig und daher teuer ist. Doch nur über eine entsprechende Datenpflege können langfristig die besten Mitarbeiter gewonnen werden. Wie gesagt, ein sehr energie- und zeitintensiver Prozess, der aufgrund dieser Bedingungen mit der Zeit dann nur mehr halbherzig umgesetzt wird. Es ist kaum verwunderlich, dass diese Vorgehensweise nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt.

Die neuen Technologien, welche heute zum Einsatz kommen, sind gänzlich anderer Natur, denn sie bringen eine völlig neue Qualität in den Kommunikationsprozess zwischen Bewerber und Unternehmen ein.

3 Chatbots bauen Beziehungen auf

In naher Zukunft werden die Unternehmen erfolgreich sein, die nicht nur neue Kunden gewinnen, sondern sich die Dienste von herausragenden Mitarbeitern sichern können. Und dieser Prozess muss natürlich möglichst günstig und effektiv dargestellt werden. Günstig kann er dann sein, wenn keinerlei Menschen in diesen Prozess involviert sind, er somit automatisiert abläuft. HR-Mitarbeiter benötigt man dann nur mehr für das Controlling der Prozesse, ob sich die Kommunikationswege so entwickeln, wie sie ursprünglich programmiert wurden. Auch das Aufsetzen bzw. „Befüllen“ des Chatbots nimmt Zeit in Anspruch. Zumindest so lange, bis es vorprogrammierte Versionen gibt, in welchen man nur mehr wenige Anpassungen vornehmen muss. Die größten Vorteile sind somit, dass Chatbots wie Menschen kommunizieren, jedoch keine menschlichen Ressourcen binden, zumindest nicht, wenn das System erfolgreich implementiert wurde. Dies bietet die Möglichkeit, frühzeitig und präventiv mit potenziellen Mitarbeitern Kontakt aufzunehmen und dadurch wieder Zeit und somit Geld einzusparen. Wird eine Stelle frei, kann sehr schnell auf diese Situation reagiert werden und dies äußerst ressourcenschonend.

Obgleich man gerade zu Beginn einen erhöhten Aufwand mit der Vorbereitung des Prozesses hat, spart ein Chatbot im Laufe der Zeit ungeheure Kosten ein. Er sorgt auch dafür, dass die besten Mitarbeiter sich um das Unternehmen scharen. Dies geht weit über die gegenwärtige Stellenausschreibung von Unternehmen hinaus. Wenn man eine Stellenausschreibung in einer Zeitung inseriert, hat man kaum die Möglichkeit der Überprüfung, ob diese Anzeige auch tatsächlich die richtige Zielgruppe erreicht. Digital ist sie nicht nur besser erreichbar, sie kann auch völlig neu und besser definiert werden. Durch Retargetingtools ist es möglich, immer passgenauere Zielavatare für alle Positionen im Unternehmen zu erstellen. Die Arbeitgeber wissen so immer besser darüber Bescheid, wer sich für die verschiedenen Stellen interessiert und können so wiederum die Stellenbeschreibungen verbessern oder vielleicht sogar neue, notwendige Stellen im eigenen Unternehmen schaffen. Bei richtigem Einsatz können die digitalen Tools, die uns nun zur Verfügung stehen, sogar zu einer Evolution des eigenen Business führen.

4 Der digitale Headhunter

Ein richtig programmiertes Chatbot-System ist vergleichbar mit einem Headhunter, der dauernd auf der Suche nach den besten und passendsten Köpfen für das eigene Unternehmen ist. Das Wunderbare daran: Es kommuniziert 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche mit den interessantesten Persönlichkeiten, ohne dass Sie dafür etwaige Extrabeträge bezahlen müssen.

