„Die Vorschriften im ArbZG zur Erfassung der Arbeitszeit sind ausbaufähig“

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 Bild: fidaolga/stock.adobe.com
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Flexibilität ist ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Mitarbeiter zu halten und neue Talente zu gewinnen. Insbesondere hinsichtlich flexibler Arbeitszeitmodelle stellt sich die Frage, wie viel Freiheit es braucht – und was zu viel ist.Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sollten für flexible Arbeitszeitmodelle gelten, um sowohl die Interessen der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen angemessen zu berücksichtigen?

Lelley: Aus der Managementperspektive führt wohl kein Weg daran vorbei: Flexible Arbeitszeitmodelle sollen in erster Linie im Einklang mit den betrieblichen Erfordernissen stehen. Es ist wichtig, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass sie die Flexibilität der Arbeitskräfte fördern, gleichzeitig jedoch auch die betriebliche Effizienz gewährleisten. Ein ausgewogener rechtlicher Rahmen sollte klar definierte Arbeitszeiten sowie Mechanismen zur Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeit und wohl auch der Arbeitsleistung umfassen.

Franzmann: Flexible Arbeitszeitmodelle beschäftigen sich mit der Lage der Arbeitszeit. Der im ArbZG normierte Rahmen lässt die Arbeit von 0 Uhr am Montag bis 24 Uhr am Samstag zu und darüber hinaus für viele Branchen auch noch am arbeitsfreien Sonntag. Mit anderen Worten: Arbeiten kann man nahezu immer und überall und eingedenk des Weisungsrechts des Arbeitgebers (§ 106 GewO) ist der Arbeitnehmer hierzu auch grundsätzlich verpflichtet. Von daher ist es erforderlich, diesen weiten gesetzlichen Ermächtigungsraum des Arbeitgebers zu begrenzen; Mittel sind kollektivrechtliche Regeln, also Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Letztere können maßgeschneiderte Lösungen für betriebliche Bedürfnisse beinhalten, bedürfen jedoch der Stütze von Tarifverträgen, weil „betriebliche Bündnisse“ die Gefahr in sich tragen, dass Betriebsräte ohne einheitliche Regeln für die jeweilige Branche nicht auf Augenhöhe verhandeln können.

Inwiefern können flexible Arbeitszeitmodelle die Work-Life-Balance der Arbeitnehmer verbessern oder beeinträchtigen?

Lelley: Ich bekomme von Führungskräften oft gespiegelt, dass solche Arbeitszeitmodelle das Potenzial haben, die Work-Life-Balance der Arbeitnehmer erheblich zu verbessern. Nämlich immer dann, wenn man ihnen ermöglicht, ihre Arbeitszeiten an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Das kann die Mitarbeiterzufriedenheit und Produktivität steigern. Leider ist Flexibilität nicht immer die beste Freundin der Mitbestimmung. Ich höre dann manchmal: „Ja, wir würden ja gerne, mehr Flexibilität und so, aber unser Betriebsrat […]“.

Franzmann: Den Ball nehme ich gerne auf und erwidere: Aus meiner Beratungspraxis höre ich sehr oft, dass Arbeitnehmer sich auch gerne mal hinter Betriebsräten und Betriebsvereinbarungen verstecken, wenn die Traute fehlt, dem Vorgesetzten Einhalt zu gebieten. Ansonsten: Aber ja, dort, wo ein individuelles Arbeiten möglich ist, ist ein Arbeiten von „nine to five“ sozusagen „oldschool“ und entspricht nicht den Vorstellungen der Arbeitnehmerschaft und liegt regelmäßig auch nicht im Interesse der Arbeitgeberseite. Von daher sehe ich bei gut ausgearbeiteten Arbeitszeitmodellen weniger Konfliktstoff bei den Betriebsparteien; eher sind die Interessen auf Arbeitnehmerseite bereits vielschichtig und bedürfen differenzierter Betrachtung und Lösung.

Welche Rolle spielt die Vereinbarkeit flexibler Arbeitszeitmodelle mit betrieblichen Anforderungen und Produktivitätszielen?

Lelley: Beide – flexible Arbeitszeitmodelle und Produktivitätsziele – sind von entscheidender Bedeutung für den Erfolg moderner Unternehmen. Da kann man mit fortschrittlichen und intelligenten Betriebsvereinbarungen viel erreichen. Das erfordert eine sorgfältige Planung und Abstimmung zwischen Betriebsrat und Management. Man muss nämlich sicherzustellen, dass die Arbeitszeiten so angepasst werden, dass sie die Produktivität des Unternehmens nicht beeinträchtigen.

