Im Jahr 2016 bewarb sich der schwerbehinderte Kläger im öffentlichen Dienst bei einem Landesbetrieb auf eine Führungsposition. Wie üblich wurde bei dieser Besetzung ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchgeführt, das zunächst ein ca. einstündiges Auswahlgespräch umfasste. Im Anschluss folgte für die Bewerber, die im Rahmen des Gesprächs am meisten überzeugten, eine ca. fünfstündige Potenzialanalyse. Der Kläger wurde zwar zum Auswahlgespräch geladen, eine Einladung zur Potenzialanalyse erfolgte jedoch nicht, stattdessen erhielt er eine Absage.
Nachdem der Kläger über eine einstweilige Verfügung Akteneinsicht begehrte, einigten sich die Parteien darauf, dass er an der Potenzialanalyse teilnehmen durfte. Im Anschluss daran folgte eine erneute Absage. Der Kläger klagte auf eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG, denn er hätte nach § 82 Satz 2 SGB IX a. F. zu jeder Stufe des Bewerbungsverfahrens eingeladen werden müssen.
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Das BAG (Urt. v. 27.8.2020 – 8 AZR 45/19) gab dem Kläger recht. Der Begriff „Vorstellungsgespräch“ i. S. d. § 82 Satz 2 SGB IX a. F. sei nicht eng im Sinne eines Gesprächs, sondern weit auszulegen. Er umfasse grundsätzlich alle Verfahrensschritte der Personalauswahl, unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform, die nach der Konzeption des Arbeitgebers erforderlich seien, um sich einen umfassenden Eindruck von der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber zu verschaffen. Das BAG sprach dem Kläger eine Entschädigung i. H. v. 7.674 Euro zu.
In dieser Entscheidung schneidet das BAG den öffentlichen Arbeitgebern die Möglichkeit ab, auch schon früh im Auswahlverfahren schwerbehinderte Bewerber ausscheiden zu lassen. Selbst wenn aufgrund eines „Erstgesprächs“ aus der Sicht des Arbeitgebers bereits feststeht, dass man sich gegen diesen Bewerber entscheide, muss das Verfahren fortgeführt werden.
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