Der Chatbot selektiert vor und befragt geeignete Kandidaten nach ihrem Berufsportfolio. Je nachdem, wie man ihn programmiert, sorgt er außerdem dafür, dass die Daten aktuell bleiben. Er könnte bspw. automatisiert ein paar Wochen nach dem Erstkontakt wieder Kontakt mit dem Bewerber aufnehmen und fragen, ob alle Daten noch aktuell sind oder ob es wichtige Änderungen gegeben hat. So ist das Unternehmen immer auf dem neuesten Stand und weiß, ob jemand noch zur Verfügung steht oder eine wichtige, weil für Sie relevante, Ausbildung begonnen oder beendet hat. Also keine Chance mehr für Karteileichen jeglicher Art.

Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass es ohne jeden menschlichen Kontakt nun auch wieder nicht funktionieren kann, die passenden Personen für die jeweiligen Stellen zu rekrutieren. Weil es bis dato noch nicht erfolgreich umgesetzt wurde, heißt es nicht, dass dies in naher Zukunft nicht noch geschafft wird. Aus heutiger Sicht ist ganz klar festzuhalten, dass der Erfolg der Chatbots im Recruitingprozess eng mit der tatsächlichen Ausgestaltung des Jobprofils zusammenhängt. Mit anderen Worten: Je wichtiger die Rolle der sozialen Kompetenz ist, desto wichtiger ist auch das Einschreiten eines Personalverantwortlichen beim Beurteilen dieser komplexen Fähigkeiten. Denn es sind in den allermeisten Fällen gerade diese sozialen Fähigkeiten, die den Arbeitnehmer zu einer idealen Besetzung der vakanten Stelle machen.

An diesem Punkt sei angemerkt, dass die Weiterentwicklung der KI dafür sorgt, dass solche Prozesse – egal wie komplex – immer besser von Softwarelösungen übernommen werden können. Das ist zwar noch ein Stück weit Zukunftsmusik. Sie ist vielleicht jedoch gar nicht mehr so weit entfernt von uns, wie wir glauben – und sie spielt jeden Tag lauter.

5 Science-Fiction oder gelebte Realität?

Jeder Bewerbungsprozess entscheidet sich auf der Basis von sog. Hardfacts und Softskills. Die „Hardfacts” sind nichts anderes als die beruflich relevanten Abschlüsse, Zertifikate, Ausbildungen und Berufsstationen der Bewerber. Entweder haben sie das Fach Mathematik an der Leipziger Universität besucht oder eben nicht. Es ist relativ leicht, dies herauszufinden und mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Auch Chatbots haben damit keine Probleme, weil die Antwort eindeutig ist. Hier gibt es keine zwei Meinungen, außer es wird gelogen.

Bei Softskills sieht die Sache dann schon wieder etwas diffiziler aus. Die jeweiligen Kompetenzen, Fähigkeiten und Learnings aus den einzelnen Berufsstationen oder Ausbildungen sind dann schon weitaus schwieriger zu beurteilen. Natürlich sind diese Softskills nicht für jede Stelle gleich relevant. Je relevanter diese jedoch sind, desto eher werden Menschen im Beurteilungsprozess benötigt. Was jedoch, wenn dies in Zukunft ebenfalls von Maschinen, vielleicht sogar besser als von Menschen, beurteilt werden kann? Vielleicht kann der Chatbot sehr bald ein ziemlich passendes Profil vom Bewerber entwickeln, was seine jeweiligen Kompetenzen betrifft. Vielleicht über Videoanalyse oder über die Art und Weise, wie mit dem Chatbot kommuniziert wird. Davon sind wir natürlich noch einige Schritte entfernt, aber undenkbar ist es nicht, dass Maschinen und Computerprogramme uns in naher Zukunft beurteilen.

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Für die ethischen Implikationen, die sich daraus ergeben, müssen wir ebenso Antworten finden, denn noch werden diese Maschinen und Protokolle von Menschen befüllt. Doch eines ist an diesem Punkt völlig klar: Je mehr Mehrwert solch eine Vorgehensweise für Unternehmen bereithält, desto stärker kommen diese auch zum Einsatz.