Franzmann: „Wünsch dir was“ ist nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Unternehmen haben regelmäßig Hoch- und Tiefphasen, Busfahrer werden morgens und abends benötigt, Verkäufer am Samstag, Köche und Kellner am Wochenende und Videomeetings mit Amerika und Asien finden bisweilen zu nachtschlafender Zeit statt. Betriebsvereinbarungen können hier Vorsorge treffen, die hieraus bedingten Belastungen zu minimieren, sei dies durch eine Verteilungsgerechtigkeit oder kompensatorische Elemente.

Wie lassen sich potenzielle Missbrauchsfälle flexibler Arbeitszeitmodelle seitens der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer verhindern und wie können Arbeitnehmer vor einer Überbeanspruchung geschützt werden?

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Lelley: Um potenzielle Missbrauchsfälle in flexiblen Arbeitszeitmodellen zu verhindern, ist eine klare und transparente Kommunikation unerlässlich – das gilt für Arbeitgeber, Betriebsrat und natürlich erst recht die Belegschaft. Es sollten klare Richtlinien und Verfahren zur Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeit implementiert werden. Dazu werden wir in nächster Zeit sicherlich noch einiges hören, ob wir wollen oder nicht. Schließlich arbeitet unser Arbeitsminister Hubertus Heil ja immer noch an seinem Entwurf eines Gesetzes zur Arbeitszeiterfassung.

Franzmann: Ja, die Vorschriften im ArbZG zur Erfassung der Arbeitszeit sind ausbaufähig; es wird Zeit, dass die Koalition sich zu einer Neufassung durchringt, die den Vorgaben der Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019 genügt, Stichworte sind: Erfassung am Tag der Arbeitsleistung und manipulationssichere Dokumentation. Ich befürchte indes, dass gesetzliche Verschärfungen nur ein Teil der Lösung sind, schon derzeit verpflichtet § 16 ArbZG die Unternehmen zur Aufzeichnung und Aufbewahrung der überobligatorischen Arbeitszeit. Für die Arbeitnehmerseite gilt: Wer falsch aufschreibt und vorgibt, gearbeitet zu haben, begeht eine Straftat. Und Straftaten rechtfertigen Sanktionen.

Um einer Überbeanspruchung vorzubeugen, bedarf es zuvörderst einer Unternehmenskultur, dass die Arbeitszeit wahrheitsgetreu festgehalten wird, und im Zweifel technischer Lösungen, dass mobile Endgeräte sich bei Erschöpfen täglicher Arbeitszeitgrenzen ausschalten und erst nach Ablauf der Ruhezeit wieder anschaltbar sind.

Welche Auswirkungen haben flexible Arbeitszeitmodelle auf die betriebliche Organisation, die Teamarbeit usw. – vor allem, wenn Sie einmal an die betriebsverfassungsrechtlichen Aspekte denken?

Lelley: Flexible Arbeitszeitmodelle können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die betriebliche Organisation, die Teamarbeit und die Kommunikation innerhalb des Unternehmens haben. Wie das dann alles mit der Betriebsverfassung in Einklang zu bringen ist, das ist in vielen Fällen die große Frage. Nicht zu Unrecht werden Flexibilisierung und Digitalisierung nicht nur allgemein, sondern auch insbesondere beim BetrVG ganz oben auf der Reformagenda gesehen. Auf der positiven Seite können flexible Arbeitszeitmodelle die Mitarbeiterzufriedenheitund -motivation steigern und zu einer verbesserten Teamarbeit und Kommunikation führen, da Mitarbeiter mehr Autonomie über ihre Arbeitszeiten haben. Auf der negativen Seite können flexible Arbeitszeitmodelle zu einer Fragmentierung der Arbeitszeiten und zu Kommunikationsproblemen führen.

Franzmann: Die Betriebsverfassung gibt den Rahmen vor. Wirke ich beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeitmodellen mit, empfehle ich Betriebsräten in einem ersten Schritt, die Arbeitnehmerinteressen abzufragen. Die können von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich sein und sollten auch so in die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite eingebracht werden. Es ist keine Seltenheit, in einem Betrieb sowohl Schichtmodelle als auch Gleitzeit zu gestalten und selbst innerhalb der Gleitzeit weiter zu differenzieren. Solche Betriebsvereinbarungen bieten weitestgehend Autonomie für Einzelne bei gleichzeitiger Berücksichtigung betrieblicher Interessen. Sie lösen vorgreifend Arbeitszeitdebatten, indem sie nachvollziehbare Verteilungsmechanismen enthalten und dadurch problematische Arbeitszeitkorridore besetzen.

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Seite 22 bis 23
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