„Geht ein Wissensträger, verliert der Betrieb an Substanz“

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Während die einen betriebliche Weiterbildungen als wichtige und notwendige Investitionen in die Zukunft sehen, vermuten andere dahinter einen versteckten Kündigungsgrund. Die ausschlaggebende Frage sollte daher lauten: Wie wichtig und realistisch ist die Weiterbildung von Belegschaften tatsächlich? Dies ist der zweite Teil des Wortwechsels zum Thema betriebliche Weiterbildung. Den ersten Teil lesen Sie in AuA 5/25, ab S. 40.

Welche rechtlichen Spielräume haben Arbeitgeber, wenn sie ihre Mitarbeiter zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen verpflichten wollen – und welche Vorschriften sind dabei zu beachten?

Franzmann: Mir sind aus meiner langjährigen Praxis keine Arbeitsverträge bekannt, die eine solche Pflicht normieren; und aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Erwägungen, etwa § 241 Abs. 2 BGB, leite ich eine solche Vertragspflicht nicht ab. Ich verorte dies eher als Obliegenheit. Nimmt der Arbeitnehmer die angebotene Qualifizierung nicht an, fehlt ihm möglicherweise in Zukunft die Eignung zur Ausführung der Arbeitsaufgabe und er gefährdet auf diese Weise den Bestand seines Arbeitsverhältnisses.

Lelley: Herr Franzmann sieht eher eine Obliegenheit – ich meine, bei arbeitsplatzbezogener Schulung kann auch eine Pflicht über das Direktionsrecht entstehen.

Können Unternehmen Beschäftigte zur Rückzahlung der Weiterbildungskosten verpflichten, wenn diese nach einer solchen Schulung kündigen?

Franzmann: In der Tat, das beschreibt die Rechtslage. In meiner betriebsrätlichen Beratungspraxis sehe ich in diesem Punkt keine Meinungsverschiedenheiten. Auch und gerade Betriebsräte haben ein Interesse daran, dass der Arbeitgeber sich um die Belegschaft kümmert und sie fachlich auf dem Stand der Entwicklung hält. Und zwar im Wesentlichen deshalb, damit dieses frische Wissen im Betrieb bleibt und zur Verbesserung der Produkte und der Qualität genutzt wird. Geht ein Wissensträger, verliert der Betrieb an Substanz. Das kann keiner wollen.

Lelley: Richtig, alle wollen das Wissen im Betrieb halten – Rückzahlungsklauseln sind dabei aus meiner Sicht ein rechtlich zulässiges Mittel zur Bindung.

Wie lässt sich betriebliche Weiterbildung strategisch nutzen, ohne Misstrauen in der Belegschaft zu wecken?

Franzmann: Misstrauen erwächst durch Intransparenz. Haben die Belegschaften oder ihre Interessenvertreter den Eindruck, der Arbeitgeber weiß mehr, als er zugibt, wird oft eins und eins zusammengezählt und bisweilen liegt man dann falsch und die Unruhe ist da. Hinterzimmerpolitik in Sachen Qualifizierung, Durchführung und Teilnahme ohne Kommunikation, sorgt für Gerüchte und wirft sodann insgesamt ein schlechtes Bild auf das, was wir eigentlich alle wollen: Gut ausgebildete Belegschaften, mit denen Arbeitgeber gute Geschäfte machen.

Lelley: Da kann ich nur zustimmen: Intransparenz schafft Unruhe – wer klar kommuniziert und den Betriebsrat einbindet, sorgt für Akzeptanz.

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Ist es zulässig, gezielt nur bestimmte Mitarbeiter weiterzubilden – z. B. leistungsstarke oder jüngere Beschäftigte? Steht einem solchen Vorgehen der Gleichbehandlungsgrundsatz entgegen?

Franzmann: Freut mich, wenn Kollege Lelley die Mitbestimmung mitdenkt. Ich zitiere zunächst § 96 Abs. 2 BetrVG: Arbeitgeber und Betriebsrat haben darauf zu achten, dass […] den Arbeitnehmern die Teilnahme an […] Maßnahmen ermöglicht wird. Ich verweise sodann auf § 98 Abs. 3 BetrVG: „Führt der Arbeitgeber betriebliche Maßnahmen der Berufsbildung durch […], so kann der Betriebsrat Vorschläge für die Teilnahme von Arbeitnehmern […] machen.“ Betriebsvereinbarungen schaffen Transparenz und geben klare Leitlinien im Betrieb, wer an welchen Fortbildungsveranstaltungen unter welchen Voraussetzungen teilnehmen. Solche Qualifizierungsmaßnahmen können Erhaltungsmaßnahmen wegen auftretender Defizite oder Maßnahmen zur Vorbereitung auf die nächste Karrierestufe sein.

Lelley: Die gesetzliche Mitbestimmung ist wichtig, das betont Herr Franzmann sehr richtig – gleichzeitig darf bei nachvollziehbaren Kriterien auch gezielt gefördert werden.

Wie sollten Arbeitgeber mit Mitarbeitern umgehen, die Weiterbildungen verweigern und welche Rolle spielen die Gründe der Verweigerung – z. B. die Angst vor Überforderung oder Veränderung?

Franzmann: Ich komme zurück zur Ausgangsfrage, gibt es eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Ableistung einer Qualifizierungsmaßnahme? Die Schulzeit weckt nicht bei jedem nur gute Erinnerungen. Ich erlebe oftmals in Betrieben eine bisweilen reservierte Haltung gegen Neuerungen. „Das haben wir schon immer so gemacht“, und damit ist es dann gut. Erst mal bleibe ich bei meiner oben geäußerten Auffassung, eine Abmahnung wegen Verweigerung an einer Schulungsteilnahme halte ich für unwirksam. Ratsam, eine Schulung zu verweigern, ist es natürlich nicht. Hier muss die Kommunikation im Betrieb funktionieren, Ängste abgebaut und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Und, ganz ehrlich: Zumeist gelingt dies auch.

Lelley: Das ist doch ein Plädoyer für Überzeugung statt Druck – das ist richtig, aber bei arbeitsbezogener Schulung kann auch arbeitsrechtlich nachgesteuert werden.

Dr. Jan Tibor Lelley

Dr. Jan Tibor Lelley
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, BUSE, Frankfurt am Main

Armin Franzmann

Armin Franzmann
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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· Artikel im Heft ·

„Geht ein Wissensträger, verliert der Betrieb an Substanz“
Seite 38 bis 39
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