EU-Whistleblowing-Richtlinie: Gesetzgeber und Arbeitgeber unter Handlungsdruck

Die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie in nationales Recht ist zum 17. Dezember 2021 ausgelaufen. Auf ein deutsches Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern wartet man bislang allerdings vergeblich, auch wenn der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 24. November 2021 das Umsetzungsgesetzesvorhaben wieder aufgreift. Vorerst stehen nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch Arbeitgeber unter Zugzwang, die Anforderungen der EU-Whistleblowing-Richtlinie zeitnah umzusetzen.

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 Bild: freshidea/stock.adobe.com
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Whistleblower bzw. Hinweisgeber sind in aller Munde – und dies nicht erst seit den Enthüllungen von Edward Snowden oder Wikileaks-Gründer Julian Assange. Solchen Hinweisgebern haftete in Deutschland über lange Zeit ein negatives Image an. Doch wurden die dem Whistleblowing innewohnenden Chancen inzwischen auch hierzulande weitläufig erkannt. Berechtigtes Whistleblowing stiftet keine Unruhe, sondern kann Unternehmen vor schwerwiegenden Folgen rechtswidrigen oder unethischen Verhaltens schützen. Da die Aufdeckung eines solchen Verhaltens sowohl das betroffene Unternehmen als auch die handelnden Personen vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellen kann, sind Hinweisgeber in besonderem Maße gegen Repressalien zu schützen.

Um einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Implementierung von Meldesystemen zu schaffen und den Schutz von Hinweisgebern zu stärken, wurde im Jahr 2019 die EU-Richtlinie 2019/1937 erlassen. Darin ist vorgesehen, dass Unternehmen ab 250 Beschäftigten sowie Behörden ein Hinweisgebersystem einrichten müssen. Darüber hinaus soll der Schutz von Hinweisgebern verbessert werden. Von der EU-Whistleblowing-Richtlinie umfasst sind jedoch nur Meldungen bei Verstößen gegen EU-Recht (z. B. gegen die EU-Datenschutzgrundverordnung). Zur Umsetzung in nationales Recht wurde den Mitgliedstaaten eine Frist bis zum 17. Dezember 2021 gesetzt, die in Deutschland ergebnislos verstrichen ist.

Basierend auf der EU-Whistleblowing-Richtlinie hat die ehemalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) bereits im Dezember 2020 einen Gesetzentwurf für das sog. Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG-E) vorgelegt. Aufgrund unterschiedlicher Auffassungen in der Großen Koalition kam das Gesetzgebungsverfahren jedoch vorerst zum Stillstand. Dies mag nicht zuletzt auch den Neuwahlen und den andauernden Koalitionsverhandlungen geschuldet sein, die am 24.11.2021 vorerst ihr Ende gefunden haben.

Der deutsche Umsetzungsentwurf geht zum Teil über die Anforderungen der EU-Whistleblowing-Richtlinie hinaus. Unter anderem ist darin vorgesehen, dass sämtliche Unternehmen bereits ab 50 Beschäftigten sowie Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz ab 10 Millionen Euro verpflichtend ein internes Whistleblowing-System errichten müssen. Im Finanzsektor soll die Einführung eines Hinweisgebersystems unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten verpflichtend sein. Darüber hinaus sollen vom HinSchG-E auch Meldungen über Verstöße gegen nationales Recht (z. B. deutsches Strafrecht) umfasst sein.

Zum Schutz von Hinweisgebern sieht § 35 HinSchG-E vor, dass gegen Hinweisgeber gerichtete Repressalien verboten sind. Das gilt auch für die Androhung und den Versuch, Repressalien auszuüben. Um den Hinweisgeberschutz sicherzustellen, soll eine Beweislastumkehr gelten. Demzufolge müssen Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie beispielsweise eine Kündigung des Hinweisgebers, in keinem Zusammenhang mit der Meldung stehen. Unerheblich ist dabei, ob sich der Hinweis als zutreffend herausstellt. Sofern dem Arbeitgeber der Beweis nicht gelingt, wäre er dem Hinweisgeber zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus der nachteiligen Behandlung entstanden ist. Der umfassende Schutz von Hinweisgebern besteht allerdings nur, solange diese gutgläubig sind. Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Falschmeldung bleiben arbeitsrechtliche Konsequenzen daher weiterhin zulässig.

