Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht im Dialog auf dem 36. Passauer Arbeitsrechtssymposion

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 Bild: Ania/stock.adobe.com
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Am 15. und 16. Juni fand das 36. Passauer Arbeitsrechtssymposion statt. In seiner Begrüßung betonte Prof. Dr. Frank Maschmann die Vielzahl aktueller Hürden, die wir nur mit einer starken Europäischen Union meistern könnten.

Die Vorträge eröffneten Prof. Dr. Christian Reiter und Dr. Eva Thielemann der Daimler Truck AG und nahmen die aktuelle mediale Präsenz des Themas zum Anlass, das Homeoffice im EU-Ausland zu besprechen. Die Referenten gingen auf arbeitsrechtliche Herausforderungen des deutschen, aber auch des internationalen Rechts sowie einschlägige Rechtsprechung ein. Nach Letzterer besteht z.B. grundsätzlich kein arbeitnehmerseitiger Anspruch auf Homeoffice im Ausland. Hier seien vertragliche oder insbesondere kollektive Vereinbarungen zu empfehlen. Das anwendbare Arbeitsrecht ergebe sich aus der Rom-I-Verordnung, die zum einen Kollisionsrecht und zum anderen in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sei. Die Frage, das Arbeitsrecht welchen Staates anwendbar sei, beantwortete Reiter mit dem gewöhnlichen Arbeitsort, also dem Staat, von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Tätigkeit verrichtet bzw. der den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses bildet. International zwingendes Recht beschränke die im Grundsatz geltende Rechtswahlfreiheit. Daher seien sog. Eingriffsnormen stets zu beachten. Dabei handele es sich um Normen, deren Anwendung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Dazu gehören bspw. Regelungen über den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit, Höchst- und Mindestruhezeiten sowie das Verbot der Sonnagsarbeit. Zudem ging Reiter auf die EU-Entsenderichtlinie und die Frage, ob es sich bei der Tätigkeit aus dem Homeoffice im Ausland um eine Arbeitnehmerentsendung handele, ein.

Den Wunsch, im nationalen Recht zu bleiben, würden die Parteien laut Thielemann erst recht in Bezug auf das Sozialversicherungsrecht hegen. Hier gelte der Grundsatz des Territorialitäts- bzw. Beschäftigungsstaatsprinzips, nach dem das Unternehmen verpflichtet ist, Abgaben an den ausländischen Staat abzuführen. Hiervon könnten Staaten mit entsprechender Begründung individuelle Ausnahmen vereinbaren.

In der anschließenden Diskussion kamen u.a. Fragen zum Verfahren bei Nicht-EU-Staatsangehörigen, Datenschutz sowie Gerichtsstand auf.

Prof. Dr. Carsten Herresthal, Universität Regensburg, referierte zur Arbeitgeberverantwortung in der Lieferkette nach deutschem und europäischen Recht und stellte zunächst das LkSG samt seiner Zielsetzung und Entstehungsgeschichte vor. Er ging dabei insbesondere auf den persönlichen sowie sachlichen Anwendungsbereich ein und hob immer wieder verschiedene „Tretminen“ hervor. Zu den geschützten Rechtspositionen, die nicht verletzt werden dürfen, gehörten u.a. die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Koalitionsverhandlungen, die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte sowie das Verbot von Kinderarbeit. Schutzgegenstand seien neben Menschenrechten auch Umweltrechte. Herresthal kritisierte wiederholt die Vagheit der im Gesetz gewählten Formulierungen. Er hebte hervor, dass es sich bei den geregelten Sorgfaltspflichten um Bemühenspflichten handelt und daher keine Haftung für Verstöße von Zulieferern besteht. Ein Bemühen könne immer auch scheitern. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf die Abstufung zwischen unmittelbaren und bloßen mittelbaren Zulieferern. Schließlich erläuterte er die normierten Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen, die zivilrechtliche Haftung sowie europäische Entwicklungen.

