Ein Tarifvertrag, der von den Arbeitsvertragsparteien in Bezug genommen ist, enthält u. a. folgende Regelungen:
„Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt ausschließlich der Pausen im Durchschnitt 38,5 Stunden. Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt für einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer 7 Stunden 42 Minuten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden.“
Weiterhin ist im Tarifvertrag geregelt:
„Überstunden sind auf Anordnung geleistete Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit nach […] hinausgehend dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleistet werden. Zuschlagspflichtig gemäß […] sind Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat der Arbeitsleistung nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können.“
Ein Arbeitgeber hat diese tarifliche Regelung auf Teilzeitbeschäftigte, d. h. auf Beschäftigte, deren vertragliche Arbeitszeit unterhalb der eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers liegt, so angewendet, dass Teilzeitbeschäftigte den tariflichen Überstundenzuschlag erst dann erhalten, wenn sie so viel Überstunden geleistet haben, dass ihre Gesamtarbeitszeit die eines Vollzeitbeschäftigten überschreitet und Zuschläge dann erst für die Stunden gezahlt werden, die über eine Vollbeschäftigungsarbeitszeit hinausgehen.
Ein Arbeitnehmer sah in dieser Handhabung einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG, wonach teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden dürfen als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigeneine unterschiedliche Behandlung. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere entsprechende teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht (§ 4 Abs. 1 TzBfG). Das Hessische LAG hatte den Fall zu entscheiden und sich in einer ausführlichen und beachtlichen Urteilsbegründung mit der Problematik auseinandergesetzt (Hessisches LAG, Urt. v. 19.12.2019 – 5Sa436/19).
Danach sei einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG konkretisiere das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG für den Bereich des Entgelts. Es verbiete eine Abweichung vom Grundsatz pro rata temporis zum Nachteil des Arbeitnehmers, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vorliege. Auch tarifliche Regelungen müssten mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stünden nach § 22 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.
Das LAG vertieft diese Ausführungen mit dem Hinweis, dass ein Teilzeitbeschäftigter „wegen“ der Teilzeit ungleich behandelt werde, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstelle, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpfe. § 4 Abs. 1 TzBfG schütze vor einer unmittelbaren Benachteiligung ebenso wie vor einer mittelbaren. Der Vergleich von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten sei für jeden einzelnen Entgeltbestandteil vorzunehmen. Eine gesamte Wertung der geleisteten Vergütungsbestandteile scheide aus. Entgelte für Regelarbeitszeit und Mehr- oder Überarbeitsvergütungen seien gesondert zu vergleichen. Nur auf diese Weise könne dem Grundsatz pro rata temporis des § 4 Abs. 1 TzBfG genügt werden. Die Methode der Prüfung entspreche auch dem Grundsatz des Gesetzgebers im Bereich Entgeltdiskriminierung. So verbiete § 3 Abs. 1 EntgTranspG eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile.
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Dieser zutreffenden und nachvollziehbaren Begründung des LAG ist an sich nichts hinzuzufügen. Der klare Wortlaut des § 4 Abs. 1 TzBfG führt zwingend zu der vom LAG gefundenen Begründung.
Nach diesen Maßstäben habe der Beklagte Arbeitgeber mit der praktischen Handhabung, der zufolge teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zunächst die gesamte Differenz zur Vollarbeitszeit über ihre Teilzeitquote hinaus arbeiten müssten, um für die nächste Stunde einen Überstundenzuschlag zu erlangen, gegen § 4 TzBfG verstoßen. Denn er habe eine unzulässige Differenzierung zwischen vollzeit- und teilzeitbeschäftigten Pflegekräften wegen der Dauer der Arbeitszeit vorgenommen, da er § 10 Ziff.7 MTV betreffend Überstundenzuschläge nur auf Vollzeit- und nicht auch entsprechend der gebotenen Auslegung der Tarifnorm auf Teilzeitbeschäftigte anwende und beiden Arbeitnehmergruppen ab der ersten Stunde, die über die individuelle kalendermonatliche Arbeitszeit hinaus und im jeweiligen Monat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden könne, einen Überstundenzuschlag gewähre.
Obwohl das Hessische LAG die Revision nicht zuließ, ist der Fall, auf welchem Weg auch immer, zum BAG gelangt (Pressemitteilung des BAG Nr. 35/21) mit der Folge, dass der 8. Senat des BAG nun den Gerichtshof der Europäischen Union mit der Vorlage entsprechender Grundsatzanfragen befasste und zwar wie folgt:
„Sind Art. 157 Abs. 1 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG so auszulegen, dass eine nationale tarifliche Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten enthält?“
Diese vom Hessischen LAG an sich schon zutreffend bejahte Frage soll nun auf europäischer Ebene entschieden werden, was sicherlich nicht unzweckmäßig ist, da eine Grundsatzentscheidung des EuGH die Problemfrage europaweit beantworten dürfte.
Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes
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Problempunkt
Zwischen den Parteien besteht Streit über die tarifvertragliche Gewährung von Überstundenzuschlägen. Die Klägerin ist für
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin bestand seit 1984 in Vollzeit. Ab dem Jahr 2005 reduzierte sie die regelmäßige Arbeitszeit auf die
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