Die gläserne Decke durchbrechen

Frauenmangel an der Spitze

In vielen deutschen Unternehmen bilden Frauen auf Topmanagementebene noch immer die Ausnahme. Der Trend zu mehr Diversität zeigt zwar nach oben, für ein nachhaltiges Umdenken haben wir aber noch einen längeren Weg zu gehen.

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 Bild: pixabay.com
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Wir müssen umdenken

Während im Ausland die Vorstände großer Unternehmen zunehmend weiblicher werden, sind hierzulande deutlich weniger Führungspositionen mit Frauen besetzt. Abhilfe soll nun ein Gesetz schaffen, das im August 2021 in Kraft getreten ist: Das Zweite Führungspositionen-Gesetz. Ist damit die nachhaltige Geschlechtergerechtigkeit in den Führungsetagen erreicht? Zunächst einmal müssen wir uns eingestehen, dass Deutschland in Sachen Diversität noch ziemlich am Anfang steht. Das Grundverständnis zu diesem Thema muss sich ändern, die Haltung, die Einstellung eine andere werden. Frauen erreichen Führungspositionen nicht automatisch durch Quoten. Das Gesetz mag einige Frauen in die Topetagen spülen, aber das wollen wir ja nicht wirklich. Wir müssen wollen, dass die besten Frauen und Männer die Toppositionen der Wirtschaft besetzen, unabhängig vom Geschlecht und mit einer Bezahlung, die gleichermaßen unabhängig vom Geschlecht die Qualifikation und den Anspruch der Rolle widerspiegelt. Dazu braucht es ein Umdenken bei Frauen und Männern.

Überzeugung statt Pflichterfüllung

Obwohl zahlreiche Studien Jahr für Jahr darauf hindeuten, dass vielfältige Teams bessere Entscheidungen treffen, ist es für viele Unternehmen tatsächlich mehr Pflichterfüllung. Damit Diversität wirklich gelebt und in der Unternehmenskultur verankert wird, muss die Pflicht der Überzeugung weichen. Nur so bietet sich die Möglichkeit, der gläsernen Decke entgegenzuwirken. Im Übrigen ist der Anteil von Frauen auf Managementebene nur ein Baustein eines sinnvollen Strebens nach Diversität im Unternehmen, um die unterschiedlichsten Talente und Fähigkeiten in einer Organisation zu versammeln. Ohne das Management von Vielfalt bleiben Unternehmen in ihren Ideen, Konzepten und der Umsetzungsqualität ganz sicher unter ihren Möglichkeiten. Es kann also nicht nur um Frauen gehen, es muss um grundsätzliche Diversität gehen.

Unbewusste und traditionelle Verhaltensweisen

Viel wichtiger und zielführender als eine Quotenregelung für Unternehmen sind die kontinuierliche Verbesserung der Rahmenbedingungen, eine objektive Einstellungspolitik, offene Arbeitsmodelle und der richtige Mindset in unserer Gesellschaft. Und da gibt es Nachholbedarf: Die meisten deutschen Konzerne sind in ihrer Organisation und Kultur, in ihren Regeln und Normen traditionell sehr männlich geprägt. So verwundert es wenig, dass sich die Suche nach Managementgrößen im Unternehmen am gesellschaftlichen Einfluss orientiert – nämlich oftmals am Paradigma vom starken Mann und der weichen Frau. Diese Vorurteile begleiten eine Organisation ganz unbewusst, prägen das Einstellungsverhalten und das Recruiting auf Topmanagementebene. Sprich: Menschen stellen Menschen ein, die sie zu verstehen glauben und denen sie vertrauen wollen. Da die einstellenden Aufsichtsräte und Manager natürlich oftmals Männer sind, stellen sie ebenso unbewusst auch lieber ihresgleichen ein.

So sind Macht und Führung vielfach noch sehr männlich verortet, haben mit Rivalität und Dominanz zu tun. Und damit wird Männern ganz unbewusst diese Rolle eher zugeschrieben als Frauen, die, wenn sie „Zähne zeigen“, sofort als karrieresüchtig und machtversessen abgestempelt werden, was wiederum dazu beiträgt, dass sie viel eher als ihre männlichen Kollegen genauestens beäugt werden, ob etwas davon vielleicht auf sie zutreffen könnte. Hinzu kommt, dass es vielen weiblichen Talenten oftmals an einem mutmachenden Vorbild fehlt, einer Förderin. Die wenigen Frauen, die sich auf Führungsebene bewegen, gefallen sich leider zu häufig noch in der Rolle des Unikats, einer Einzelkämpferin und bieten sich oft nicht als Rollenvorbild an. Unternehmen benötigen aber dringend Frauen in Führungspositionen, die kraftvolle, souveräne und inspirierende Vorbilder sind. Vielen männlichen Talenten fehlt das weibliche Vorbild ebenfalls, um Frauen in Führungspositionen als etwas ganz Selbstverständliches zu begreifen. Dabei können Frauen umgekehrt auch von Männern lernen: Während Männern beispielsweise der positive Effekt von Netzwerken auf den eigenen Karriereweg durchaus bewusst ist, zeigen sich Frauen unsicherer und bauen ihre Vernetzungen stärker außerhalb des Unternehmens auf.