Den zweiten Veranstaltungstag eröffnete Prof. Dr. Martin Franzen, Ludwig-Maximilians-Universität München, mit einem Vortrag zum Thema Arbeitszeitrecht vor europäischen Herausforderungen und der Frage: „Zurück zur Stechuhr?“. Er stellte zunächst die Funktionen sowie den Begriff der Arbeitszeit dar und ging sodann auf die unterschiedlichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein. Nach einem Blick auf die Historie des Arbeitszeitrechts der EU und insbesondere in die geltende Arbeitszeitrichtlinie stellte Franzen einschlägige Rechtsprechung zunächst des EuGH, sodann des BAG und BVerfG vor. Dabei ging er vertieft auf den sog. Stechuhr-Beschluss des BAG vom 13.9.2022, die daran geäußerte Kritik, seine Folgen für die Praxis und daran anschließend den Referentenentwurf des BMAS vom 18.4.2023 ein.

Aus dem Kreis der Teilnehmer kam im Anschluss die Frage, wie ein freiwilliges Tätigwerden des Arbeitnehmers nach offiziellem Arbeitsende zu bewerten sei, welche Franken mit der Erforderlichkeit einer arbeitgeberseitigen Veranlassung beantwortete. BAG-Präsidentin Inken Gallner merkte an, dass die deutsche Ausgestaltung mit Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst auf europäischer Ebene zu komplex sei.

In ihrem anschließenden Vortrag mit dem Titel „EuGH, BVerfG und BAG im Dialog“ stellte Gallner rechtliche Spannungsfelder in Europa und den „Konflikt gestaltungsmächtiger Gerichte“ dar. Im Zusammenhang mit dem Konflikt in Sachen PSPP betonte sie, dass keine ordentliche Kommunikation zwischen den Gerichten mehr möglich sei, wenn Konflikte sich dermaßen zuspitzten, diese darauf aber angewiesen seien. Dabei zeige sich die aktuelle Bedeutung der europäischen Wertekanons, nicht nur Rechtskanons, besonders in Kriegszeiten. Sie ging auf den Vorwurf der Kompetenzüberschreitung ein, welcher sich nicht nur, aber gerade im Arbeitsrecht häufig an der unmittelbaren Wirkung grundrechtsgestützten Richtlinienrechts zwischen Privaten entzünde. Die Gerichte rängen um Kompetenzen, Deutungshoheit, Geltungsmacht und damit auch die Frage, wer das letzte Wort habe. Schließlich zeigte Gallner Ziele und den Harmonisierungsgehalt der Arbeitszeitrichtlinie auf und betonte in der anschließenden Diskussion „eine Lanze für die Dogmatik des EuGH brechen“ zu wollen.

Sascha Pessinger, Richter am BAG, ging in seinem Vortrag zu den Auswirkungen der EMRK im Arbeitsverhältnis zunächst auf die Rechtsnatur der EMRK und deren Verhältnis zum nationalen Recht ein. Es bestehe keine Verpflichtung, die EMRK in innerstaatliches Recht umzusetzen. Die Konventionsstaaten seien in der Art der Umsetzung frei. In Deutschland habe die EMRK den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Auch bestehe kein Anwendungsvorrang wie im Unionsrecht. Allerdings sei das nationale Recht konventionsfreundlich auszulegen. Die EMRK sei also insbesondere dort heranzuziehen, wo es um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geht oder ein Ermessensspielraum besteht. Im Arbeitsverhältnis zeige sich die Relevanz der EMRK u. a. hinsichtlich des Streikverbots, des Grundsatzes der Tarifeinheit, des Verbots religiöser und weltanschaulicher Bekundungen, der Überwachung am Arbeitsplatz sowie beim Whistleblowing.

Anschließend diskutierten die Teilnehmer u. a., inwiefern im Rahmen des Whistleblowings die Interessen des Arbeitgebers, insbesondere dessen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, geschützt seien.

Im Anschluss standen weitere Vorträge zum Thema Beschäftigtendatenschutz sowie zu Wegen aus der Unternehmensmitbestimmung auf dem Programm.

Redaktion (allg.)

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Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht im Dialog auf dem 36. Passauer Arbeitsrechtssymposion
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