Im neuen Koalitionsvertrag wurde die nationale Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie nunmehr erneut aufgegriffen. Darin heißt es, die EU-Whistleblowing-Richtlinie werde „rechtssicher und praktikabel“ umgesetzt. Der Schutz von Hinweisgebern solle zudem nicht lediglich bei Meldung über Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch über sonstiges erhebliches Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt, bestehen. Dazu solle die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger verbessert werden. Daneben würden Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote geprüft.

Insgesamt spricht daher vieles dafür, dass das deutsche Umsetzungsgesetz zeitnah eingeführt und weitestgehend dem HinSchG-E entsprechen könnte. Dies gilt umso mehr, als das HinSchG-E federführend von der SPD, der inzwischen stärksten Fraktion des neu formierten Bundestages, vorgelegt wurde und im Ergebnis an den Verhandlungen mit dem ehemaligen Koalitionspartner CDU gescheitert ist. Arbeitgeber stehen daher zeitnah unter Handlungszwang, die Vorgaben des Umsetzungsgesetzes zu implementieren. Da die EU-Whistleblowing-Richtlinie zudem hinreichend präzise und konkret ist, könnten sich Hinweisgeber aufgrund der verspäteten Umsetzung inzwischen auch direkt auf die Richtlinie berufen. Für Arbeitgeber, die bisher noch kein Whistleblowing-System etabliert haben, besteht also bereits gegenwärtig Handlungsbedarf.

Sofern noch nicht geschehen, sollten Arbeitgeber ohne weiteres Zögern mit der Implementierung eines Hinweisgebersystems beginnen, das den Anforderungen der EU-Whistleblowing-Richtlinie, im besten Fall aber bereits den weiteren Anforderungen des HinSchG-E entspricht. Besteht im Unternehmen ein Betriebsrat, ist dieser bei der Einführung oder Änderung eines Whistleblowing-Systems regelmäßig zu beteiligen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 BetrVG). Angesichts der Beweislastumkehr zum Schutz von Hinweisgebern sind Arbeitgeber zudem gut beraten, eine sorgfältige Dokumentation von Pflichtverletzungen, besonders bei Arbeitnehmern, die zugleich Hinweisgeber sind bzw. waren, sicherzustellen.

Dr. Sascha Morgenroth

Dr. Sascha Morgenroth
LL. M. (Austin), Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, Simmons & Simmons LLP, Frankfurt am Main

Annika Scheske

Annika Scheske
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Simmons & Simmons LLP, Düsseldorf
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· Artikel im Heft ·

EU-Whistleblowing-Richtlinie: Gesetzgeber und Arbeitgeber unter Handlungsdruck
Seite 63
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Herr Sultzer, zunächst die ganz grundlegende Frage: Was ist ein Hinweisgeber?

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Welche Definition des Begriffs Whistleblowing bzw. Hinweisgeber legen Sie zugrunde?

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Ausgangslage

Die Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen Unionsrecht melden,

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Vor Inkrafttreten des HinSchG sahen sich (vermeintlich) hinweisgebende Arbeitnehmer nach der Meldung tatsächlicher oder mutmaßlicher

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Alle EU-Mitgliedstaaten bis auf Polen haben inzwischen die Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von

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Das Hinweisgeberschutzgesetz ist – im zweiten Anlauf – wohl auf der Zielgeraden. Wie sehen Sie die Zukunft des Hinweisgeberschutzes (HinSchG) in