6 Win-win-Situationen

Die Vorteile für die Arbeitgeber liegen mehr oder minder auf der Hand. Sie sparen Zeit und andere Ressourcen und bauen gleichzeitig ein qualitativ hochwertiges Netzwerk an potenziellen Bewerbern auf. All das völlig automatisiert. Doch wie gestaltet sich die Situation eigentlich für die Bewerber selbst? Haben diese auch Vorteile? Natürlich! Denn sie merken schon relativ früh im Bewerbungsprozess, ob sie in die engere Auswahl kommen oder nicht. Die Vorselektion durch die Chatbots, was die „Hardfacts“ betrifft, ist dabei gnadenlos. Entweder die Minimalkriterien werden erfüllt oder eben nicht. Dies könnte so interpretiert werden, dass der Bewerber schlechter gestellt wäre. Dem ist aber nur auf den ersten Blick so. Denn nirgendwo sonst bekommt er so ein gnadenlos ehrliches Feedback wie hier. Er kann damit seine Schlüsse auf einem völlig neuen Fundament ziehen. Wenn ihm Ausbildung XY für die angestrebte Position fehlt und er diese aber unbedingt bekleiden möchte, dann muss er die jeweilige Weiterbildung eben nachholen. Er weiß genau, was zu tun ist. Es liegt also nur mehr an ihm, den vorgezeichneten Weg zu gehen.

Wenn es nun also zu einem Vorstellungsgespräch kommt, weiß der jeweilige Bewerber schon sehr genau, dass wahres Interesse von Seiten des Unternehmens vorherrscht. Leere Kilometer werden immer mehr zur Ausnahme, weil der Chatbot und seine Programmierung dafür sorgen, dass sowohl die Zeit des Unternehmens als auch die Zeit des Bewerbers respektiert werden.

7 Für Groß und Klein geeignet

All diese Ausführungen hören sich so an, als würde diese Vorgehensweise nur für internationale BigPlayer von Interesse sein. Doch dem ist nicht so. Auch für kleinere Unternehmen können professionell programmierte Chatbots einen enormen Mehrwert liefern, sowohl im Kunden- als auch im Mitarbeiterbereich.

Anteilsmäßig macht es für kleinere Unternehmen ja sogar noch mehr Sinn, solche Technologien in den eigenen Geschäftsprozess zu integrieren, da eingesparte Ressourcen noch größere Auswirkungen auf das Geschäftsergebnis haben als bei großen Unternehmen. Viel wird davon abhängen, welche standardisierten Chatbots auf den Markt gelangen, mit welchen individuellen Features diese ausgestattet sein werden und was sie kosten. Hier gibt es einen riesigen Bedarf, der noch nicht einmal ansatzweise erschlossen wurde. Kleine Unternehmen hätten durch diese Technologien nicht nur Einsparpotenzial, sondern schaffen sich über die Zeit massive Wettbewerbsvorteile, weil sie der Konkurrenz in der Mitarbeiter- und der Kundengewinnung einen entscheidenden Schritt voraus sind.

8 Fazit

Die Implementierung neuer Technologien spart bei richtigem Einsatz Geld und andere Ressourcen. Gleichzeitig sorgen sie für eine höhere Qualität der Unternehmenskommunikation nach außen. Wir befinden uns hier ganz am Anfang eines Prozesses, der die Unternehmenskommunikation, wie wir sie heute kennen, revolutionieren wird. Je mehr diese Kommunikationstechnologien Anwendung finden, desto eher werden Gelder bereitgestellt, um sie weiterzuentwickeln und sie dadurch auch für den Massenmarkt zugänglich zu machen. Mitarbeiter müssen dann keine Fragen mehr beantworten, die sie schon Tausende Male beantwortet haben, sondern können produktiveren Arbeiten nachgehen. Das Unternehmen spart wertvolle Ressourcen und kann sie andernorts wesentlich besser einsetzen. Der Kunde bzw. Bewerber erfährt relativ schnell, woran er ist und fühlt sich durch die zügige Kommunikation wertgeschätzt.

Claudio Catrini

Claudio Catrini
CEO und Founder, Claudio Catrini Akademie GmbH, Schwetzingen
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· Artikel im Heft ·

Chatbot statt Recruiting
Seite 224 bis 227
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