Zurückhaltung ablegen, Mut zeigen, kein Emanzipationskampf

Doch genau dort sollten sie ansetzen, ihre Zurückhaltung ablegen und höher pokern. Sich nicht von einzelnen Punkten in einer Stellenausschreibung abschrecken lassen. Ein weiterer entscheidender Faktor ist, dass sich viele Frauen nach wie vor nicht genug zutrauen. Sie bewerben sich schlicht nicht auf Toppositionen, trotz bester Qualifikation, haben oft die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur eigenen – nicht zur gemeinschaftlichen – Mission erklärt und scheitern am eigenen Anspruch (der aber gesellschaftlich geprägt ist), alles gleichzeitig und im gleichen Umfang machen zu wollen. Sie müssen daher ihre eigenen Paradigmen im Kopf prüfen, ihre eigene Selbstverständlichkeit im Umgang mit diesem Thema hinterfragen und ihre Zurückhaltung ablegen. Nur wer selbst von sich überzeugt ist – mit den Lösungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im mentalen Rucksack –, kann andere davon überzeugen, dass er der oder die Richtige ist für die Besetzung einer Topposition, mit allen Opfern an das Privat- und Familienleben, die damit einhergehen. Und drittens sollten Frauen jegliche Polemik um Diversität meiden. Es geht nicht um: „Endlich Frauen an die Macht“. Es geht um: „Männer und Frauen, die es verdienen, an die Macht“. Es braucht ein selbstverständliches Nebeneinander und ein Miteinander.

(Gesellschaftliche) Rahmenbedingungen verbessern

Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen verbessert werden, die grundsätzlich durch den Staat zu setzen sind, aber auch durch unsere Gesellschaft. Wen bewundern wir, was bewundern wir und wen fördern wir? Das hat Konsequenzen für die Ausrichtung junger Menschen und ebenso gestandener Führungskräfte. Bei der Unterstützung von Seiten des Staates hinsichtlich der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gibt es sicher noch Luft nach oben. Wir sind in Deutschland nicht kreativ genug und überlassen das Familienleben in diesem Mangel den Frauen, die dafür zu Hause bleiben. In vielen anderen Ländern sind Frauen selbstverständlich in Politik und Wirtschaft an der Spitze, ebenso wie Männer. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es das Wort „Bezugsperson” in vielen Sprachen gar nicht gibt. Bei uns ist dieser Begriff Synonym für „Frauen bleiben zu Hause, weil es zu grausam wäre, den Kindern ihre (einzige) Bezugsperson zu entreißen”.

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Unabhängig von dieser Anekdote wird es ganz sicher noch eine Weile dauern, aber am Ende werden die meisten Unternehmen die Vorteile gemischter Teams erkennen – und umsetzen. Bevor es so weit ist, sollte der Anfang aber bei weiblichen potenziellen Führungskräften selbst erfolgen. Sie sollten mehr Vertrauen in die eigenen Stärken haben, sich die Führungsrolle zutrauen, sie selbstverständlich und entspannt einfordern. Denn so hart es auch klingen mag: Verantwortung wird einem nicht geschenkt, Verantwortung muss man sich nehmen. Ein Prozess, der maßgeblich von den Personalabteilungen und HR-Managern unterstützt werden kann. Diese müssen den Blick auf Diversität zwingend schärfen und in Beförderungsgesprächen zum Thema machen. Dafür müssen die internen Strukturen und die Kommunikation angepasst und ständig verbessert werden. Wir alle sollten darauf achten, dass wir nicht die nächsten Verlierer produzieren, nämlich die Männer. Balance im Umgang miteinander, höchste Kompetenz als Kriterium und Souveränität auf allen Seiten sind gefragt.

Zum Hintergrund

Im Zweiten Führungspositionen-Gesetz wurde die fixe Quote für Aufsichtsräte aus dem ersten Gesetz noch um ein Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände ergänzt. Daraus ergibt sich, dass börsennotierte und zugleich paritätische Unternehmen, die mehr als drei Personen im Vorstand haben, mindestens eine Frau berufen müssen. Das Gesetz ist im August 2021 in Kraft getreten, greift aber erst bei Vorstandsneuernennungen ab August dieses Jahres. Falls sich ein Unternehmen dafür entscheiden sollte, keine Frau für den Aufsichtsrat oder den Vorstand zu berufen, müssen hierfür die Erwägungsgründe dargelegt werden. Obwohl das Gesetz noch nicht eingreift, zeigt sich, dass die Anzahl von Frauen in den Vorständen schon jetzt steigt. Dieser Antizipationseffekt offenbart, dass der Druck von Seiten des Gesetzes zumindest hilft, die Diversität in Unternehmen zu fördern.

Die deutsche Regelung ist im europäischen Vergleich sehr eng gefasst, sodass sie letztlich für „nur“ 66 Unternehmen gilt. Zum Vergleich: In Spanien oder den Niederlanden etwa gelten die Vorstandsquoten für je rund 5.000 Organisationen. Wenn die Quote in Deutschland nicht nur für Unternehmen gelten würde, die sowohl an der Börse notiert als auch voll mitbestimmungspflichtig sind, sondern auch für solche, die nur eines der beiden Kriterien erfüllen, wären anstatt 66 etwa 2.000 Unternehmen betroffen, was die Wirksamkeit der Quote verstärken würde. Dennoch hat das Gesetz eine Signalwirkung, denn auch in vielen großen Unternehmen, die von der Quote nicht betroffen sind, kann ein langsamer Anstieg von Frauen in Vorstandspositionen beobachtet werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will das Ganze auf EU-Ebene verschärfen und noch im ersten Halbjahr 2022 eine Frauenquote in den Aufsichtsräten großer Unternehmen durchsetzen. Danach sollen Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen künftig zu mindestens 40 % mit Frauen besetzt werden. Dies könnte auch Auswirkungen auf die deutsche Gesetzgebung haben, sodass es einer weiteren Anpassung des Gesetzes bedarf.

Dr. Katja Nagel

Dr. Katja Nagel
Gründerin, Inhaberin, Unternehmensberatung cetacea, München
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· Artikel im Heft ·

Die gläserne Decke durchbrechen
Seite 32 bis 33
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